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Des deutschen Familienvaters W e i h n a c h t s - A1 p

„Hast du auch keinen deiner 173 Angehörigen vergessen?"

so daß ec sich sodann, selbst gänzlich ahnungs-
los, >vie der heilige (jpfef ausnahm.

Heute war der letzte Schultag vor den
Weihnachtsferien. Draußen, vor den trüben
Fenstern sank langsam und geräuschlos stok-
kiger Schnee zur Erde herab und schuf die
wahre, richtige Weihnachtsstimmung.

Für diese letzte Stunde vor dem Flug in
die süße Freiheit von ganzen zehn Tagen war
die Prima unter Führung des langen, an Ein-
fällen so reichen Lauterbach auf einen ganz
besonderen Ulk gekommen; ein Spaß sollte
es werden, der seinesgleichen suchen mußte.
Hinter der letzten Bank hatten die Jungen
einen ansehnlichen Weihnachtsbaum verbor-
gen, geschmückt mit Wachskerzlein und aller-
lei billigem Tand. Der wurde nun während
der Pause hervorgeholt und mitten auf dem
Pulte deS Lehrers aufgepslanzt. Zwei Buben

aber standen bei der Türe Wache, damit keine
Störung eintreten könne.

Flugs ließen sie die Vorhänge an den
Fenstern alle herab, und als nun ein Licht nach
dem anderen an der kleinen Tanne auf-
slammte, gröhlte die ganze Klasse in Hellem
Entzücken. Eben als sie mit diesen Vor-
bereitungen fertig waren, ging die Pause zu
Ende, und die Glocke auf dem Gange draußen
sandte ihren schrillen Klang durch das ganze
Haus. In Eile huschten die Jungen wieder
auf ihre Plätze und saßen dort, atemlos vor
Spannung auf die Dinge wartend, die da
kommen sollten.

Ruhig und friedlich brannten die Kerzen
auf dem Baume, mit dem Dufte des Harzes
und Wachses schwebte der unnennbare Zauber
der Weihnacht durch den Raum, und mancher
der Buben vergaß dabei völlig, daß es einem

Ulk galt, daß man dem guten Schnlerus einen
Streich spielen wollte.

Dieser ging unterdes ahnungslos auf dem
langen kalten Gang draußen auf und nieder,
dachte hin und dachte her, daß er über Weih-
nachten wohl hier in der kleinen Stadt bleiben
würde, da er ja außer einem verheirateten
Bruder in der Hauptstadt keinen Verwandten
besaß. Und mit dem stand er sich auch nicht
zum besten. Da würde der Weihnachtsabend
für ihn, den alternden Junggesellen, wohl recht
einsam und traurig werden. Ob der geliebte
Homer auch darüber hinwegzuhelfen imstande
war? Wohin waren die Tage der eigenen
glücklichen Kindheit entschwunden?

Doll dieser trüben Gedanken öffnete Johann
Schulerus langsam die Tür zu seiner Prima
und blieb dort gebannt stehen.

(Fortsetzung (3. 8oi)

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Friedrich (Fritz) Heubner: Des deutschen Familienvaters Weihnachts-Alp
 
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