EGGER.LIENZ UND DIE KUNSTHISTORIKER
(Zum 29 Januar, dem 60. Geburtstag des 1 926 verstorbenen Meisters)
Auf die „gelernten, geaichten Kunscht -
Historiker", Ivie er sie nrmnte, war Egger nie
sehr gut zu sprechen. Eine Ausnahme bildete
nur ein Innsbrucker lTniverfitätSprofeffor,
von dem er mir oft versicherte: „Es ist doch
ganz merkwürdig, so ein gelehrter Kops und
dabei versteht er mich völlig wirk-
l i ch !" Aber im allgemeinen verfocht er —
und Egger „focht" bekanntlich höchst tem-
peramentvoll und pflegte, wahrlich nicht zu
seinem Nutzen, bei Erörterung von Kunst-
fragen kein Blatt vor den Mund zu nehmen
— die bekannte Ansicht, daß man Kunst eben
nicht lernen könne. Er unterschied zwischen
„Kunstfeldwebeln" und den „Kunstgeneral-
stäblern"; erstere seien nicht so gefährlich,
meist „harmlose Leute!", oft von wirklich
ehrlicher Begeisterung erfüllt, als Sekretäre,
Vereinsvorstände usw. „bewachen" sie Kunst-
Hallen, Museen und Ausstellungen und kom-
men sich „mordswichtig" vor; ganz anders
aber stehe es mit dem hohen Generalstab!
„D, die sein gar oft wirklich gefährlich" ■—
Im Sommer 1925 war es; Egger und ich
waren zwei Monate in seiner Heimat Lienz;
da hatte sich so ein „waschechter" Kunst-
historiker gar telegraphisch angemeldet. Fürs
erste sagte Egger: „Ich mein', wir sind einfach
nit da und machen einen schönen Ausslug";
als ich ihm bedeutete, daß das doch nicht gut
angehe, wurde schließlich der Gelehrte im Gast-
hof zur „Poscht" empfangen; Egger unterhielt
sich sogar ganz gut mit ihm — ich atmete
erleichtert aus. Als aber beim „Roten", dem
der Gelehrte etwas mehr zugesprochen haben
mochte, als er gewohnt war, die „Kunst-
ansichten", wie Egger später sagte, „in der
Luft nur so herumslogen", da merkte ich, daß
es ihm ungemütlich wurde. In einem jener
versteckten Winkel des Gasthofes, die man
meist nur gezwungenermaßen auf kurze Zeit
anfzusuchen pflegt, „trafen" wir uns ungestört,
und Egger meinte, bei behaglicher Absolvierung
seines dringlichen Geschäftes neben mir stehend:
„Also du, wenn der noch lang so red't, nachher
halt er mich selber für einen ganz alten
M elfter!" (Der Gelehrte hatte nämlich
Vergleiche mit „alten Meistern" gezogen.)
„Also du, ich verschwind', schau', daß du ihn
bei gutem Wind außenbringst." Zu Tisch zu-
rückgekehrt, behauptete Egger nach einer Weile
— ganz gegen seine sonstige Gepflogenheit, oft
sehr lange aufzubleiben —, daß er sehr müde
sei; „es war riesig interessant, verehrter Herr
Doktor, einfach großartig" — und verschwand.
Ein Lächeln übcrhuschte sein Gesicht, das wohl
nur ich sah . . . Am darauffolgenden tau-
frischen HochgebirgSmorgen trug ich dem Ge-
lehrten den Koffer zur Bahn; er hatte sich fast
verschlafen; so kam eS, daß ich ihm beim
Packen behilflich war und nun sein Nacht-
hemd und noch etliche Reiseutensilien in der
andern Hand trug, da wir zum einzigen Früh-
schnellzug hasteten. „Aber Egger ist ja gar
nicht so unzugänglich, er war doch gestern riesig
nett — und Sie, das was ich von van Gogh
bemerkte, bitte sagen Sie ihm das ja noch ein-
mal, es ist doch wirklich --" da fuhr der
Zug ein. Ich ging dann heim und zurück zur
„Poscht"; da stand Egger urbehaglich, kurz-
hosig, den breiten Strohhut auf dem Kopf, den
Stock in der Hand; unser Auszug zum Bahn-
hof, ich den Koffer in der Rechten, das Nacht-
hemd unterm Arm, der gestikulierende Doktor
neben mir dahineilend — das alles war Egger
schon berichtet worden. Er lachte so herzlich,
wie nur er, dem das Leben doch so wenig zu
lachen gab, manchmal — selten — selten
lachen konnte, und schritt mit mir in den Wald
seiner Heimat. Dann saßen wir lange, lange
Zeit auf einer moosigen Dank; die Fröhlichkeit
war wieder verflogen; mit der Hand fuhr er
wie zärtlich über das wuchernde Moos, und
sein schwarzbraunes, samtenes Auge sann
wieder in die Weite. — Wortlos gingen wir
heim.
Josef Soyka
T)ae Rührstück
Wilhelm Thöny-Graz
54
(Zum 29 Januar, dem 60. Geburtstag des 1 926 verstorbenen Meisters)
Auf die „gelernten, geaichten Kunscht -
Historiker", Ivie er sie nrmnte, war Egger nie
sehr gut zu sprechen. Eine Ausnahme bildete
nur ein Innsbrucker lTniverfitätSprofeffor,
von dem er mir oft versicherte: „Es ist doch
ganz merkwürdig, so ein gelehrter Kops und
dabei versteht er mich völlig wirk-
l i ch !" Aber im allgemeinen verfocht er —
und Egger „focht" bekanntlich höchst tem-
peramentvoll und pflegte, wahrlich nicht zu
seinem Nutzen, bei Erörterung von Kunst-
fragen kein Blatt vor den Mund zu nehmen
— die bekannte Ansicht, daß man Kunst eben
nicht lernen könne. Er unterschied zwischen
„Kunstfeldwebeln" und den „Kunstgeneral-
stäblern"; erstere seien nicht so gefährlich,
meist „harmlose Leute!", oft von wirklich
ehrlicher Begeisterung erfüllt, als Sekretäre,
Vereinsvorstände usw. „bewachen" sie Kunst-
Hallen, Museen und Ausstellungen und kom-
men sich „mordswichtig" vor; ganz anders
aber stehe es mit dem hohen Generalstab!
„D, die sein gar oft wirklich gefährlich" ■—
Im Sommer 1925 war es; Egger und ich
waren zwei Monate in seiner Heimat Lienz;
da hatte sich so ein „waschechter" Kunst-
historiker gar telegraphisch angemeldet. Fürs
erste sagte Egger: „Ich mein', wir sind einfach
nit da und machen einen schönen Ausslug";
als ich ihm bedeutete, daß das doch nicht gut
angehe, wurde schließlich der Gelehrte im Gast-
hof zur „Poscht" empfangen; Egger unterhielt
sich sogar ganz gut mit ihm — ich atmete
erleichtert aus. Als aber beim „Roten", dem
der Gelehrte etwas mehr zugesprochen haben
mochte, als er gewohnt war, die „Kunst-
ansichten", wie Egger später sagte, „in der
Luft nur so herumslogen", da merkte ich, daß
es ihm ungemütlich wurde. In einem jener
versteckten Winkel des Gasthofes, die man
meist nur gezwungenermaßen auf kurze Zeit
anfzusuchen pflegt, „trafen" wir uns ungestört,
und Egger meinte, bei behaglicher Absolvierung
seines dringlichen Geschäftes neben mir stehend:
„Also du, wenn der noch lang so red't, nachher
halt er mich selber für einen ganz alten
M elfter!" (Der Gelehrte hatte nämlich
Vergleiche mit „alten Meistern" gezogen.)
„Also du, ich verschwind', schau', daß du ihn
bei gutem Wind außenbringst." Zu Tisch zu-
rückgekehrt, behauptete Egger nach einer Weile
— ganz gegen seine sonstige Gepflogenheit, oft
sehr lange aufzubleiben —, daß er sehr müde
sei; „es war riesig interessant, verehrter Herr
Doktor, einfach großartig" — und verschwand.
Ein Lächeln übcrhuschte sein Gesicht, das wohl
nur ich sah . . . Am darauffolgenden tau-
frischen HochgebirgSmorgen trug ich dem Ge-
lehrten den Koffer zur Bahn; er hatte sich fast
verschlafen; so kam eS, daß ich ihm beim
Packen behilflich war und nun sein Nacht-
hemd und noch etliche Reiseutensilien in der
andern Hand trug, da wir zum einzigen Früh-
schnellzug hasteten. „Aber Egger ist ja gar
nicht so unzugänglich, er war doch gestern riesig
nett — und Sie, das was ich von van Gogh
bemerkte, bitte sagen Sie ihm das ja noch ein-
mal, es ist doch wirklich --" da fuhr der
Zug ein. Ich ging dann heim und zurück zur
„Poscht"; da stand Egger urbehaglich, kurz-
hosig, den breiten Strohhut auf dem Kopf, den
Stock in der Hand; unser Auszug zum Bahn-
hof, ich den Koffer in der Rechten, das Nacht-
hemd unterm Arm, der gestikulierende Doktor
neben mir dahineilend — das alles war Egger
schon berichtet worden. Er lachte so herzlich,
wie nur er, dem das Leben doch so wenig zu
lachen gab, manchmal — selten — selten
lachen konnte, und schritt mit mir in den Wald
seiner Heimat. Dann saßen wir lange, lange
Zeit auf einer moosigen Dank; die Fröhlichkeit
war wieder verflogen; mit der Hand fuhr er
wie zärtlich über das wuchernde Moos, und
sein schwarzbraunes, samtenes Auge sann
wieder in die Weite. — Wortlos gingen wir
heim.
Josef Soyka
T)ae Rührstück
Wilhelm Thöny-Graz
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