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Fr. Heubner

der Dlualm aus hundert mit rätselhaftem
Rauchwcrk gefüllten Pfeifen schafft eine
beizende Atmosphäre. Die noch halb erstarr-
ten Füße ruhen nun in breiten Wasserlachen,
bis sie sich an den unter den Bänken befind-
lichen Heizrohren erwärmen und juckend zu
brennen beginnen. Drei volle Stunden dauert
diese höllische Tortur! Ein kurzer bleierner
Schlaf wird rasch durch jähe Maultrommel-
musik verscheucht-

Im fröhlichen Bewußtsein, mir durch meine
Lebenskunst all diese unnötigen Martern er-
spart zu haben, schlafe ich lächelnd ein und
erwache meist erst gegen zehn Uhr aus holdem
Traum — frisch und wohlausgeschlafen.
Wenn ich mich, dem warmen Bade ent-
steigend, in meinen seidenwattierten Schlafrock
hülle, um mich an dem mit Sorgfalt gedeckten
Frühstückstisch niederzulassen, bemerkt Herr
Beißbarth, der auf halber Höhe des Anstiegs
sein Sportfrühstück einnehmen will, gerade,

-Behaglich an den warmen Kachelofen

gelehnt rauche ich um diese Zeit meine be-
sonders gute Sonntagmorgen-Zigarette. Die
weiße Fülle des Schnees vor den Fenstern,
auf Straßen und Dächern schasst die wohl-
tuende Stimmung ruhevollen Abgeschieden-
seins. Und plötzlich wird alles ganz sonn-
täglich-hell und fröhlich —: die Sonne strahlt
aus reingefegtem Himmel und überzuckert die
ganze Stadt! Ja, ich werde Leonie anrufen
und sie zu einer kleinen Schlittenfahrt ein-
laden — nach einem guten Mittagessen natür-
lich und wenn die Sonne noch ein wenig mehr
wärmt-


daß der Tee in seiner silzumgebenen Feld-
siasche eingefroren ist. Seufzend und ohne
Rücksicht auf die Verunstaltung seiner Figur
schiebt er die Flasche unter den Sweater und
in die Hose, um den Inhalt durch die Wärme
seines Leibes stüssig und trinkbar zu machen.
Warum bedenkt er nicht, daß er eben diese
Wärme seinem Magen entzieht und diesen
dadurch erkältet —? Da sich der linke Ski
schon mehrmals gelöst hat, versucht er — trotz
erstarrter Finger — den Riemen der Bindung
um ein Loch enger zu schnallen, was ihm
jedoch den Nagel seines rechten Zeigesingers
kostet. Und während er seine ganze Aufmerk-
samkeit dem Ablösen des gebrochenen Nagels
zuwendct, beginnt der ledige Ski leise zu ent-
gleiten. Einbeinig muß er wieder erjagt
werden. Eine halbe Stunde später hat Herr
Beißbarth seinen Frühstücksplatz wieder er-
reicht und darf sich nun an seinem — immer
noch mit Eisklümpchen durchsetzten — Tee
gütlich tun.

Herr Beißbarth, der eben feststellen mußte,
daß, entgegen den Versicherungen der Dorf-
bewohner, die erstrebte Hütte nicht bewirt-
schaftet ist, wird sich freilich des Sonnenscheins
nicht lang erfreuen können —: der Schnee
beginnt zu pappen. Ich kenne das. Wie
Zentnergewichte hängen sich die schnce-
bcschwerten und nicht mehr gleitenden Fuß-
hölzer an die müden Deine! Man kann eö ja
mit dem Wachsen der Skier versuchen, wenn
man die Durchnässung des Hosenbodens beim
Hinsehen nicht fürchtet — aber es nützt meist

nicht mehr viel auf dem nassen Holz.-

Knurrenden Magens schickt er sich an, in
sausender Abfahrt die tiefergelegene Hütte zu
gewinnen. Mit kühnem Sprung überquert er
einen verschneiten Weg —: nun sieht man ihn
eine Weile nicht mehr. Nur die Spitze eines
Skis ragt aus der weißen Fülle. Jetzt erscheint
der Kops des Herrn Beißbarth und eine Hand.
Diese tastet nach der Skispitze, um festzu-
stcllen, zu welchem der unter dem Schnee ver-
grabenen Beine sie gehört. Sie gehört zu
keinem Bein mehr, denn sie ist abgebrochen.
Das ist vielleicht ein großes Glück, weil es
sonst der Fuß gewesen wäre. — Aber die

Abfahrt mit einem abgebrochenen Fußholz ist
wenig erfreulich, gefährlich und langwierig.
Selbst der Geübte kann ein öfteres Fallen
nicht vermeiden. Es beginnt schon zu dämmern,
als Herr Beißbarth den vieldurchfurchten
Uebungöplatz an der Hütte überqueren muß.
(An eine Essens- oder Ruhepause ist leider
nicht mehr zu denken, wenn er den Sportzug
noch erreichen will.) — Inzwischen ist der
Schnee verharscht. Wie leicht gerät man da
in zwei kreuzweise auseinanderlaufende, tief-
auögefahrene und nun vereiste Spuren, so
daß einem die Beine bedrohlich auseinander-
gerissen werden! Herr Beißbarth darf von
Glück sagen, daß er mit einem verstauchten
Daumen und einer Sehnenzerrung am
Schenkel davonkommt!

Als Herr Beißbarth, auf der Dorfstraße
angelangt, die Fußhölzer abschnallt, um
rascher vorwärtszukommen, grüßt ihn das
fröhlich-frische Pfeifen des abfahrenden Sport-
zugs, und er sieht die Lichter der vielen er-
leuchteten Wagen freundlich im Schneefelö
blinken. Der nächste Zug braucht l\Vi Stunden.

-Es war wirklich ein schöner, herz-

und gemüterfreuender Sonntag! DieSchlitten-
fahrt mit der kleinen Leonie hat mich erfrischt
und gestärkt. Den Spätnachmittag haben wir
bei einem guten Kaffee in meiner Polsterecke
verbracht. Dann kam Herr Beißbarth und
wir gingen beide zu gleicher Zeit zu Bett —:
er mit einer starken Erkältung, mit Schüttel-
frost, Gesichtöbrennen, wundgeriebenem Hals,
verrenktem Daumen und einer sehr schmerz-
haften Sehnenzerrung. Ich nur mit Leonie.

Es wollte uns beiden nicht recht mit dem
Einschlafen glücken, was ich jedoch weniger
unangenehm empfand als Herr Beißbarth —

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Friedrich (Fritz) Heubner: Illustration zum Text "Meine und Herrn Beissbarth's Wintersportfreuden"
 
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