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J U G E

3 3. JAHRGANG

N D

1928 / NE. 30

Matrosen

M. Frisch m a u ii

TULIPS-BAR

Von L. Delluc

Es war an einem schwülen Juniabend, in jenem alten Viertel von
Marseille, wo beinahe alle Fenster der Auslagen ein Schlafzimmer
sehen lassen, offen und einladend wie ein Theaterdckor. Man sieht
da Damen jeden Alters, jeder Rasse, die nur das eine gemeinschaftlich
haben, daß sic alle ein sehr kurzes Hemd tragen und in diesem luftigen
Aufzug an der Türschwclle lehnen, um den Vorübergehenden ein
Willkomm zu bieten. Es gibt da drei oder vier Gassen, die man nicht
durchschreiten kann, ohne mit den Damen eine große Zahl vertrau-
licher Unterhaltungen zu haben. Die Matrosen, die für eine Nacht
ans Land gehen dürfen, haben den Anschluß bald gefunden. Einige
Wochen auf hoher See zugebracht, machen gewisse Gebärden, die an
den Türschwellen gemimt werden, unwiderstehlich. Und dann wird an
dem Fenster ein Vorhang herabgelassen. Draußen ebbt der Lärm
weiter, Lachen und betrunkener Gesang ...

Die Svmmerdämmerung baut über diese Gassen ein Saphirdach,
in dem der Widerschein Hunderter von Mansarden, Laternen und den
Bogenlampen vor den Schenken gegen das Dunkel ankämpft. Ein

seltsamer Geruch, von dem man nicht weiß, ob er vom Hafen, vom
Fischmarkt oder jenen tausendundeinen Liebeshöhlen kommt, über-
haucht von Zeit zu Zeit diese Gassen der Lust, wirkt wie ein Netz, in
dem sich die Männer sangen. Und der Gesang in den Bars und in den
winkeligen Gassen wird noch leidenschaftlicher, gellt manchmal auf,
wie die Brunstschreie im Urwald.

Denn es gibt nicht nur Schlafzimmer in diesen Gassen. Der Alkohol
hat in der ganzen Welt seine Rechte. Warum also auch nicht bei den
Hetären des alten Marseille? Bezeichnend für diese Bars ist es, daß
sie sich förmlich eine Drgie an Licht leisten. Es gibt Messinglüster und
farbige Lampen in großer Zahl. Dag Orchestrion spielt eine große
Rolle. Es gehört in eine Matrosenkneipe, gleichsam als Schutzgott,
es erhöht die Wirkung von Rum und Whisky, es veranlaßt Tänze,
die man anderswo beschließt, und eg legt manchmal einen Schimmer
von Liebe in die Augen dieser armen Dirnen in ihren kurzen Hemden.

Bei Topinelli schweigt es aber diesen Abend. Man vergnügt sich
noch beinahe spießerhaft mit Kartenspiel, man trinkt nur mäßig und
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Marcel Frischmann: Matrosen
Louis Delluc: Tulips-Bar
 
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