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33. JAHRGANG

1928 / NR. 2 3

DER STUMM E GAST

VON KURT MARTENS

Das Gartenfest in Klaus Tirfchenreuters Villa verlief an sich ganz
prächtig, in Harmonie und Ausgelassenheit. Wir waren junge Künstler,
denen der Himmel voller Geigen hing; Tirschenreuter, auf dem Gipfel
seiner Erfolge, malte der Reihe nach die schönsten Frauen der Stadt
und präsentierte sie selbst in jener Frühlingsnacht, untermischt mit aller-
liebsten Berufsmodellen, Schülerinnen nndDamen unserer eigenen Wahl.

Zu den letzteren gehörte auch Irina, eine vielumworbene russische
Mnstkstudcntin, ein wunderbares, aber auch wunderliches Geschöpf,
dessen schwermütige Augen verrieten, daß es trotz seiner zwanzig Jahre
schon viel erlebt und erlitten haben mußte. Sie tollte umher wie ein
übermütiger Junge, ergötzte nnS mit den absonderlichsten Launen und
Einsällen, zeigte sich aber jeder zärtlichen Annäherung gegenüber
unzugänglich und verschlossen.

Der Hausherr empstng imS am Hyazinthen-Rondell seines weit-
läustgen Gartens, führte die ganze Gesellschaft, solange es noch bell
war, stolz von einem Beet und einer Baumgruppe zur anderen, dann
durch sein Treibhaus, in dem der betäubende Duft exotischer Blüten
uns fast den Atem benahm, verfehlte auch nicht, uns auf verschwiegene
Winkel in Lauben und hinter Spalieren hinzuweisen, wohin sich dieses
oder jenes Paar bei geeigneter Stimmung zurückziehen könne.

Da es eine milde, mondhelle Nacht war, zerstreuten sich schon bald
nach dem Souper einzelne Gruppen im Garten, versteckten und jagten

jich durch die Büsche, trieben am Springbrunnen allerhand Schaber-
nack, tanzten auf den Rasenflächen zu den Klängen der Kapelle, die
aus der Veranda des Hauses musizierte.

Einem intimeren Kreise, der sich um den Kamin des Ateliers ver-
sammelte, gesellte ich mich zu. Dort hatte auch Irina neben Tirschen-
reuter Platz genommen und leerte ein GlaS Sekt nach dem andere»
auf den glücklichen Ausgang unserer unterschiedlichen Liebesabenteuer.
DaS Atelier war ausg üppigste ausgestattet. Zwischen den bibliophilen
Kostbarkeiten der Bücherschränke und den Stasteleien, aus denen fertige
und begonnene Porträts strahlender Schönheiten prangten, standen
Skulpturen von Marmor und Bronze, Geschenke berühmter Kollegen;
die Bibelotg erlesener Kleinkunst füllten den riesigen Raum.

Während wir dies und jenes bewunderten, Herkunft, Material und
Wert erörterten, verstummte Irina plötzlich inmitten eines kecken
Scherzes und richtete ihr dunkles Auge wie gebannt nach einem hohen
Regal, nach einem Totenschädel, der, von niemandem bisher beachtet
oder auch nur bemerkt, auf uns herniedergrinste.

„Wer ist das, Klaus?" stieß sie erregt zwischen den Zähnen hervor.
„Warum haben Sie den mit zu Gast geladen?"

„Was weiß ich?" gab Tirschenreuter lachend zur Antwort. „Ich
habe ihn schon seit einer Einigkeit. Wir Maler brauchen dergleichen
doch zum Studium."

Landschaft in der Rrppcncc

Karl Rabus
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Karl Rabus: Landschaft in der Provence
Kurt Martens: Der stumme Gast
 
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