Wilhelm Thöny-Qraz
verwirrt, als ich vorige Woche vom Markt
heimkam? Willst du mir das nicht sagen?"
— Die Frau hob den Kopf aus dem Stroh:
„Was redest du da wieder, Simeon! Last mich
doch mit dem Unsinn in Ruh!"
„Es ist kein Unsinn, Manja! Warum hak
der Junge gelogen? Den ganzen Tag wäre
er draußen gewesen, um die Schlingen nach-
zusehen. Ich sage dir, er war nicht bei den
Schlingen. Ich habe sie auf dem Heimweg
selbst nachgesehen, und ich fand keine Fuß-
spuren."
„Der Wind mag sie verweht haben; was
weist ich, wo der Junge war", antwortete
mürrisch die Frau. Zornig liest der Bauer die
Peitsche durch die Lust pfeifen; dann versank
ec wieder in dumpfes Sinnen. Plötzlich horchte
er auf: „Lauft, lauft, meine Pferdchen, hört
ihr nicht die Wölfe hinter uns — aber sie sind
noch weit." —
Ein Flüstern kam aus dem Stroh des
Wagens. Der Bauer hörte es; mißtrauisch
lauschte er; eg reizte ihn, daß er kein Wort
verstehen konnte: „He Iwan, stehe auf! Hab
ich dich bei mir behalten, damit du schlafen
kannst? Steh auf! Führe du die Pferde, ich
will ruhen und die Gewehre laden — für alle
Fälle."
Der junge Bursche wickelte sich umständlich
aus den Decken; schlaftrunken und fröstelnd
erhob er sich und griff nach den Zügeln. Der
Bauer gab sie ihm nicht. Zornig sah er ihn
an: „He, Iwan, wo warst du, als ich das
lctztcmal zumMarkt gefahrenwar?"— „Habe
ich dir nicht schon gesagt: bei den Schlingen,
sie waren leer." — „Hund, wo warst du?"
Eine Blutwelle des Jähzorns stieg ihm zu
Kopf. Der Junge antwortete nicht; dann
sagte er ruhig: „Nun gib mir die Zügel." —
Ein deutlich hörbarer
Laut kam aus der
Ferne, langgezogen,
klagend und unheim-
lich. Da sauste der
Peitschenstiel durch die
Luft, zersplitterte aus
demKops deSJungen.
Wankend wollte der
Geschlagene sich an
dem Bauern festhal-
ten, aber ein Faust-
schlag schleuderte ihn
aus dem Schlitten.
Von dem Aufschrei
der Frau erschreckt,
stürmten die Pferde
davon. Als der ver-
letzte sich erhob und
vorwärts taumelte,
verklangen im Silber-
dunst der Steppe
dumpfe Hufschläge
und das Janimcrn
einer Frau. Er blieb
stehen und schaute sich um: verlassen, — auf-
gesogen von der großen Einsamkeit, — los-
gelöst von der Erde, verloren in unfaßbarer
Unendlichkeit, — verschollen im uferlosen
Raum der wandelnden Gestirne.
Aus der Ferne, näher und immer näher,
klang das Heulen der Wölfe.
Vereinfachung
„Siehste, Luise, der Weihnachtsengel bräuchte nur rechtzeitig
die Kurse steigen lassen, denn müßte er sich um Jeschenke per-
sönlich jar nich bemühen!"
810
verwirrt, als ich vorige Woche vom Markt
heimkam? Willst du mir das nicht sagen?"
— Die Frau hob den Kopf aus dem Stroh:
„Was redest du da wieder, Simeon! Last mich
doch mit dem Unsinn in Ruh!"
„Es ist kein Unsinn, Manja! Warum hak
der Junge gelogen? Den ganzen Tag wäre
er draußen gewesen, um die Schlingen nach-
zusehen. Ich sage dir, er war nicht bei den
Schlingen. Ich habe sie auf dem Heimweg
selbst nachgesehen, und ich fand keine Fuß-
spuren."
„Der Wind mag sie verweht haben; was
weist ich, wo der Junge war", antwortete
mürrisch die Frau. Zornig liest der Bauer die
Peitsche durch die Lust pfeifen; dann versank
ec wieder in dumpfes Sinnen. Plötzlich horchte
er auf: „Lauft, lauft, meine Pferdchen, hört
ihr nicht die Wölfe hinter uns — aber sie sind
noch weit." —
Ein Flüstern kam aus dem Stroh des
Wagens. Der Bauer hörte es; mißtrauisch
lauschte er; eg reizte ihn, daß er kein Wort
verstehen konnte: „He Iwan, stehe auf! Hab
ich dich bei mir behalten, damit du schlafen
kannst? Steh auf! Führe du die Pferde, ich
will ruhen und die Gewehre laden — für alle
Fälle."
Der junge Bursche wickelte sich umständlich
aus den Decken; schlaftrunken und fröstelnd
erhob er sich und griff nach den Zügeln. Der
Bauer gab sie ihm nicht. Zornig sah er ihn
an: „He, Iwan, wo warst du, als ich das
lctztcmal zumMarkt gefahrenwar?"— „Habe
ich dir nicht schon gesagt: bei den Schlingen,
sie waren leer." — „Hund, wo warst du?"
Eine Blutwelle des Jähzorns stieg ihm zu
Kopf. Der Junge antwortete nicht; dann
sagte er ruhig: „Nun gib mir die Zügel." —
Ein deutlich hörbarer
Laut kam aus der
Ferne, langgezogen,
klagend und unheim-
lich. Da sauste der
Peitschenstiel durch die
Luft, zersplitterte aus
demKops deSJungen.
Wankend wollte der
Geschlagene sich an
dem Bauern festhal-
ten, aber ein Faust-
schlag schleuderte ihn
aus dem Schlitten.
Von dem Aufschrei
der Frau erschreckt,
stürmten die Pferde
davon. Als der ver-
letzte sich erhob und
vorwärts taumelte,
verklangen im Silber-
dunst der Steppe
dumpfe Hufschläge
und das Janimcrn
einer Frau. Er blieb
stehen und schaute sich um: verlassen, — auf-
gesogen von der großen Einsamkeit, — los-
gelöst von der Erde, verloren in unfaßbarer
Unendlichkeit, — verschollen im uferlosen
Raum der wandelnden Gestirne.
Aus der Ferne, näher und immer näher,
klang das Heulen der Wölfe.
Vereinfachung
„Siehste, Luise, der Weihnachtsengel bräuchte nur rechtzeitig
die Kurse steigen lassen, denn müßte er sich um Jeschenke per-
sönlich jar nich bemühen!"
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