Fr. Heubne
GL
Von Richard E u r i n g e r
Als im Kampf um die große (Film)Stadt
sich die roten und die weißen Truppen einer-
seits der Architekten, anderseits der Stadtbau-
meister um die lehte Straße schlugen, war eö
eben jene Straße, die (damals erst projektiert)
heut die „hinkende Straße" heißt.
Da blies eö: das Ganze halt!
Diese Straße — so hieß es in den Waffen-
stillstandssahungen —, diese (damals erst
projektierte) Straße wird geteilt. Als Ge-
markung und ewige Grenze. Friede ihren
Fronten!
Sie wurde geteilt. Wie mit dem Kuchcn-
incsscr in zivci Hälften geschnitten. Rechte
Front den Architekten! Linke Front den Dau-
meistern! Schluß mit Jubel. Streusand draus!
Rechts also bauten die Roten sich an.
Sprich: die Architekten.
Links die Weißen: die Stadtbaumcifier.
Diese ballten rote Häuser, bauten mit Glas
lind Eisen und Licht, bauten in Würfeln,
bauten heutig, bauten morgig, bauten über-
morgig. Ncgcrplastisch primitiv, raffiniert
stilistisch. Bauten in Ziegeln und Beton.
Jene (die Weißbaunieisier) bauten weiße
Häuser, bauten Jugendstil-Renaissance,
Rothenburg-Romantik, bauten Giebeltürm-
chen, Grillenvillen, bauten altdeutsch-orien-
talisch, venezianisch-pariserisch.
„Schrecklich!" sagten die Architekten, „vor-
sintflutlich, dekrepit, hoffnungslos arterien-
verkalkt, polizeiwidrig reaktionär!" als sie aus
ihren Fenstern schauten.
„Läppisch!" sagten die Stadtbaumeister,
„kindisch, provozierend, hottcntottisch, ohne
jede Phantasie!" als sie aus ihren Fenstern
schauten.
Und sie kriegten die Gelbsucht.
Die Roten, dieWeißen kriegten dieGelbsucht,
wurden grün und blau vor Wut, ärgerten sich
schwarz.
Gott sei Dank kain ein Mann vorüber, der
dilrch die „hinkende Straße" ging und die
Fassaden bestaunte.
(Offenbar ein Provinzler.)
„Meine Damen und Herren," sprach er,
als er die grünen Gesichter sah, „Kinder, zieht
um! — Wollt ihr eurer Ansicht froh sein, fuf
mir die Liebe und zieht um!"
Und die Herrschaften zogen um. Tatsäch-
lich: die Roten zogen in die weißen, und die
Weißen zogen in die roten Häuser.
Ein plausibler Vorgang.
Und die roten Architekten, die in den weißen
Häusern wohnten, sahen ihre Bauten, sahen
ihre primitiven, raffinierten Ziegel-, Glas-,
Beton-Kuben. Und waren entzückt.
Aber auch die weißen Stadtbaumeister, die
in den roten Häusern wohnten, sahen ihre Fas-
saden, ihre Jiigendstil-Rcnaissance, ihre Rothen-
burg-Romantik, Giebeltürmchen, Grillenvillen,
ihre Pariser Pavillons. Und waren restlos
begeistert. Jeder sah das Seine, fand cs
genial und freute sich.
(„Offenbar ein Gleichnis", sagte — es war
der Filmregisseur.)
A in HI o n n m e n t der menschlichen Dummheit
legen Prinz Domela und Prinzessin Margarethe Kränze aus
Bohnenstroh nieder
Nun bebt in gewaltigem panischen
Schrecken das Hirn von Berlin:
die Terrasse von unsrem „Romanischen"
will die Stadt uns gewaltsam cntziehn!
Wo soll man sich künftig vereh'lichen —
wo holt man sich Anregung her,
schluckt auch diese Gefilde der Seligen
der hungrige Moloch Verkehr —?!
Hoch ragt die kitschig-abscheuliche
Kirche in gasblauem Dunst —:
und dafür fällt diese heilige
Halle der Liebe und Kunst!!
Drum hocken trüb, wie Gespenster blaß
die Künstler und jedem ist mies —:
sic starren durch's schmierige Fensterglas
ins verlorene Paradies-
Karl Kinndl
811
GL
Von Richard E u r i n g e r
Als im Kampf um die große (Film)Stadt
sich die roten und die weißen Truppen einer-
seits der Architekten, anderseits der Stadtbau-
meister um die lehte Straße schlugen, war eö
eben jene Straße, die (damals erst projektiert)
heut die „hinkende Straße" heißt.
Da blies eö: das Ganze halt!
Diese Straße — so hieß es in den Waffen-
stillstandssahungen —, diese (damals erst
projektierte) Straße wird geteilt. Als Ge-
markung und ewige Grenze. Friede ihren
Fronten!
Sie wurde geteilt. Wie mit dem Kuchcn-
incsscr in zivci Hälften geschnitten. Rechte
Front den Architekten! Linke Front den Dau-
meistern! Schluß mit Jubel. Streusand draus!
Rechts also bauten die Roten sich an.
Sprich: die Architekten.
Links die Weißen: die Stadtbaumcifier.
Diese ballten rote Häuser, bauten mit Glas
lind Eisen und Licht, bauten in Würfeln,
bauten heutig, bauten morgig, bauten über-
morgig. Ncgcrplastisch primitiv, raffiniert
stilistisch. Bauten in Ziegeln und Beton.
Jene (die Weißbaunieisier) bauten weiße
Häuser, bauten Jugendstil-Renaissance,
Rothenburg-Romantik, bauten Giebeltürm-
chen, Grillenvillen, bauten altdeutsch-orien-
talisch, venezianisch-pariserisch.
„Schrecklich!" sagten die Architekten, „vor-
sintflutlich, dekrepit, hoffnungslos arterien-
verkalkt, polizeiwidrig reaktionär!" als sie aus
ihren Fenstern schauten.
„Läppisch!" sagten die Stadtbaumeister,
„kindisch, provozierend, hottcntottisch, ohne
jede Phantasie!" als sie aus ihren Fenstern
schauten.
Und sie kriegten die Gelbsucht.
Die Roten, dieWeißen kriegten dieGelbsucht,
wurden grün und blau vor Wut, ärgerten sich
schwarz.
Gott sei Dank kain ein Mann vorüber, der
dilrch die „hinkende Straße" ging und die
Fassaden bestaunte.
(Offenbar ein Provinzler.)
„Meine Damen und Herren," sprach er,
als er die grünen Gesichter sah, „Kinder, zieht
um! — Wollt ihr eurer Ansicht froh sein, fuf
mir die Liebe und zieht um!"
Und die Herrschaften zogen um. Tatsäch-
lich: die Roten zogen in die weißen, und die
Weißen zogen in die roten Häuser.
Ein plausibler Vorgang.
Und die roten Architekten, die in den weißen
Häusern wohnten, sahen ihre Bauten, sahen
ihre primitiven, raffinierten Ziegel-, Glas-,
Beton-Kuben. Und waren entzückt.
Aber auch die weißen Stadtbaumeister, die
in den roten Häusern wohnten, sahen ihre Fas-
saden, ihre Jiigendstil-Rcnaissance, ihre Rothen-
burg-Romantik, Giebeltürmchen, Grillenvillen,
ihre Pariser Pavillons. Und waren restlos
begeistert. Jeder sah das Seine, fand cs
genial und freute sich.
(„Offenbar ein Gleichnis", sagte — es war
der Filmregisseur.)
A in HI o n n m e n t der menschlichen Dummheit
legen Prinz Domela und Prinzessin Margarethe Kränze aus
Bohnenstroh nieder
Nun bebt in gewaltigem panischen
Schrecken das Hirn von Berlin:
die Terrasse von unsrem „Romanischen"
will die Stadt uns gewaltsam cntziehn!
Wo soll man sich künftig vereh'lichen —
wo holt man sich Anregung her,
schluckt auch diese Gefilde der Seligen
der hungrige Moloch Verkehr —?!
Hoch ragt die kitschig-abscheuliche
Kirche in gasblauem Dunst —:
und dafür fällt diese heilige
Halle der Liebe und Kunst!!
Drum hocken trüb, wie Gespenster blaß
die Künstler und jedem ist mies —:
sic starren durch's schmierige Fensterglas
ins verlorene Paradies-
Karl Kinndl
811