DOI Heft:
Nr. 50
DOI Seite / Zitierlink:https://doi.org/10.11588/diglit.6776#0802
E. v. Kreibie
„Seht ihr, liebe Leute, heute komme ich als Christkind: Alle
Jahre wieder-!"
„S o ängstlich brauchen'se sich nich an Termine zu halten,
Frau Meier!"
Zum heiligen Abend war ich bei Pritzwalls eingeladen.
Sie kennen die Familie; es sind die reichsten Leute unserer Stadt.
Ein Weihnachtsabend bei Pritzwalls mußte etwas ganz Besonderes
werden.
Und ob es etwas Besonderes wurde!
Als wir siebzig geladenen Gäste uns in der Vorhalle der prächtigen
Villa versammelt hatten, erschien Herr Pritzwall und hielt folgende
Ansprache:
„Verehrte Anwesende! Ich werde Ihnen heute ein Weihnachtsfest
mir allem Komfort der Neuzeit vorführen, mit allen technischen Er-
rungenschaften des letzten Jahrzehnts, und ich hoffe. Sie locrden sich
recht gut amüsieren!"
Dann drückte er auf einen Knopf; die Wände glitten langsam aus-
einander, während ein Siemens-Großlautsprecher „D du fröhliche"
.instimmte, von den Don-Kosaken gesungen. Wieder drückte Herr
Pritzwall auf einen Knopf, und zwölf riesige Scheinwerfer beleuchteten
einen ungeheuren Betonkegel, der im Nebenzimmer aufragte.
„Mein Weihnachtsbaum!" sagte Herr Pritzwall stolz. „Von Künst-
lern des Bauhauses entworfen, von einer Spezialfrrma ausgefühct.
Kennwort ,Neue Sachlichkeit'. Ein Wunderwerk der Technik."
Und schon begann das Betongebirge — oder vielmehr der Wcih-
nachtsbaum —- sich zu drehen. Erst langsam, dann immer schneller —
immer schneller. Es konnte einem beinahe schwindlig werden.
„Er macht jetzt dreitausend Umdrehungen in der Minute", sagte
Herr Pritzwall. Im selben Augenblick flammten an dem seltsamen
Christbaum auch die Kerzen auf, rote, blaue, grüne, gelbe — dazu
intonierten vier Jazzkapellen „Am Weihnachtsbaum dieLichter brennen".
Lei etrvaigenBestellungen bittet man auf die Münchner „Jugend“ Bezug zu nehn tu
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1928 / JUGEND Nr.50
„Seht ihr, liebe Leute, heute komme ich als Christkind: Alle
Jahre wieder-!"
„S o ängstlich brauchen'se sich nich an Termine zu halten,
Frau Meier!"
Zum heiligen Abend war ich bei Pritzwalls eingeladen.
Sie kennen die Familie; es sind die reichsten Leute unserer Stadt.
Ein Weihnachtsabend bei Pritzwalls mußte etwas ganz Besonderes
werden.
Und ob es etwas Besonderes wurde!
Als wir siebzig geladenen Gäste uns in der Vorhalle der prächtigen
Villa versammelt hatten, erschien Herr Pritzwall und hielt folgende
Ansprache:
„Verehrte Anwesende! Ich werde Ihnen heute ein Weihnachtsfest
mir allem Komfort der Neuzeit vorführen, mit allen technischen Er-
rungenschaften des letzten Jahrzehnts, und ich hoffe. Sie locrden sich
recht gut amüsieren!"
Dann drückte er auf einen Knopf; die Wände glitten langsam aus-
einander, während ein Siemens-Großlautsprecher „D du fröhliche"
.instimmte, von den Don-Kosaken gesungen. Wieder drückte Herr
Pritzwall auf einen Knopf, und zwölf riesige Scheinwerfer beleuchteten
einen ungeheuren Betonkegel, der im Nebenzimmer aufragte.
„Mein Weihnachtsbaum!" sagte Herr Pritzwall stolz. „Von Künst-
lern des Bauhauses entworfen, von einer Spezialfrrma ausgefühct.
Kennwort ,Neue Sachlichkeit'. Ein Wunderwerk der Technik."
Und schon begann das Betongebirge — oder vielmehr der Wcih-
nachtsbaum —- sich zu drehen. Erst langsam, dann immer schneller —
immer schneller. Es konnte einem beinahe schwindlig werden.
„Er macht jetzt dreitausend Umdrehungen in der Minute", sagte
Herr Pritzwall. Im selben Augenblick flammten an dem seltsamen
Christbaum auch die Kerzen auf, rote, blaue, grüne, gelbe — dazu
intonierten vier Jazzkapellen „Am Weihnachtsbaum dieLichter brennen".
Lei etrvaigenBestellungen bittet man auf die Münchner „Jugend“ Bezug zu nehn tu
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1928 / JUGEND Nr.50