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J U G

33. JAHRGANG

KATHERINE MANSFTELD

MÖRDER IM HAUS

DTuüie lehnte an der Derandatüre, bis die Männer außer Sehweite
waren. Als sie schon ein gutes Stück die Straße hinunter waren,
wandte sich Willie Cox im Sattel um und winkte. Aber Millie winkte
nicht zurück. Sie nickte ein wenig mit dem Kops und schnitt ein Gesicht.
Kein übler junger Mann, dieser Willie Cox, aber ein wenig zu srech
und frei für ihren Geschmack. Du mein Gott, war das eine Hitze!
Genug, einem die Haare zu versengen!

Millie legte sich ihr Taschentuch ans den Kops und beschattete die
Augen mit der Hand. In der Ferne, die staubige Straße entlang,
konnte sie die Pferde noch wie braune Punkte aus und nieder tanzen
sehen. Es war halb drei. Die Sonne hing am blaßblauen Himmel
wie ein brennender Spiegel, und in der Ferne, jenseits der Koppeln,
flimmerten und wogten die blauen Berge wie ein Meer.

Sid würde nicht vor halb elf zurück sein. Er war mit vieren von
den Burschen hinübergeritten in die Stadtsiedlung, um mitzuhelsen,
den Kerl zur Strecke zu bringen, der den Williamson ermordet hatte.
Es war wirklich schrecklich! Und Frau Williamson jetzt ganz allein
mit deni Hausen kleiner Kinder. Sonderbar! Sie konnte sich nicht
vorstellen, daß der Williamson tot war! Er war solch ein lustiger
Mann. Mit jedermann hatte er seinen Spaß. Willie Cox hatte erzählt,
sie hätten ihn in der Scheune gesunden, den Kops durch und durch
geschossen, und der junge englische „Johnny", der Volontär aus der
Landwirtschaftlichen Versuchsstation, — sei verschwunden. Sonderbar!
Sie vermochte sich nicht vorzustellen, daß irgend jemand Williamson
erschießen könnte, wo er doch so
beliebt war. Wenn sie den Burschen
erwischten! Nein, solch ein Kerl
konnte einem nicht leid tun. Und
Sid hatte gesagt, wenn nian den
nicht ansknüpfe, wohin würde das
noch führen! Solch ein Mensch
bleibt nicht bei dem einen Mal
stehen. Und Willie Cox hatte ge-
sagt, er sei so verdutzt gewesen,
er habe eine Zigarette aus einer
eingetrockneten Blutlache ausge-
lesen und sie geraucht.

Millie ging zurück in die Küche.

Sie warf Asche aus den Herd
und besprengte sie mit Wasser.

Träge räumte sie das Eßgcschirr
fort, während ihr der Schweiß
übers Gesicht rann und von Nase
und Kinn herabtropfte. Dann
ging sie in den Schlafraum, be-
starrte sich in dem von Flicgen-
spuren bedeckten Spiegel und
trocknete sich Gesicht und Hals
mit einem Handtuch. Sie wußte
nicht, was diesen Nachmittag
eigentlich mit ihr los war. Sie
hätte sich ordentlich answeinen
mögen — ganz ohne jeden Grund
— und dann ihre Bluse wechseln
luid eine gute Tasse Tee trinken.

Ja, danach war ihr zu Mut! Sie ließ sich aus die Bettkante sinken
und starrte aus den Farbendruck an der Wand gegenüber: „Gartenfest
in Schloß Windsor". Im Vordergrund smaragdgrüner Rasen und
ungeheure Eichenbäume und in ihrem angenehmen Schatten ein Durch-
einander von Damen und Herren und Sonnenschirmen und kleinen
Tischen. Den Hintergrund füllten die Türme von Schloß Windsor
und in der Mitte des Bildes war die alte Königin und glich einer
Teepuppe. „Möcht' wissen, ob cs wirklich so ausgesehen hat." Millie
starrte aus die blumengleichen Damen, die geziert zu ihr herüber-
lächelten. „Wie eS heute wohl anssehen mag?" Sie gähnte. „Mir
machte so was kein'n Spaß. Zu viel Getue. Mit dem König und
der Königin dabei und all deni Drum und Dran."

Heber dem Ankleidetisch aus einer alten Kiste hing eine große
Photographie von ihr und Sid, ausgenommen an ihrem Hochzeitstag.
Ganz hübsches Bild, — wem's gefiel. Sie saß in einem Korbsessel,
in ihrem cremefarbenen Kaschmirkleid mit Samtbändern, und Sid
stand, eine Hand aus ihrer Schulter, neben ihr und blickte aus ihr
Bukett. Hnd hinter ihnen waren ein paar Farnbäumc und ein Wasser-
fall und in der Ferne die Neuseeländer Alpen mit dem schneebedeckten
Mount Cook. Sic hatte ihren Hochzeitstag beinahe vergessen. Die
Zeit verging so rasch, und wenn man niemand hatte, mit dem man
von all den Sachen reden konnte, kamen sie einem bald aus dem Sinn.
„Möcht' wissen, warum wir niemals Kinder gehabt haben ..." Sie
zuckte die Achseln, — gab es auf. „Na, ich habe sie nie vermißt, aber

ob Sid nickt manchmal... Er ist
weicher als ich." Hnd dann saß
sie still und dachte an gar nichts,
die roten, gedunsenen Hände in
die Schürze gewickelt, die Füße
vor sich ansgestreckt, ihren kleinen
Kops ans die Brust gesenkt. Tick-
tack ging die Küchenuhr, die
Aschenstücke klickerten im Rost,
und die Jalousie schlug gegen
das Küchensenster. Ganz plötzlich
empfand Millie Furcht. Ein son-
derbares Zittern begann in ihrem
Inneren — in ihrem Magen —
und lies dann in ihre Knie und
Hände. „Da schleicht jemand
herum." Sie ging aus den Zehen-
spitzen zur Türe und lugte in die
Küche. Niemand da. Die Türen
der Veranda waren geschlossen,
die Jalousien herabgelassen, und
in dem dämmerigen Lichte schim-
merte ivciß das Zifferblatt der
llhr, und die Möbel schienen sich
zu bauchen und zu atmen... und
auch zu lauschen. Die Hhr — die
Asche — und die Jalousie — und
dann wiederum — etwas anderes,
wie Schritte im Hinterhof. „Geh'
und sieh nach, was es ist, Millie
Evans."

Ed. W. Steiger
Register
E. W. Steiger: Märchen
Katherine Mansfield: Mörder im Haus
 
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