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33. JAHRGANG
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19 2 8
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NR. 5 0
SCHONE BESC H IE IR U N C
VON A M. FREy
Eingedenk der Mahnung aller Geschäftsleute, das Publikum möge
seine WeihnachtSeinkäuse rechtzeitig tätigen, schnupperte Duktor Ofen
schon drei Wochen vor dem Fest umher.
Es sollte ihm nicht wieder so gehen wie im verflossenen Jahr, wo
er fünf Minuten vor Heiligabend für seine Freundin nach immer
gehetzterem Suchen in einem letzten Ledergeschäft, während bereits
die Rolläden herunterrasselten, eine letzte Ledertasche gekauft hatte,
deren Futter sich dann unter dem Christbaum als zerschlissen erwies.
Inge hatte mit herzbewegenden Vorwurfsaugen das Futter und ihn
angestarrt. „Hanns? Im Ausverkauf? Mehr bin ich dir nicht wert?"
— und als er flammend protestierte — „überhaupt habe ich mir
doch etwas Lebendiges gewünscht, irgend so ein schickes Vieh, ein
Aeffchen oder ein Zwergkänguruh . . ."
Gut, sich mit Tieren zu umgeben, war mittlerweile erst große
Mode geworden. Die Unzahl der Hunde löste auf ihre Weise fast
die Frage des Geburtenrückgangs, im übrigen aber waren sie lang-
weilig geworden, die Kläffer, man propagierte neuerdings Geparde
und eine winzige Art von Robben, die, gut gedrillt, auf der Straße
immerhin so flink vom Fleck kamen wie ein feister Dackel. Sollte
er so etwas schenken?
Ofen hatte aber auch eine schmuckliebende Freundin. Das heißt,
die beiden Sehnsüchte waren in einem Persönchen vereinigt. Ließen
sic sich nicht durch ein Objekt befriedigen? Gewiß, da gab es taler-
große Schildkröten, die mit Edelsteinen besetzt waren und an Platin-
ketten herumbaumelten. Aber die hatte es schon einmal in der Ge-
schichte der Mode gegeben. Sie schienen Ofen nicht originell genug.
Dennoch blieb er vor so einem Juwelierladen stehen — etwas
anderes, offenbar ganz Neues fesselte ihn: „Die Kleopatraschlange".
Da waren in einem Kristallvitrinchen Reptilien zu sehen von
märchenhaftem Glanz. Als habe stüssiger Smaragd sich vereint mit
flüssigem Gold — so glitt es grünglitzernd dahin . . . Doktor Ofen
war fasziniert. Er zählte fünf dieser rätselvollen
Tiere — mit rubinroten Augen. Er lag noch
einmal: „Neuestes Schmuckstück. Näheres im
Laden." Er dachte: Wieso denn Schmuckstück?
Soll man eö in einem Glastopf mit sich herum-
schleifen?
Da trat er schon ein. — „Ja gewiß, glatt
als Schmuck zu tragen, mein Herr," lächelte die
verkaufende Dame überlegen. „Wir sind dies
Erstaunen unserer Kunden gewöhnt. Höchst
einfach ist die Sache: man läßt das Tier sich
um den Arm, die Wade, den Oberschenkel
winden, fixiert es, trägt es, solange man will,
und löst es wieder aus feiner Erstarrung."
„Aber ich sehe nicht ein —*
„Ich weiß," lächelte die Dame, „weshalb
wir Ihnen nicht weiter das übliche Schlangen-
armband verkaufen? Sie sind noch nicht dazu
gekommen, sich die horrenden Vorteile des leben-
den Reptils klar zu machen: Anpassung an jeden
Gliederumfang; Möglichkeit der Trägerin, dem
Objekt individuelle Form zu geben; unüber-
treffliche Naturtreue, weil es ja, mein Herr, die
Natur selber ist."
„Woher stammt das Tier — und ist es un-
gefährlich? Weihnachtscinkiiufc
„Es stammt aus Hinterbirma und ist garantiert giftfrei gemacht.
Der irisierende Kloisonnöeglanz aus edelsten Stosten ist das geheime
LegierungSverfahren eines spanischen Goldschmiedes — aber teuer
wird das Tier weniger durch feine Bearbeitung, als wegen seiner
Seltenheit und schwierigen Beschaffung. Denn nur diese birmanische
Pakoka eignet sich zur sicheren Hervorrufung der Katalepsie."
„Der — wie?"
Die Dame lächelte immer triumphierender. „Auf die Zuverlässig-
keit der Starrsucht kommt es doch an. Man ruft sie spielend hervor.
Befürchten Sie kein umständliches Manöver. Gebrauchsanweisung
liegt jedem verkauften Exemplar bei."
Die Dame ergrist eines der Tierchen ain Schwanz. Es zischte und
ringelte sich um ihr Gelenk. Sie versetzte ihm einen leichten Schlag
irgendwohin — und es rührte sich nicht mehr. Doktor Ofen durfte
es anfassen: es war kühl, scheinbar tot, elastisch gleich Hartgummi,
wie mit einer Spiralfeder an Stelle deö Skeletteg. Die Dame ver-
abreichte wieder einen leichten Schlag irgendwohin — und schon
schob eg sich mit grünknisterndem Feuer vort der Stelle.
Ofen war entschlossen, zu kaufen. Es ging gerade noch: die Brief-
tasche mußte ihr Aeußersteg hergeben.
„Ist die Dame blond oder schwarz?"
„Weizenblond."
„Dann nehmen wir dieses hellere Grüngold. ■— Das rote Auge,
mein Herr, ist übrigens naturwahr. Die Augen sind nicht präpariert.
Keine Jntarsie. Die Tiere können sehen. DaS ist wichtig, sie ringeln
sich erfahrungsgemäß anmutiger als geblendete Steingeschmückte, wie
sie eiüe andere Firma in den Handel bringt."
Etwas wirr klemmte Doktor Ofen ein Terrarium in Größe einer
Zigarrenkiste — Wohnung feiner Schlange — unter den Arm und
wollte sich empfehlen, als ihn die Dame noch einmal zurückrief.
„Sie finden alles
J.Straub
aber auch alles in der Gebrauchsanweisung,
so daß wir, gleich sei es gesagt, spätere
Reklamationen nicht berücksichtigen können.
Dennoch möchte ich Ihnen praktisch noch einen
Wink geben, da es auf die Dosierung des
Stübers ankommt. Sie werden das zu Hause
ein wenig üben müssen."
„Worauf kommt eö an?"
„Auf den richtigen Maulstüber, der die
Starrheit auslöst. — Sehen Sie: etwa in dieser
Intensität."
Und die Dame schnippte dem Doktor ihren
reizenden Zeigefinger mittelkräftig gegen die
Nase. Sie schien Fixierungen glänzend zu ver-
stehen: Ofen blieb wie angewurzelt; er fragte
sich entsetzt, ob er nun selber kataleptisch sei —
und war eö, solange er fragte. Unter freund-
lichem Zuspruch konnte er sich endlich losreißen
und nach Haufe wandern.
Die nächste Zeit verging mit Betreuung des
SchlängleinS. Er ließ sie sich Bewegungen
machen auf dem Schreibtisch; er gab Tau-
tropfen, die eine Nacht auf Rosenblättern
geruht hatten, zu trinken. Füttern sollte man
bloß einmal monatlich, hatte die Dame be-
fohlen. Im Januar wieder. Dis ins neue Jahr
hinein war man also diese Sorge los.
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SCHONE BESC H IE IR U N C
VON A M. FREy
Eingedenk der Mahnung aller Geschäftsleute, das Publikum möge
seine WeihnachtSeinkäuse rechtzeitig tätigen, schnupperte Duktor Ofen
schon drei Wochen vor dem Fest umher.
Es sollte ihm nicht wieder so gehen wie im verflossenen Jahr, wo
er fünf Minuten vor Heiligabend für seine Freundin nach immer
gehetzterem Suchen in einem letzten Ledergeschäft, während bereits
die Rolläden herunterrasselten, eine letzte Ledertasche gekauft hatte,
deren Futter sich dann unter dem Christbaum als zerschlissen erwies.
Inge hatte mit herzbewegenden Vorwurfsaugen das Futter und ihn
angestarrt. „Hanns? Im Ausverkauf? Mehr bin ich dir nicht wert?"
— und als er flammend protestierte — „überhaupt habe ich mir
doch etwas Lebendiges gewünscht, irgend so ein schickes Vieh, ein
Aeffchen oder ein Zwergkänguruh . . ."
Gut, sich mit Tieren zu umgeben, war mittlerweile erst große
Mode geworden. Die Unzahl der Hunde löste auf ihre Weise fast
die Frage des Geburtenrückgangs, im übrigen aber waren sie lang-
weilig geworden, die Kläffer, man propagierte neuerdings Geparde
und eine winzige Art von Robben, die, gut gedrillt, auf der Straße
immerhin so flink vom Fleck kamen wie ein feister Dackel. Sollte
er so etwas schenken?
Ofen hatte aber auch eine schmuckliebende Freundin. Das heißt,
die beiden Sehnsüchte waren in einem Persönchen vereinigt. Ließen
sic sich nicht durch ein Objekt befriedigen? Gewiß, da gab es taler-
große Schildkröten, die mit Edelsteinen besetzt waren und an Platin-
ketten herumbaumelten. Aber die hatte es schon einmal in der Ge-
schichte der Mode gegeben. Sie schienen Ofen nicht originell genug.
Dennoch blieb er vor so einem Juwelierladen stehen — etwas
anderes, offenbar ganz Neues fesselte ihn: „Die Kleopatraschlange".
Da waren in einem Kristallvitrinchen Reptilien zu sehen von
märchenhaftem Glanz. Als habe stüssiger Smaragd sich vereint mit
flüssigem Gold — so glitt es grünglitzernd dahin . . . Doktor Ofen
war fasziniert. Er zählte fünf dieser rätselvollen
Tiere — mit rubinroten Augen. Er lag noch
einmal: „Neuestes Schmuckstück. Näheres im
Laden." Er dachte: Wieso denn Schmuckstück?
Soll man eö in einem Glastopf mit sich herum-
schleifen?
Da trat er schon ein. — „Ja gewiß, glatt
als Schmuck zu tragen, mein Herr," lächelte die
verkaufende Dame überlegen. „Wir sind dies
Erstaunen unserer Kunden gewöhnt. Höchst
einfach ist die Sache: man läßt das Tier sich
um den Arm, die Wade, den Oberschenkel
winden, fixiert es, trägt es, solange man will,
und löst es wieder aus feiner Erstarrung."
„Aber ich sehe nicht ein —*
„Ich weiß," lächelte die Dame, „weshalb
wir Ihnen nicht weiter das übliche Schlangen-
armband verkaufen? Sie sind noch nicht dazu
gekommen, sich die horrenden Vorteile des leben-
den Reptils klar zu machen: Anpassung an jeden
Gliederumfang; Möglichkeit der Trägerin, dem
Objekt individuelle Form zu geben; unüber-
treffliche Naturtreue, weil es ja, mein Herr, die
Natur selber ist."
„Woher stammt das Tier — und ist es un-
gefährlich? Weihnachtscinkiiufc
„Es stammt aus Hinterbirma und ist garantiert giftfrei gemacht.
Der irisierende Kloisonnöeglanz aus edelsten Stosten ist das geheime
LegierungSverfahren eines spanischen Goldschmiedes — aber teuer
wird das Tier weniger durch feine Bearbeitung, als wegen seiner
Seltenheit und schwierigen Beschaffung. Denn nur diese birmanische
Pakoka eignet sich zur sicheren Hervorrufung der Katalepsie."
„Der — wie?"
Die Dame lächelte immer triumphierender. „Auf die Zuverlässig-
keit der Starrsucht kommt es doch an. Man ruft sie spielend hervor.
Befürchten Sie kein umständliches Manöver. Gebrauchsanweisung
liegt jedem verkauften Exemplar bei."
Die Dame ergrist eines der Tierchen ain Schwanz. Es zischte und
ringelte sich um ihr Gelenk. Sie versetzte ihm einen leichten Schlag
irgendwohin — und es rührte sich nicht mehr. Doktor Ofen durfte
es anfassen: es war kühl, scheinbar tot, elastisch gleich Hartgummi,
wie mit einer Spiralfeder an Stelle deö Skeletteg. Die Dame ver-
abreichte wieder einen leichten Schlag irgendwohin — und schon
schob eg sich mit grünknisterndem Feuer vort der Stelle.
Ofen war entschlossen, zu kaufen. Es ging gerade noch: die Brief-
tasche mußte ihr Aeußersteg hergeben.
„Ist die Dame blond oder schwarz?"
„Weizenblond."
„Dann nehmen wir dieses hellere Grüngold. ■— Das rote Auge,
mein Herr, ist übrigens naturwahr. Die Augen sind nicht präpariert.
Keine Jntarsie. Die Tiere können sehen. DaS ist wichtig, sie ringeln
sich erfahrungsgemäß anmutiger als geblendete Steingeschmückte, wie
sie eiüe andere Firma in den Handel bringt."
Etwas wirr klemmte Doktor Ofen ein Terrarium in Größe einer
Zigarrenkiste — Wohnung feiner Schlange — unter den Arm und
wollte sich empfehlen, als ihn die Dame noch einmal zurückrief.
„Sie finden alles
J.Straub
aber auch alles in der Gebrauchsanweisung,
so daß wir, gleich sei es gesagt, spätere
Reklamationen nicht berücksichtigen können.
Dennoch möchte ich Ihnen praktisch noch einen
Wink geben, da es auf die Dosierung des
Stübers ankommt. Sie werden das zu Hause
ein wenig üben müssen."
„Worauf kommt eö an?"
„Auf den richtigen Maulstüber, der die
Starrheit auslöst. — Sehen Sie: etwa in dieser
Intensität."
Und die Dame schnippte dem Doktor ihren
reizenden Zeigefinger mittelkräftig gegen die
Nase. Sie schien Fixierungen glänzend zu ver-
stehen: Ofen blieb wie angewurzelt; er fragte
sich entsetzt, ob er nun selber kataleptisch sei —
und war eö, solange er fragte. Unter freund-
lichem Zuspruch konnte er sich endlich losreißen
und nach Haufe wandern.
Die nächste Zeit verging mit Betreuung des
SchlängleinS. Er ließ sie sich Bewegungen
machen auf dem Schreibtisch; er gab Tau-
tropfen, die eine Nacht auf Rosenblättern
geruht hatten, zu trinken. Füttern sollte man
bloß einmal monatlich, hatte die Dame be-
fohlen. Im Januar wieder. Dis ins neue Jahr
hinein war man also diese Sorge los.