ich füllte, wie in den ungewohnten Norwcger-
ftieseln bereits Blasen an meinen Füßen auf-
quollen. „Nein!" sagte ich, und ließ die Weh-
mut schmerzlichen Verzichtes durch meine
Stimme vibrieren, „und wenn es mich noch
so sehr reizen würde, den Gamskogel zu
bezwingen, sich selbst besiegen ist noch
schönerer Sieg! Leb wohl, Gamskogel, leb
wohl, Jochtaltürl undKaölochalm, lebt wohl!"
„Sie Guter, Sie Edler!" slüsterte Maria,
senkte einen ihrer seuchtwarmen Gazellenblicke
in mein Herz und drückte mir mit ihrem
kanariengelben Fäustling dankerfüllt die Hand.
„UebrigenS führe ich zufällig Vaseline bei
mir," sagte ich milde, stellte daü Fettnäpfchen
neben Maria auf den Rodel und entfernte
mich taktvoll hinter eine Scheune, um dort
meine Füße mit Leukoplast zu bekleben.
Als ich zurückkam, fand ich Maria in sicht-
lich gehobener Stimmung. Sie hieß mich an
ihrer Seite auf dem Schlitten Platz nehmen,
und wie wir so ancinandergeschmiegt unter
der prallen Wintersonne saßen, fühlte ich, daß
ich Maria schon seit Stunden liebte. Vielleicht
würde ich ihr schon in diesem Augenblick mein
Herz erschlossen haben, wenn mich nicht die
Unzuträglichkeit meiner Stiefel an dem
mimischen Ausdruck der Glückseligkeit gehindert
hätte. Während ich mir überlegte, wann der
nächste Zug nach der Stadt znrückführe, und
ob cS schicklich und zwcckvoll sei, Maria schon
heute zu einem Täßchen Tee zu mir zu laden,
riß sie mich mit der Aufforderung auS meinen
Träumereien, auf einem nahegelegeneu Hügel-
chen dem Rodelsport zu obliegen. Wohl fünf-
zig Meter weit durch den Schnee stapfend,
kamen wir oben an und ließen uns, von den
bisher überstandenen Strapazen des Tages
etwas erschöpft, auf dem Rodel nieder. „Nun
umfassen Sie mich!" rief ich der hinter mir
sitzenden Maria zu. Big in die Tiefen meiner
Seele erschauernd, fühlte ich, wie sich ihre rot
und grün karierten Arme um meine Brust
schmiegten und mein Rücken von der Wärme
ihres Pullovers durchströmt wurde. Dieser,
sonst nur im engen Familienkreis üblichen
Berührung konnte auch meine Selbstbeherr-
schung nicht widerstehen. „Maria!" hauchte
ich, und „August!" flüsterte es in weicher
Molltonart durch meinen Ohrenschützer zu-
rück. Langsam wandte ich mich um, schlug
einen Eiszapfen von meiner Nase und küßte
Maria zum erstenmal. Stundenlang.
Als wir wieder zum Bewußtsein der ört-
lichen Lage zurückgekehrt waren, hatte sich der
Rodel bis zur Sitzfläche in den Schnee gesenkt.
„Los!" rief Maria und klatschte fröhlich in die
Hände. Aber der Schlitten weigerte sich trotz
meines Zuredens, von dem ihm allerdings nur
mäßig gebotenen Vorteil der schiefen Ebene
Gebrauch zu machen. Neigungswinkel und
Reibungswiderstände mußten in keinem unseren
Zwecken förderlichen Verhältnis zueinander
stehen. Sollten wir uns diese wahrhaft glück-
liche Stunde durch die Lösung physikalischer
Probleme vergällen lassen? Wir küßten uns
noch einmal heftig, dann stapften wir, enge
aneinaudergeschmiegt, den Rodel hinter uns
herschleifend, den Hügel wieder hinab.
<k^ort8el2un§ 8. 44>
ein&urH Herm5
^/NTERSPoRT-FREOPfW
. , , _ , VON ■ _
K I NM DT
Ich liebe den Wintersport. Aber man darf
daraus nicht schließen, daß ich etwa Sonntags
in grausiger Morgenfrühe, die Skier aus dem
Rücken, zum Bahnhof laufe. Im Gegenteil.
Ich liebe den Wintersport anderer —: ich liebe
besonders Herrn Beißbarths Wintersport.
Herr Beißbarth ist mein Zimmernachbar!
Jeden Morgen um sieben Uhr erhebt er sich
mit diskretem Stöhnen, um punkt acht Uhr
seinen Dienst in der Bank anzutreten. Nur
Sonntags — an seinem langersehnten Ruhe-
tage —- schrillt, im Winter wenigstens, sein
mißtönender Wecker schon gegen vier Uhr
früh. Ich erwache mit ihm und male mir aus,
wie ungemein scheußlich eS sein muß, gerade
an einem freien Tage kurz nach Mitternacht
aufstehen zu müssen! Undurchdringliches
Dunkel liegt vor den Fenstern, deren zierliche
Eisblumen auf eine grauenhafte Kälte
schließen lassen. Oder es strömt grauweiß
hinter den Scheiben —: Schnee! Und einzig.
gewordene Haut des Halses scheuernd ent-
zündet —
Zärtlich und dankbar streiche ich über die
weichseidenen Aufschläge meines Schlafanzugs
und dehne mich wohlig in der Wärme meines
guten Federbettes. Höchst interessiert erlausche
ich, wie Herr Beißbarth nun ächzend in die
krachendharten Stiefel fährt. Dann hängt er
den schweren Rucksack um, schnallt die Skier
und Stöcke zusammen und verläßt — ohne
richtig gefrühstückt zu haben — das Haus.
Auf der Treppe gleitet er oft ein bißchen aus
— dann verhallt draußen sein Schritt-
um sich eilends in diese Finsternis, diese Kälte,
dieses Schneetreiben zu begeben, läßt dieser
junge Mann so früh seinen Wecker schnarren!
An seinem Ruhetage!! Unfaßbar-
Zunächst versucht Herr Beißbarth, sich
durch leises Pfeifen eine vergnügte Stimmung
vorzutäuschen —: aber das Pfeifen verstummt
sofort, wenn er sich anschickt, dag Rasiermesser
über die unausgeschlafen-spröde Haut seines
bleichen Gesichts gleiten zu lassen! Oh, ich
weiß, wie das schmerzt, zumal wenn die
knappe Zeit die Bereitung warmen Wassers
verbietet! Und ein Schauder überläuft mich,
wenn ich denke, daß er mm den Sweater
überstreift, dessen kratzende Wolle die wund-
Arme! Eine Stunde fast muß er nun
durch den Schnee stapfen oder über vereiste
Bürgersteige balancieren, denn die Tram-
bahnen fahren noch nicht, und ein Auto zu
nehmen, ist nicht nur für Herrn Beißbarth zu
teuer, sondern auch für den echten SportS-
mann verwerflich. Der eisige Wind zerreißt
die frischrasierte Haut — der seuchtkalte
Schnee rieselt ihm in den Nacken — die
scharfeckigen Fußhölzer schneiden ihm in die
Schulter —- die haltende Hand erstarrt in den
Handschuhen-: grauenvoll!
Die Decke ein wenig hochziehend, lasse ich
mich von der — schon halb traumgelösten —
Vorstellung einlullen, wie Herr Beißbarth
nun eingekeilt auf der harten Holzbank eines
überfüllten Dritter-Klasse-Abteils sitzt. Die
erdrückende Hitze der zischenden Dampfheizung
läßt den Schnee von den vielfältig über die
Gepäcknetze gelegten Fußhölzern tropfen, und
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ftieseln bereits Blasen an meinen Füßen auf-
quollen. „Nein!" sagte ich, und ließ die Weh-
mut schmerzlichen Verzichtes durch meine
Stimme vibrieren, „und wenn es mich noch
so sehr reizen würde, den Gamskogel zu
bezwingen, sich selbst besiegen ist noch
schönerer Sieg! Leb wohl, Gamskogel, leb
wohl, Jochtaltürl undKaölochalm, lebt wohl!"
„Sie Guter, Sie Edler!" slüsterte Maria,
senkte einen ihrer seuchtwarmen Gazellenblicke
in mein Herz und drückte mir mit ihrem
kanariengelben Fäustling dankerfüllt die Hand.
„UebrigenS führe ich zufällig Vaseline bei
mir," sagte ich milde, stellte daü Fettnäpfchen
neben Maria auf den Rodel und entfernte
mich taktvoll hinter eine Scheune, um dort
meine Füße mit Leukoplast zu bekleben.
Als ich zurückkam, fand ich Maria in sicht-
lich gehobener Stimmung. Sie hieß mich an
ihrer Seite auf dem Schlitten Platz nehmen,
und wie wir so ancinandergeschmiegt unter
der prallen Wintersonne saßen, fühlte ich, daß
ich Maria schon seit Stunden liebte. Vielleicht
würde ich ihr schon in diesem Augenblick mein
Herz erschlossen haben, wenn mich nicht die
Unzuträglichkeit meiner Stiefel an dem
mimischen Ausdruck der Glückseligkeit gehindert
hätte. Während ich mir überlegte, wann der
nächste Zug nach der Stadt znrückführe, und
ob cS schicklich und zwcckvoll sei, Maria schon
heute zu einem Täßchen Tee zu mir zu laden,
riß sie mich mit der Aufforderung auS meinen
Träumereien, auf einem nahegelegeneu Hügel-
chen dem Rodelsport zu obliegen. Wohl fünf-
zig Meter weit durch den Schnee stapfend,
kamen wir oben an und ließen uns, von den
bisher überstandenen Strapazen des Tages
etwas erschöpft, auf dem Rodel nieder. „Nun
umfassen Sie mich!" rief ich der hinter mir
sitzenden Maria zu. Big in die Tiefen meiner
Seele erschauernd, fühlte ich, wie sich ihre rot
und grün karierten Arme um meine Brust
schmiegten und mein Rücken von der Wärme
ihres Pullovers durchströmt wurde. Dieser,
sonst nur im engen Familienkreis üblichen
Berührung konnte auch meine Selbstbeherr-
schung nicht widerstehen. „Maria!" hauchte
ich, und „August!" flüsterte es in weicher
Molltonart durch meinen Ohrenschützer zu-
rück. Langsam wandte ich mich um, schlug
einen Eiszapfen von meiner Nase und küßte
Maria zum erstenmal. Stundenlang.
Als wir wieder zum Bewußtsein der ört-
lichen Lage zurückgekehrt waren, hatte sich der
Rodel bis zur Sitzfläche in den Schnee gesenkt.
„Los!" rief Maria und klatschte fröhlich in die
Hände. Aber der Schlitten weigerte sich trotz
meines Zuredens, von dem ihm allerdings nur
mäßig gebotenen Vorteil der schiefen Ebene
Gebrauch zu machen. Neigungswinkel und
Reibungswiderstände mußten in keinem unseren
Zwecken förderlichen Verhältnis zueinander
stehen. Sollten wir uns diese wahrhaft glück-
liche Stunde durch die Lösung physikalischer
Probleme vergällen lassen? Wir küßten uns
noch einmal heftig, dann stapften wir, enge
aneinaudergeschmiegt, den Rodel hinter uns
herschleifend, den Hügel wieder hinab.
<k^ort8el2un§ 8. 44>
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Ich liebe den Wintersport. Aber man darf
daraus nicht schließen, daß ich etwa Sonntags
in grausiger Morgenfrühe, die Skier aus dem
Rücken, zum Bahnhof laufe. Im Gegenteil.
Ich liebe den Wintersport anderer —: ich liebe
besonders Herrn Beißbarths Wintersport.
Herr Beißbarth ist mein Zimmernachbar!
Jeden Morgen um sieben Uhr erhebt er sich
mit diskretem Stöhnen, um punkt acht Uhr
seinen Dienst in der Bank anzutreten. Nur
Sonntags — an seinem langersehnten Ruhe-
tage —- schrillt, im Winter wenigstens, sein
mißtönender Wecker schon gegen vier Uhr
früh. Ich erwache mit ihm und male mir aus,
wie ungemein scheußlich eS sein muß, gerade
an einem freien Tage kurz nach Mitternacht
aufstehen zu müssen! Undurchdringliches
Dunkel liegt vor den Fenstern, deren zierliche
Eisblumen auf eine grauenhafte Kälte
schließen lassen. Oder es strömt grauweiß
hinter den Scheiben —: Schnee! Und einzig.
gewordene Haut des Halses scheuernd ent-
zündet —
Zärtlich und dankbar streiche ich über die
weichseidenen Aufschläge meines Schlafanzugs
und dehne mich wohlig in der Wärme meines
guten Federbettes. Höchst interessiert erlausche
ich, wie Herr Beißbarth nun ächzend in die
krachendharten Stiefel fährt. Dann hängt er
den schweren Rucksack um, schnallt die Skier
und Stöcke zusammen und verläßt — ohne
richtig gefrühstückt zu haben — das Haus.
Auf der Treppe gleitet er oft ein bißchen aus
— dann verhallt draußen sein Schritt-
um sich eilends in diese Finsternis, diese Kälte,
dieses Schneetreiben zu begeben, läßt dieser
junge Mann so früh seinen Wecker schnarren!
An seinem Ruhetage!! Unfaßbar-
Zunächst versucht Herr Beißbarth, sich
durch leises Pfeifen eine vergnügte Stimmung
vorzutäuschen —: aber das Pfeifen verstummt
sofort, wenn er sich anschickt, dag Rasiermesser
über die unausgeschlafen-spröde Haut seines
bleichen Gesichts gleiten zu lassen! Oh, ich
weiß, wie das schmerzt, zumal wenn die
knappe Zeit die Bereitung warmen Wassers
verbietet! Und ein Schauder überläuft mich,
wenn ich denke, daß er mm den Sweater
überstreift, dessen kratzende Wolle die wund-
Arme! Eine Stunde fast muß er nun
durch den Schnee stapfen oder über vereiste
Bürgersteige balancieren, denn die Tram-
bahnen fahren noch nicht, und ein Auto zu
nehmen, ist nicht nur für Herrn Beißbarth zu
teuer, sondern auch für den echten SportS-
mann verwerflich. Der eisige Wind zerreißt
die frischrasierte Haut — der seuchtkalte
Schnee rieselt ihm in den Nacken — die
scharfeckigen Fußhölzer schneiden ihm in die
Schulter —- die haltende Hand erstarrt in den
Handschuhen-: grauenvoll!
Die Decke ein wenig hochziehend, lasse ich
mich von der — schon halb traumgelösten —
Vorstellung einlullen, wie Herr Beißbarth
nun eingekeilt auf der harten Holzbank eines
überfüllten Dritter-Klasse-Abteils sitzt. Die
erdrückende Hitze der zischenden Dampfheizung
läßt den Schnee von den vielfältig über die
Gepäcknetze gelegten Fußhölzern tropfen, und
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