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maus

VON PAUL CLAUDEL

Es ist nicht alles wohlbesiellt im Haushalt von Animus und Aniuia,
dem Geiste und der Seele. Die Zeit ist fern, der Honigmond war bald
vorbei, da Anima nach Herzenslust drauslos schwatzen konnte und
Animnö ihr mit Entzücken zuhörte. Schließlich, ist es nicht Anima,
die die Aussteuer mitgebracht hat und den Haushalt instand hält?
Aber Animus gefiel sich nicht lange in der untergeordneten Rolle, und
bald hat er seine wahre Natur enthüllt, die eitel ist, herrschsüchtig und
pedantisch. Anima ist unwissend und dumm, he war nie zur Schule
gegangen, während Animus eine Menge Dinge weiß, er hat eine
Menge Dinge in den Büchern gelesen .. . seine Freunde sagen, man
könne nicht besser sprechen, als er spreche. . . Anima darf kein Wort
mehr sagen, er weiß besser als sie, was sie sagen will. Animus ist nicht
treu, aber das hindert ihn nicht, eifersüchtig zu sein, denn er weiß im
Grunde wohl (nein, er hat es am Ende vergessen), daß Anima es ist,
die das ganze Vermögen besitzt, er ist ein Bettler und" lebt von dem,
was sie ihm gibt. Auch hört er nicht aus, sie auSzubeuten und sie zu

guälen, um Geld von ihr zu erpressen ... Eie bleibt schweigend zu
Hause, sie besorgt die Küche und hält alles sauber, so gut sic kann. . .
Im Grunde ist AnimuS ein Bürger, der es liebt, immer die gleichen
Gerichte hingestellt zu bekommen . .. Aber eS ereignet sich etivaö
Drolliges ... Eines Tages kommt Animus unvermutet Heini... Er
hat Anima gehört, die ganz allein, hinter verschlossener Tür, ein selt-
sames Lied sang, etwas, das er nicht kannte, wozu er. keine Noten fand
und keine Worte und keinen Schlüssel, ein fremdes und wundervolles
Lied . . . Seitdem hat er auf manche Weise versucht, sich's wiederholen
zu lassen, aber Anima will ihn nicht verstehen, sie schweigt, sobald er
sic ansieht. Die Seele schweigt, sobald der Geist sie betrachtet. Da hat
sich Animus eines Tricks bedient, um sie glauben zu machen, er sei nicht
da. . . Langsam beruhigt sich Anima, sie schaut um sich, sic horcht,
sie schöpft Atem, sie glaubt sich allein, und lautlos öffnet sie ihrem
göttlichen Geliebten die Tür.

tldeutscl, von C y r i I M a I o >

Oer (Vhenfcl,

Von Wolf von Arnim

Winternacht über sibirischer Steppe; unbe-
schreibliche Klarheit; wie grüne, rote und weiße
Edelsteine auf tiefblauem Sammet funkelten
die Sterne; bläulich war der Schnee; die Ebene
verlor sich in seltsam silbriger Ungewißheit.

Ein dunkler Schatten tauchte auü dem
Nebel aus. Gleitend, fliegend kam er näher
und nahm feste Formen an: eine Troika. In
der namenlosen Stille klangen der dumpfe
Hufschlag, das zornigverhaltene Knirschen der
breiten Schlittenkufen wie mächtige Eisen-
hämmer und der gleichmäßige Strich einer
Säge, die einen gewaltigen Baumriesen zerteilt.

Ein bärtiger, pelzverhüllter Mann führte
stehend die Zügel. Hinter ihm lagen zwei Ge-
stalten, kaum sichtbar, in Stroh und Decken
vergraben: das Weib des Bauern und ein
junger Mann, der vor Wochen, um Brot und
ein warmes Nachtlager bittend, Einzug auf
dem einsamen Gehöft gehalten.

Oft kamen Fremde in diesen unruhigen
Zeiten in die Steppendörfer, heimlich und
scheu meist. Man fragte nicht, woher sic
kamen, wohin sie zogen; sie ruhten sich aus
und gingen wieder, ohne ihre Namen genannt
zu haben. Dieser aber blieb, arbeitete, und
machte sich dem trägen Bauern unentbehrlich.

Die Pferde kannten den Weg. Stumpfen
Blickes starrte der Bärtige vor sich hin, als
wären seine Augen nach innen gekehrt. Plötz-
lich erwachte er:

„Manja, Manjuschka, mein Täubchen,
frierst du? Der Weg ist noch weit — sehr
weit. — Nein, nein, du frierst nicht, du hast
einen Ofen bei dir, einen heißen Ofen; ja, die
jungen Lassen, die haben heißes Blut." Miß-
trauisch drehte er sich um. Das Weib ant-
wortete nicht; der Junge schien zu schlafen.
Scheinbar beruhigt wendete sich der Bauer
wieder zu den Pferden und trieb sie mit
lautem Schnalzen, zur Eile an. Bald aber
kamen die alten Zweifel wieder: Sie sind
schlau und vorsichtig, dachte er.

,,Manja, warum warst du so erhitzt und

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Register
Oswald Voh: Im Schlitten
Paul Claudel: Animus und Anima
Wolf v. Arnim: Der Mensch in der Steppe
 
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