Eine nicht nur amerikanische Kurzgeschichte
Von Hans Arthur Thies
Hardy liebte Estelle.
Estelle war die Tochter eines Handschuh-
fabrikanten in Santa Fs und Hardy der
Sohn eines kanadischen Wildjägers. So waren
sie vom Schicksal füreinander vorausbestimmt,
und eS wäre alles gut gegangen, hätte sich
Hardy nicht in den Kopf gesetzt, Estelle — die
in der Tat recht hübsche Estelle — zur
schönsten Schönheit der Staaten zu machen.
Ihr dies in den Kops zu setzen, schien nicht
nötig. Sie lächelte schweigend, als Hardy ihr
feinen Entschluß mitteilte, und fuhr ihm mit
ihrer schlanken Hand durchs Haar.
Gleich ln die Konkurrenzen von Los Angeles
oder Miami einzutreken, verbot die Klugheit.
Aus diesen sashionablen Schönheitsbällen be-
klatschte das Publikum die Lieblinge, die es
durchsetzen wollte, bis zu einer Stunde;
Schönheiten, die weniger als dreißig Minuten
beklatscht wurden, hatten keine Aussicht. Dies
erwog Hardy, seine Hände betrachtend, und
kam zu dem Schluß, daß es besser sein
würde, in mittleren Städten anzusangen, wo
man mit zwanzig Minuten schon eine recht
nette Schönheit zustandebrachte. Auch würde
Estelle sich hier leichter in die ungewohnte
Aufgabe hineinsinden. So fuhren sie nach
Omaha, Atlanta, Indiana und in eine Reihe
anderer Binnenstädte.
Der Erfolg war gut. Esielle kam dank
Hardys Arbeit immer in die engste Wahl und
fast immer in die illustrierten Blätter. Die
Bilder betrachtete sich Estelle oft stundenlang
lächelnd, aber schweigend.
Dann an die Küste. Zum erstenmal Miami.
Nur ein enragierter Klatscher wie Hardy
konnte hier Estelle in den Pferch der engeren
Wahl treiben. Sein Klatsch war saftig, feist
und zischend, wenn auch, wie sich ergab, bei
dieser Konkurrenz ein wenig zu weich. Die
Picksord wurde erste, Estelle neunte. Sie
wäre mindestens dritte geworden, behauptete
Hardy, wenn sie nicht von der zweiundvier-
Aussperrung
Unsere Zukunft liegt in der Luft — — unsere Väter liegen auf der Straße
Jos. Qeis
Poincare oder Die ewige Wiederkehr
zigsten Minute an, wo das Klatschen etwas
nachzulassen begann, nervös geworden wäre.
Nach dieser Konkurrenz bekam Hardy eine
Nervententzündung in den inneren Hand-
stächen. Estelleö Karriere schien futsch. „Dafür
dieser lange Weg! Dafür meine ewige Angst,
meine Aufregung, mein gequältes Lächeln!"
rief Estelle, „um mitten auf dem Wege liegen
zu bleiben! Wenn ich nicht wüßte, daß du
alles nur halb machst!"
Aber jetzt wuchs in Hardy der Held. Er
verschaffte sich, als die Entzündung vorüber
war, einen Granitblock, dessen Buckelung sich
den Handstächen anfügte, und trainierte an
ihm, indem er ihn stundenlang beklatschte.
Seine Hände wurden breit und breiter, setzten
Schwielen an und wurden hart wie der Stein
selbst. Ihr Klatsch war hark, knallend und
aufreizend, niemand konnte ihrem animieren-
den Schlag widerstehen.
Je formidabler Hardys Hände wurden,
desto schöner wurde Estelle. Nach anderthalb
Jahren stand sie im vordersten Schock der
Weltschönheiten.
„Höre, wir müssen mit meiner Schönheit
stoppen," sagte sie kurz vor Los Angeles zu
Hardy, „steh deine Hände an! Was für
Hände kriegst du!"
In Los Angeles wurde Estelle dritte.
Hardys Morgenarbeit bewährte sich. Jetzt
stand nur noch die WeltauSscheidungSkonkur-
renz in Galveston bevor.
Aber Estelle weigerte sich mitzufahren. Es
war in Los Angeles, am Abend nach ihrem
großen Sieg, auf der Hotelterrasse. „Ich kann
nicht mehr", sagte sie einfach.
„Aber warum? Wieso?" fragte Hardy
aufgeregt.
Estelle starrte vor sich hin. „Es ist ja alles
ein solcher Unsinn," sprach sie regungslos,
<Forts. S, 782>
780
Von Hans Arthur Thies
Hardy liebte Estelle.
Estelle war die Tochter eines Handschuh-
fabrikanten in Santa Fs und Hardy der
Sohn eines kanadischen Wildjägers. So waren
sie vom Schicksal füreinander vorausbestimmt,
und eS wäre alles gut gegangen, hätte sich
Hardy nicht in den Kopf gesetzt, Estelle — die
in der Tat recht hübsche Estelle — zur
schönsten Schönheit der Staaten zu machen.
Ihr dies in den Kops zu setzen, schien nicht
nötig. Sie lächelte schweigend, als Hardy ihr
feinen Entschluß mitteilte, und fuhr ihm mit
ihrer schlanken Hand durchs Haar.
Gleich ln die Konkurrenzen von Los Angeles
oder Miami einzutreken, verbot die Klugheit.
Aus diesen sashionablen Schönheitsbällen be-
klatschte das Publikum die Lieblinge, die es
durchsetzen wollte, bis zu einer Stunde;
Schönheiten, die weniger als dreißig Minuten
beklatscht wurden, hatten keine Aussicht. Dies
erwog Hardy, seine Hände betrachtend, und
kam zu dem Schluß, daß es besser sein
würde, in mittleren Städten anzusangen, wo
man mit zwanzig Minuten schon eine recht
nette Schönheit zustandebrachte. Auch würde
Estelle sich hier leichter in die ungewohnte
Aufgabe hineinsinden. So fuhren sie nach
Omaha, Atlanta, Indiana und in eine Reihe
anderer Binnenstädte.
Der Erfolg war gut. Esielle kam dank
Hardys Arbeit immer in die engste Wahl und
fast immer in die illustrierten Blätter. Die
Bilder betrachtete sich Estelle oft stundenlang
lächelnd, aber schweigend.
Dann an die Küste. Zum erstenmal Miami.
Nur ein enragierter Klatscher wie Hardy
konnte hier Estelle in den Pferch der engeren
Wahl treiben. Sein Klatsch war saftig, feist
und zischend, wenn auch, wie sich ergab, bei
dieser Konkurrenz ein wenig zu weich. Die
Picksord wurde erste, Estelle neunte. Sie
wäre mindestens dritte geworden, behauptete
Hardy, wenn sie nicht von der zweiundvier-
Aussperrung
Unsere Zukunft liegt in der Luft — — unsere Väter liegen auf der Straße
Jos. Qeis
Poincare oder Die ewige Wiederkehr
zigsten Minute an, wo das Klatschen etwas
nachzulassen begann, nervös geworden wäre.
Nach dieser Konkurrenz bekam Hardy eine
Nervententzündung in den inneren Hand-
stächen. Estelleö Karriere schien futsch. „Dafür
dieser lange Weg! Dafür meine ewige Angst,
meine Aufregung, mein gequältes Lächeln!"
rief Estelle, „um mitten auf dem Wege liegen
zu bleiben! Wenn ich nicht wüßte, daß du
alles nur halb machst!"
Aber jetzt wuchs in Hardy der Held. Er
verschaffte sich, als die Entzündung vorüber
war, einen Granitblock, dessen Buckelung sich
den Handstächen anfügte, und trainierte an
ihm, indem er ihn stundenlang beklatschte.
Seine Hände wurden breit und breiter, setzten
Schwielen an und wurden hart wie der Stein
selbst. Ihr Klatsch war hark, knallend und
aufreizend, niemand konnte ihrem animieren-
den Schlag widerstehen.
Je formidabler Hardys Hände wurden,
desto schöner wurde Estelle. Nach anderthalb
Jahren stand sie im vordersten Schock der
Weltschönheiten.
„Höre, wir müssen mit meiner Schönheit
stoppen," sagte sie kurz vor Los Angeles zu
Hardy, „steh deine Hände an! Was für
Hände kriegst du!"
In Los Angeles wurde Estelle dritte.
Hardys Morgenarbeit bewährte sich. Jetzt
stand nur noch die WeltauSscheidungSkonkur-
renz in Galveston bevor.
Aber Estelle weigerte sich mitzufahren. Es
war in Los Angeles, am Abend nach ihrem
großen Sieg, auf der Hotelterrasse. „Ich kann
nicht mehr", sagte sie einfach.
„Aber warum? Wieso?" fragte Hardy
aufgeregt.
Estelle starrte vor sich hin. „Es ist ja alles
ein solcher Unsinn," sprach sie regungslos,
<Forts. S, 782>
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