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J U G E

3 3. JAHRGANG

N

19 2 8

D

NR. 33

von GEORG BRITTING

Er griff in die zitternden Weinranken mit seinen braunen Fingern
wie eine Adlerklaue in ein Nest voll junger, staumbehaarker Vögel,
in einen Korb aufgeregter Zappelenten oder Gänsegelbschnäbel fährt,
und die grünen, dunkelgrünen, grünlackierten Glanzblätter zischelten
und schnatterten, als wollten ste: Achtung! und: Einbrecher! rufen.
Aber es kam niemand, und er stieg durchs Fenster in das Schlaf-
zimmer des Gutsbesitzers und erbrach den Kleiderschrank. Mit den
schwarzbehaarten Beinen fuhr er in die weiß und gelb gewürfelten
Hosen, den Schlips knotete er sich um den Hals wie einen Strick,
und weil er zu kräftig ihn zuzog, röchelte er, als hinge er am Galgen.
Dann erwischte er noch den hohen, steifen, glänzenden, schwarzen
Röhrenhut, und mit dem Hut aus dem Schädel steckte er nun zuerst
das eine weiß und gelbgewürselte Hosenbein durchs Fenster, schob
das andere nach, saß einen Augenblick lang witternd am Rand, rutschte
durch die ausschnatternden Weinlaubzungen und machte sich davon.

Heber die abendliche Landstraße trabte er zur Stadt. Der Himmel
hatte eine tiefe, weiße Bläue, Glocken schlugen an. Im Straßen-
graben standen ver-
sprengte, gelbe Blu-
men herum. Ein paar
waren wie ans einen
Hausen zusammenge-
weht, wie vom Wind
zu einem lodernden
Züngelbusch zusam-
mengetrieben. Hallo!
schrie er und kreischend
wichen ihmzweiMäd-
chen aus, die ihn für
einen Betrunkenen
nahmen. Er schnaufte,
die ungewohnten Ho-
senträger schmerzten,
sein dicker Bauch
wackelte, um seinen
Hals der Galgenstrick
stog und seine große,
hügelige, abenteuerlich
gekurvteNase schnup-
perte, und das Selbst-
gespräch, das er jetzt
begann, einen wirren
Schwall von vielen
und saftigen und krum-
men Worten, hörten
nur die gelben Bln-
men. Sie verstanden
nicht viel davon, nur
einzelne Brocken, aber
das genügte ihnen, um
sich kichernd auf ihren
Stielen zu drehen und
zu wenden, gelenkigen
Halses, und aus der
Unterseite der Blätter
rosa errötend.

Nun kam er an die Brücke. Unten der Fluß schwang sich in einem
starken Bogen nach Süden, und er schaute ihm nach. Er legte die
Hände aus das körnige Steingeländer, drückte, drückte fest zu, vom
Stein bröselte warmer Sand, und als er weiter ging, blieb der Abdruck
zweier Hände, gewaltig vertieft, der Daumen neben je vier Fingern,
wie in Lehm eingescnkt, und eö war doch harter, grauer, körniger
Stein! Die Taube, die schwarzblaue, die sich in einer der Hand-
höhlungen niederließ, flügelschlagend, äugte ihm wichtig nach.

Er trabte weiter; die Stadt rückte näher heran. War das nicht eine
Schenke? Arbeiter saßen beim Abendbier. Er nahm einen Stuhl, der
Wirt brachte ihm einen vollen Krug. Er trank, legte den Kops weit
zurück beim Trinken, und der Röhrenhut stieß wie ein Kanonenrohr
ins Abendrot, stieß ein dunkles Loch ins Abendrot. Aber dann vergaß
er zu zahlen, ging, rannte davon, Flüche und Gelächter kollerten hinter
ihm drein. Das Abendrot wurde feuriger; wenn er sich umsah, loderte
es wild um Himmel und Brücke. Aber bald sah er sich nicht mehr um.

Und als er tiefer in die Stadt hineinkam und auf einem Schild

eine Weinflasche ab-
gemalt erblickte, und
das Schild hing über
einer Haustüre, schob
er sich durch die dunkle
Haustüre in einen
schwachbeleuchteten
Flur, tappte sich vor-
wärts, öffnete eine
kleine Tür und stand
geblendet in einem
Zimmer, in einem
großen Zimmer, wo
viele, weißgedeckte
Tische taubenflügclig
blitzten. Er ging nicht
weit in das Zimmer
hinein, nur ein paar
Schritte, da war ein
leerer Tisch und ein
leerer Stuhl davor,
und schon saß er und
hakte auch schon die
Weinkarte inderHand.

Er fuhr mit dem
fetten Finger aus der
Karte aus und ab, die
Weinpreisleiter hinauf
und hinunter, und blieb
mit der Nagelknppc
irgendwo hängen. Der
Kellner brachte die be-
stellte Sorte, es war
ein spanischer Roter.
Er trank davon, in
langen, gurgelnden Zü-
gen und sah glücklich
um sich. Am Neben-
Register
Georg Britting: Das Märchen vom dicken Liebhaber
Friedrich (Fritz) Heubner: Das Märchen vom dicken Liebhaber
 
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