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J U G

53. JAHRGANG

T A V

VON THEOD

JEie das Meer, dachte La belle Liane, wie das Chinesische Meer,
daS daliegt in gläserner Stille, Sage und Wochen, und dann plötzlich
auskocht in wildem Ausbruch entfesselter Gewalten! Die Augen des
Kapitäns waren klein geworden; wie Dolche standen sie in seinem
Gesicht. Das Wort, das er ihr entgegengeschleudert, hatte sie nicht
verstanden; aber ihr Blut war alarmiert, und durch ihre Glieder
rann jähe Furcht.

Dann war sein Gesicht wieder wie Glas, wie alle die Sage, die
sie nun unterwegs sind, alle die Sage, in denen das Schiss sich unauf-
haltsam durch das Meer geschoben hatte. Der Kapitän steht neben
ihrem Liegestuhl, in weißer Sropenuniform, glatt rasiert, höflich; ec
hebt seine Hand und deutet aus den Horizont.

„Der Ball wird nicht stattsinden heute Abend, Mademoiselle", sagte
er dabei. La belle Liane sieht weit hinten im Kielwasser des Schisses
ein schwarzes Horn hineinstoßen inö Licht; sie sieht, wie nach wenigen
Sekunden schon das Ding riesige Ausmaße annimmt und den Himmel,
der wie weiche Seide ist, ausspießt.

„Ein Taifun", sagt der Kapitän.

„Und ich werde tanzen", sagt die schöne Liane. „Ich werde dennoch
tanzen! Und wenn niemand kommt, ganz allein, für den Kapitän!"

So war sie, eine Spielerin, die immer sich selbst einsetzte; und die
immer gewonnen hatte! Aus dem stillen Lyzeum in der Provence
hatte sie sich hochgespielt —- La belle Liane, gefeiert in drei Erdteilen!
Colombo, Kalkutta, Yokohama war der Kranz ihrer letzten Erfolge.

NR.38

FUN

O R P L I V I E R

In der japanischen Hafenstadt Kobe hatte sie sich eingeschisst auf dem
Luxusdampfer „Hitatschi Maru". Kausleute, Ingenieure, Beamte,
ein paar Missionare und ein Diplomat sind ihre Reisegefährten. Die
fitzen und saßen alle die Sage und spielten Poker, tranken Whisky
und Soda oder vergnügten sich an Deck beim Ringespiel. Sie kannte
alle, kannte jede Bewegung von ihnen . . .

Die ersten Schatten des aufziehenden Wetters gehen über das Schiff.
Die Rauchsäule, die sich aus dem Schornstein hoch in den Himmel
gehoben hatte, ist jetzt eine weite, wallende Fahne und wischt ganz
niedrig über das Wasser. Die Passagiere liegen auf rohrgeslochtenen
Liegestühlen und halten Siesta mit ihren Frauen — Khaki, wcipe
Anzüge, gelbe rohseidene Kleider! Auf niedrigen Tischchen stehen halb-
geleerte Gläser; Magazine, die müden Händen entglitten sind, liegen
ans dem saubergescheuerten Deck. Ein dicker Seehändler, die erkaltete
Zigarre zwischen den Zähnen, öffnet seine Augen und blinzelt über
das Meer, das dunkel und metallisch geworden ift. „Doktor," weckt
er seinen Nachbar, „Doktor, wir bekommen ein Wetterchen!"

Wenige Minuten später ist das Promenadendeck geräumt. Flinke
Stewards verstauen Stühle und Tische. Die Papagiere ftehen an der
Reeling, Einige sind aus ihren Kabinen gekommen, tragen Oelmäntel
und haben elegante Südwester auf ihren Köpfen. Vom sicheren Podium
des io ooo-TonnendampferS aus beobachten sie das Schauspiel des
aufdampfenden Orkans.

Oer Teehändler weiß die Geschichte einer Insel, über die ein Taifun

Hafendämme

(Linden-Verlag, München)

Dick Nyland
Register
Theodor Plivier (Plievier): Taifun
Dirk Nyland: Hafendämme
 
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