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WintcrlaIIdschnft (Mit Genehmigung des KunstsalonS Herm. Abels, Köln) Werner Pc,ner

Aber den Stüber übte er täglich, zweifelnd, ob er auf dem rechten
Wege sei, vorerst nur an seiner Kätzin Mira, die dadurch freilich
nicht erstarrte, sondern innerlich immer empörter wurde, bis sie eines
Tages zu lautestem Protest Anlaß hakte, denn Doktor Ofen, der
hereinstürzte, fand sie umwunden von der ihrem Behälter rätselhaft
entschlüpften Schlange. Hier galt es nun zu handeln und endlich die
Probe zu bestehen! Schnell schnalzte er den Finger gegen den Glitzer-
kopf der Pakoka — und sie blieb ivie oersteint. Er hatte reüssiert.
Das erfüllte ihn mit herzlichem Vertrauen. Aber wie er nun diese
Sorte von Laokoongruppe weiter betrachtete (die Katze, an den
Hinterbeinen umwickelt, konnte sich nicht fortbewegen), fiel ihm ein,
daß er keineswegs wußte, wie der Bann zu lösen sei.

Er suchte die Gebrauchsanweisung — und fand sie nicht. Er
verschnürte der Mira, damit sie nicht an der Schlange nagen könne,
das Gebiß, sperrte beide in den Kleiderschrank und rannte zum
Juwelier.

Die Dame empfing ihn ungnädig. Die Anweisung zu verlieren, sei
sehr bedenklich. Hier sei für ihn ausnahmsweise eine neue. Die
Lösung der Starre? Ein leichter Schlag auf das Schwanzende. Sie
brauche das wohl nicht vorzumachen. Er möge eilen und die arme
Katze befreien.

Ofen eilte und befreite, Und begrüßte den ganzen Zwischenfall
schließlich als Beweis dafür, wie schön doch alles klappte. Bis zum
Weihnachtsabend geschah nichts Schlimmes mehr, nur daß die
Schlange träger wurde und viel schlief.

Er fragte deshalb beim Juwelier noch einmal an, telephonisch. —
Das fei nicht beunruhigend; Kaltblütler dösten gern. Die Außen-
temperatur nicht unter plus 20 sinken lassen, sonst sei freilich ein
Todesschlaf —. Ja, und wie das mit der Speisung wäre, da sei
in der Anweisung die Rede von tropischen Tausendfüßlern als einzig

brauchbarem Futter; wo man sich denn die beschaffe? — Bei der
Kleintierfirma KloppS in Adelaide, über den Luftweg.

Leise seufzend hing Ofen ein. Etwas umständlich war das mit der
Atzung, aber sie galt erst für den Januar, und sie würde Sache der
beschenkten Inge sein.

So war denn der Weihnachtsabend eines Abends da. Ehe Ofen
hochgemut das kleine Terrarium innerhalb seines Pelzes verpackte,

sah er noch einmal verliebt hinein-und sah etwas Auffallendes,

hier auffallend durch blnscheinbackeit: nämlich eine Art biederer

Blindschleiche, keinen Glitzerleib mehr; daneben ein Häufchen flimmern-
den Staubes und ein paar stoffartige Fetzen, die erstorben glänzten.

Als könne ihm die Gebrauchsanweisung schnell helfen, so sehr griff
er nach ihr. Wirklich, sie half, wie er sie nun genau studierte. In
einer leicht übersehbaren Anmerkung stand zu lesen: „In sehr seltenen
und ungünstigen, dann aber nicht zu vermeidenden Fällen häutet ßch
die Schlange. Dem Phänomen geht große Schläfrigkeit voraus.
Gegen die Häutung wird keinerlei Garantie übernommen. Iß ße
erfolgt, dann Vorsicht! Denn man hat beobachtet, daß mit der neuen
Haut Giftigkeit wiederkehren kann."

Doktor Ofen kniff die Lippen übermenschlich beherrscht zusammen
und stellte den Schlangenbehälter vors Fenster hinaus in die Wintcr-
nacht. — Soll sie nun erstarren durch Kälte, dachte er. Nach den
Feiertagen vermache ich sie dem zoologischen Garten.

Dann rannte er los um ein Weihnachtsgeschenk für die Freundin.
In einem gerade noch offenen Ledergeschäft fand er eine allerletzte,
imponierend teure Tasche. Er überzeugte sich genauestenS von ber
Tadellosigkeit der Außen- und Jnnenarbeit, besonders des Seiden-
futters. Dafür war der Verschluß kaputt. Aber das stellte sich crff
heraus unter dem Tannenbaum und unter den von Enttäuschungs-
tränen übersprudelten Augen Inges.
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Werner Peiner: Winterlandschaft
 
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