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3 3. JAHRGANG

N R . 2 8

Novell

Prinzessin Jileja Warsonow war nicht mehr sie selbst, seit sie wie
durch ein Wunder dem Gemetzel lettischer Aufständischer entkommen.
Alle wurden getötet, ihr Mann, ihre Mutter, ihre Schwestern, nur
sie selbst verschonte man. Sie wußte bald, warum: Iwan Luschkin,
der Anführer der roten Truppen, begehrte sie, die blasse, seine Hoch-
geborene. Iwan Luschkin fand sie noch zu schade, um mit zerschmetter-
tem Kopf in den Wäldern, die ihr einst gehört, mit den andern zu
vermodern.

Kein stolzer Jdeenträger war Iwan Luschkin. Vierschrötig, mit
tiefliegenden Kalmückenaugen und stahlharten Muskeln, nahm er sie
mit seinen kurzsingerigen, nie sauberen Händen, wie man eben Kriegs-
beute nimmt.

Es reizte ihn, daß er in jeder Stunde des Begehrens mit ihr kämpfen
mußte. Hingabe war Vergewaltigung. Schlaf an seiner Seite dumpfe
Ohnmacht. Das Schicksal war nicht einmal so gütig, sie schlaff und
häßlich 311 machen, damit er ihrer überdrüssig wurde. Im Gegenteil:
Oie wilden, abenteuerlichen Ritte in Männerkleidern durch das ver-
wüstete Land, das Leben im Freien zwischen zertrümmerten Schloß-

mauern und halbverbrannten Herrensitzen machten ans ihr ein
Mcnschenwesen gleichsam zwischen Jüngling und Frau. Das früher
so bleiche Gesicht wurde kühn und braun, das kurze, rostfarbene Haar
lockte sich bis auf die schmalen Schultern. Nur die Zerrissenheit ihrer
armen Seele hinderte sie, Herrin über diesen Troß mordender Männer
zu werden.

Nach einem halben Jahr endlich, als die Macht Jwanö schon im
Schwinden, gelang ihr die Flucht. Ein paar Revalcr Studenten
brachten sie auf ein fremdes Segelschiff, und unter unglaublichen
Schwierigkeiten, jede Hilfe mit der Hingabe ihres schönen Körpers
bezahlend, landete sie endlich in Berlin.

Trotz ihrer zerlumpten Kleidung von einer geheimnisvollen, unsag-
baren Schönheit, wurde sie von einem russischen Kaufmann, der cs
verstanden hatte, sein Vermögen zeitig genug ins Ausland zu retten,
aufgegriffen und eine Zeitlang ausgehalten. Er war immerhin ver-
feinerter und zarter als lettische Revolutionäpe und fremde Matrosen.
Trotzdem, sie ekelte sich vor allem, was Mann hieß, sie, die mau einst
nur dafür erzogen, Männern zu gefallen.
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Josef Eberz: Das Forum in Rom
Hedwig Hassel: Gönnt mir den Flug!
 
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