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einsamer Hagestolzklause mit seinem phantasiebewegten Ich allein war.
Da standen die Möbel, die er nach eigenen, mathematisch einwand-
freien Entwürfen hatte Herstellen lassen, vor einem Jahr, als seine
Hoffnungen, ein ehelich Weib heimzuführen, wieder einmal in be-
sonders üppiger Blüte gestanden hatten. Damals war cs die schöne
achtzehnjährige Tochter des Sanitätsrats Klops gewesen, die er zu
beglücken und neben sich auf den Thron des Gymnasiarchen zu heben
gedacht hatte. Denn schön und jung, sehr jung, mußte die Erwählte
sein! Kein Mißerfolg hatte ihn im Laufe der Jahre von immer neuen
Minneversuchen abzuhalten vermocht. Manche der Umworbenen waren
nun längst junge Mütter. Die empfangenen Körbe häuften sich ge-
spenstisch in seinem Horst. Aber immer wieder erblühten ja neue
Knospen am Fruchtbaume des Lebens — man kam gar nicht nach, bei
jeder neuen Blüte mußte man Gott danken, daß man noch frei war
und um sie werben konnte. Oualvoll süß war es, dies Wachstum zu
sehen. Aber niemals wäre in Doktor Woitschek der freilich nicht sehr
aussichtsreiche Gedanke an ein Abenteuer erwacht. Liebeslust war ihm
untrennbar verbunden mit der Vorstellung der Legitimität; denn dies
eben war das Fieber, dag ihn heimlich verzehrte: ein junges, reines
Kind aus hochgeachteter Bürgersamilie in die Bande der Gesetzlichkeit
zu fesseln und die staatlich ihm zugesicherten Reize des demütigen
Opfers in aller erlaubten Gemächlichkeit aus-
zukosten. Brautzauber! DaS war das Keim-
und Zellwort seines Gefühlslebens.

Mochte jedoch das Schwelgerische solcher
Phantasietätigkeit so stark sein, daß cs dem
glühenden Rehjäger keine Kraft zur Wirklich-
keit ließ, oder mochten angeborene Hemmnisse
walten — jedenfalls ist zu sagen, daß die bloße
Annäherung an das heimische Bereich des
jungen Wildes, der bloße erregende Vorgang
der Brautwerbung, das süße Weh der Ab-
weisung die seelischen Bedürfnisse Doktor
Woitschekö jeweils und für einige Zeit vollauf
befriedigten. Ja, wäre ihm wider alle Wahr-
scheinlichkeit einmal die Jagd geglückt, so hätte
sich seines tiefsten Innern Schrecken und Ent-
täuschung bemächtigt. Das scheue Wild zu
begehren und nie zu erlegen, immer nur im
Walde des Lebens, abseits von mathematisch
wohlbemessenen Wegen, zu schleichen, zu pir-
schen, zu schmachten, das war der Wonne-
qualen Kern.

Hatte er ein neues Objekt seiner Wünsche
gesunden, so begann jedesmal eine kurze Hoch-
Zeit für ihn. Verjüngt, bewegten Bluts, mit
strahlenden Augen und neuen Kravatten stol-
zierte er einher, und die Schnörkel seiner Rede
verloren das Grimmige, Streitbare und lösten
sich in weich verquollener Schalkhaftigkeit und
reiner Torheit. Diese Anzeichen waren stets
untrüglich und seinen Untertanen wohlbekannt.

*

„Mutti," sagte Hedwig zu Frau Natalie
Decker, „muß denn der eklige Woitschek heut
wieder kommen?"

„Aber Kind," sagte Frau Decker, „wir
müssen doch ein bißchen nett zu ihm sein. Er
tut dir doch nichts."

„Er glotzt mich so an", erwiderte Hedwig.

„Er hat nun mal solche Augen", meinte
Frau Becker.

das Stirngewölbe glänzte wohlig, das Bärtchen spreizte sich unter den
geöffneten Nüstern. Seine Blicke glitten ritterlich schäkernd zur Seite
über den Halsausschnitt von HedlvigS Sommcrkleidchen.

„Herrlich schecn, Fräul' Hcdl!" lispelte er munter-verwegen. „Scheeu
lufrig so! Ich will emal sagen: bei uns mecht's nich so schecn aussehn!"

Von schalkhaften Tönen ging Doktor Woitschek zu bedeutendem
Ernst über und begann von seiner jüngsten Ferienreise in die Schweiz
zu erzählen. Sein nur auf Höhepunkte gerichteter Geist vernachlässigte
jedoch die verbindenden Uebergänge, so daß schließlich nur ein erratisches
Konglomerat von Berggipfeln, Abgründen, einem „geradezu entsetz-
lichen" Gewitter und dem „Vater unser", das irgendeine Bauernsamilie
dabei — „herrlich schcen!" — gebetet hatte, vor den verwirrten Zu-
hörern stand.

Indes der Rheinwein reichlicher floß, mußte die Jugend zu Bett.
Oben in Hcdlvigs Ziinmcr warfen sie sich alle aufs Bett und führten
mit Lispeln und Zischen und krappeligen Gesten ein Woitschekdrama
auf, das damit schloß, daß die Brüder sich Hedwig zu Füßen warfen
und sic beschworen, sich, wenigstens bis die Versetzung vorüber wäre,
mit Doktor Woitschek zu verloben. „Ich schwöre euch —!" ries Hedwig
hochherzig erschüttert und aufgerichtet wie ein Geist.

» (Fortsetzung Seite 28)

Frau Natalie schnitt den Schinken am
großen runden Abendtisch aus. „Entschuldigen
Sie, Herr Doktor, die Scheiben sind etwas
dick geraten", sagte sie.

„Ich will mal folgendes sagen," sprühte
Doktor Woitschek, „die Dicken sin mer lieber!"
'chalkhafte List umspielte die Kugelaugen,

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Grete Kroch-Frischmann: Frauenakt
 
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