szetzt im Winter war ein Gang zur nächsten sznsel nicht so einfach.
Die Wasserfläche hatte sich mit Brucheis überzogen. Während der
Ebbe lief das Wasser darunter ab, das Eis sank nach, Risse gab eS
und Splitter, ein Gewirr van Eis brocken und Trümmern, bald brach
man ein, streckenweise wieder hielt das Eiö und man konnte vorwärts
kommen, die Stäbchen, die den Weg anzeigten, den man zn nehmen
hatte, um Untiefen zu vermeiden, waren nicht zn sehen, ein Wagnis
ivar es jedesmal, über das Watt zu gehen.
Wir blieben wochenlange von aller Welt abgeschlossen, wußten
nicht, ivaö draußen vorging, ich hatte auch kein Verlangen danach.
Das Wasser stand säst bis vor die Haustüre, von den anhaltenden
Westwinden gegen das Land gestaut. Wir waren zn dritt. Dietrichsen,
der Besitzer der ssnscl, seine Schwester Anne und ich. Das Mädchen,
noch nicht zwanzig, hatte in Hamburg eine Schule besucht, sehnte sich
nach deni Leben in der Stadt, jetzt war eö zurückgekehrt, hieher in das
Haus im Nceer. Es war jung, schlank, quick, war voll Hunger.
Sicher voll Hunger nach dem Leben, nach der Ferne, nach dem Glanz,
nach Menschen, nach Freude und Lachen. Es sprach nicht davon, die
Leute da oben sagen von sich nichts, aber muß man sprechen, um seine
Gedanken auSznörücken? Einmal kam Annes Bräutigam, ein Bauer
von der größeren Znfel. Er wurde empfangen, freundlich, wie sic jeden
Gast begrüßt hätte, aber es war nicht in Ordnung zwischen ihnen.
Um die Weihnachtszeit ivar Sturm. Man konnte nicht vor das
Hans treten, er riß einem die Türe aus der Hand und schlug sie zn,
er raubte den Atem. Auch Dietrichsen hielt ihm nicht stand. Der Wind
rüttelte an den Fenstern, das Haus erbebte und bog sich und schlitterte.
„Wir sollten zur Rettungsstation gehen," meinte Dietrichsen, aber es
war nicht möglich.
Die Rettungsstation lag draußen gegen das Meer. Im Sommer
waren eineinhalb Stunden hin, und man konnte fast trockenen Fußes
hinausgelangen. Auf einer Sandbank, die sommers auch zur Flntzeit
ans deni Wasser ragte, unmittelbar am ostenen Meer, nur wenige
hundert Meter davon endete das Watt, spülten die Wellen unaufhör-
lich, unaufhörlich, weit von den Menschen, weit vom Strand, wie ver-
loren, vergessen, verlaßen, da waren Stämme in den Boden gerammt,
mächtige Stämme, war ein Gerüst ausgetürmt, über zwanzig Meter
hoch, mit Schrauben und Elsenbändern zusammengezwängt, der Wind
strich hindurch, keine Angriffsfläche gab ihm das Gerüst, oben aber,
eine eiserne Leiter führte hinaus, war eine Kammer, ein Raum, mit
einem Oeschen, Brennmaterial, einer ungefügen Bettstatt, Decken,
einigen Fäßchcn mit Trinkwaster und Zwieback. Für Schistbrüchige.
Denn die Küste dort ist gefürchtet. Ein Schiffssriedhos ist sie, und lvcit
hinaus stecken die Schiste im Watt, da saugt sie der Sand in sich,
läßt sie nimmermehr los. Tiefer und tiefer sinkt das gestrandete Schiff,
hier schaut noch eine Kante ans dem Sand, dreißig Meter und mehr
ist sic lang, dort ragt noch ein Mastbaum hervor. Ein Friedhof ist
hier, darum ist das Gerüst aufgerichtet, mehrere stehen die Küste ent-
lang, für die Menschen, die die Schiste verlassen.
„Wir sollten hinaus," sagte Dietrichsen, „sicher sind Schiste ge-
strandet." Aber eö war kein Drandenken, hinauszukommcn. Tagelang
trat keine Ebbe ein, peitschte der Sturm die Wasser gegen das Land.
Erst am Tage vor Weihnachten ließ er nach.
„Geh du nach der Insel und sieh nach der Post," sagte Anne, die
wissen mochte, daß der Bruder drüben zu tun hakte, „wir gehen zur
Sandbank, lind am Abend sind wir alle zurück." Wir taten, wie cs
das Mädchen vorsching. Anne und ich gingen hinaus. Es war ein
beschwerlicher Weg, immer wieder brachen wir bis zu den Hüften
durch das zersplitternde Eis, arbeiteten ilns in die Höhe, brachen aufö
neue ein, stürzten, der Wind wehte noch stark, nun war das HauS
kaum mehr zu sehen, die Rettungsstation vor uns lvnchs auf, nur
vorwärts, vorwärts, vielleicht sind draußen Menschen in Not, und die
Flut, wir wollen vor der Flut wieder zurück!
Wir brauchten drei Stunden, bis wir hinauskamen, schon begann
es zu dämmern. Weihnachtsabend! „Da! Dort sitzt jemand." Das
Mädchen hielt mich am Arm zurück. Eine Frau! Sie hockt am
Fuß des Gerüsts und, nein, es ist der Wind, kein Gesang, was sollte
sie singen. Schnell schritten wir ans. „Sie singt. Hörst du?" Der
Wind trug es her, jetzt hören wir deutlich, erkennen das Lied.
Kreischend, immer das gleiche, immer das eine: „Stille Nacht, stille
Nacht!" Zmmer den Anfang, nur ihn: „Stille Nacht!!" Das Weib
singt, schrillt, kreischt. Immer das eine und wiegt etwas aus dem
Arm. Ein Kind? Wir sind nahe, wir rufen ihr zu, Menschen sind
wir, Hilfe, Rettung. Da schrickt sie aus, da schreit sie ans, flieht,
flieht! Gegen das offene Meer. Die Kleider sind durchnäßt und
schlagen um die Glieder. Wir sehen nng an. Weshalb stiebt sie?
Wir rufen, erschreckt sind wir und eilen nach. Die Frau, nun singt
sie wieder! Im Laufen singt sie. Immer den Anfang und nun:
Es ist kein Kind! Eie wiegt kein Kind. Verstört ist sie, den Mantel
Die Wasserfläche hatte sich mit Brucheis überzogen. Während der
Ebbe lief das Wasser darunter ab, das Eis sank nach, Risse gab eS
und Splitter, ein Gewirr van Eis brocken und Trümmern, bald brach
man ein, streckenweise wieder hielt das Eiö und man konnte vorwärts
kommen, die Stäbchen, die den Weg anzeigten, den man zn nehmen
hatte, um Untiefen zu vermeiden, waren nicht zn sehen, ein Wagnis
ivar es jedesmal, über das Watt zu gehen.
Wir blieben wochenlange von aller Welt abgeschlossen, wußten
nicht, ivaö draußen vorging, ich hatte auch kein Verlangen danach.
Das Wasser stand säst bis vor die Haustüre, von den anhaltenden
Westwinden gegen das Land gestaut. Wir waren zn dritt. Dietrichsen,
der Besitzer der ssnscl, seine Schwester Anne und ich. Das Mädchen,
noch nicht zwanzig, hatte in Hamburg eine Schule besucht, sehnte sich
nach deni Leben in der Stadt, jetzt war eö zurückgekehrt, hieher in das
Haus im Nceer. Es war jung, schlank, quick, war voll Hunger.
Sicher voll Hunger nach dem Leben, nach der Ferne, nach dem Glanz,
nach Menschen, nach Freude und Lachen. Es sprach nicht davon, die
Leute da oben sagen von sich nichts, aber muß man sprechen, um seine
Gedanken auSznörücken? Einmal kam Annes Bräutigam, ein Bauer
von der größeren Znfel. Er wurde empfangen, freundlich, wie sic jeden
Gast begrüßt hätte, aber es war nicht in Ordnung zwischen ihnen.
Um die Weihnachtszeit ivar Sturm. Man konnte nicht vor das
Hans treten, er riß einem die Türe aus der Hand und schlug sie zn,
er raubte den Atem. Auch Dietrichsen hielt ihm nicht stand. Der Wind
rüttelte an den Fenstern, das Haus erbebte und bog sich und schlitterte.
„Wir sollten zur Rettungsstation gehen," meinte Dietrichsen, aber es
war nicht möglich.
Die Rettungsstation lag draußen gegen das Meer. Im Sommer
waren eineinhalb Stunden hin, und man konnte fast trockenen Fußes
hinausgelangen. Auf einer Sandbank, die sommers auch zur Flntzeit
ans deni Wasser ragte, unmittelbar am ostenen Meer, nur wenige
hundert Meter davon endete das Watt, spülten die Wellen unaufhör-
lich, unaufhörlich, weit von den Menschen, weit vom Strand, wie ver-
loren, vergessen, verlaßen, da waren Stämme in den Boden gerammt,
mächtige Stämme, war ein Gerüst ausgetürmt, über zwanzig Meter
hoch, mit Schrauben und Elsenbändern zusammengezwängt, der Wind
strich hindurch, keine Angriffsfläche gab ihm das Gerüst, oben aber,
eine eiserne Leiter führte hinaus, war eine Kammer, ein Raum, mit
einem Oeschen, Brennmaterial, einer ungefügen Bettstatt, Decken,
einigen Fäßchcn mit Trinkwaster und Zwieback. Für Schistbrüchige.
Denn die Küste dort ist gefürchtet. Ein Schiffssriedhos ist sie, und lvcit
hinaus stecken die Schiste im Watt, da saugt sie der Sand in sich,
läßt sie nimmermehr los. Tiefer und tiefer sinkt das gestrandete Schiff,
hier schaut noch eine Kante ans dem Sand, dreißig Meter und mehr
ist sic lang, dort ragt noch ein Mastbaum hervor. Ein Friedhof ist
hier, darum ist das Gerüst aufgerichtet, mehrere stehen die Küste ent-
lang, für die Menschen, die die Schiste verlassen.
„Wir sollten hinaus," sagte Dietrichsen, „sicher sind Schiste ge-
strandet." Aber eö war kein Drandenken, hinauszukommcn. Tagelang
trat keine Ebbe ein, peitschte der Sturm die Wasser gegen das Land.
Erst am Tage vor Weihnachten ließ er nach.
„Geh du nach der Insel und sieh nach der Post," sagte Anne, die
wissen mochte, daß der Bruder drüben zu tun hakte, „wir gehen zur
Sandbank, lind am Abend sind wir alle zurück." Wir taten, wie cs
das Mädchen vorsching. Anne und ich gingen hinaus. Es war ein
beschwerlicher Weg, immer wieder brachen wir bis zu den Hüften
durch das zersplitternde Eis, arbeiteten ilns in die Höhe, brachen aufö
neue ein, stürzten, der Wind wehte noch stark, nun war das HauS
kaum mehr zu sehen, die Rettungsstation vor uns lvnchs auf, nur
vorwärts, vorwärts, vielleicht sind draußen Menschen in Not, und die
Flut, wir wollen vor der Flut wieder zurück!
Wir brauchten drei Stunden, bis wir hinauskamen, schon begann
es zu dämmern. Weihnachtsabend! „Da! Dort sitzt jemand." Das
Mädchen hielt mich am Arm zurück. Eine Frau! Sie hockt am
Fuß des Gerüsts und, nein, es ist der Wind, kein Gesang, was sollte
sie singen. Schnell schritten wir ans. „Sie singt. Hörst du?" Der
Wind trug es her, jetzt hören wir deutlich, erkennen das Lied.
Kreischend, immer das gleiche, immer das eine: „Stille Nacht, stille
Nacht!" Zmmer den Anfang, nur ihn: „Stille Nacht!!" Das Weib
singt, schrillt, kreischt. Immer das eine und wiegt etwas aus dem
Arm. Ein Kind? Wir sind nahe, wir rufen ihr zu, Menschen sind
wir, Hilfe, Rettung. Da schrickt sie aus, da schreit sie ans, flieht,
flieht! Gegen das offene Meer. Die Kleider sind durchnäßt und
schlagen um die Glieder. Wir sehen nng an. Weshalb stiebt sie?
Wir rufen, erschreckt sind wir und eilen nach. Die Frau, nun singt
sie wieder! Im Laufen singt sie. Immer den Anfang und nun:
Es ist kein Kind! Eie wiegt kein Kind. Verstört ist sie, den Mantel