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,1

gingen immer noch weiter, und Balthasar, der schwarze Mohr,
schüttelte den Rotmantel, ihn von der Schneelast zu befreien, und
der spitzbärtige Kaspar blicS in die erstarrten Hände, sie aufzutauen,
und der dicke Melchior stampfte mit den Füßen, weil sich an seinen
Absähen Schneeballen bildeten und zu kugeligem Eis wurden, was
das Gehen erschwerte.

Zur linken Hand an der Straße, wenn es noch die Straße war,
auf der sie gingen, stand ein starker Baum mit vielen Aesten, knorrigen
und lustig verdrehten, und als sie bei ihm waren und wieder einmal
zum Himmel aufschauten, war der Stern schon noch da, der Rofa-
stecn, war schon noch da, aber er glühte plötzlich stark auf, wie ein
riesiges Katzenauge, funkelte, eö war zum Fürchten, einen Augenblick
lang waren Baum und Himmel und der unendliche Schnee rosarot,
weithin alles rosarot, dann erlosch er, der Stern, ivar weg, wirklich,
er war weg, fort, und der Schnee wieder weiß. Der Mohr im roten
Mantel schrie: „Habt ihrs gesehen?" Sie hatten es natürlich alle
drei gesehen, blieben alle drei unterm Baum stehen. „Dann muß es
hier fein, irgendwo in der Nähe," sagte Kaspar, „aber wo?"

„Wir warten hier", entschied Melchior.

Sie ließen sich unterm Baum nieder, breiteten eine Decke ans ans
dem Schnee und setzten sich und hüllten sich fest in ihre Mäntel,
daß sie waren wie drei merkwürdige Dögcl, ein blutroter, ein raben-
schwarzer und ein dottergelber.

Sie sprachen nichts, der Schnee fiel lautlos, und der junge Balthasar
wiegte den Kranskopf hin und her, immer hin und her, daß die
goldenen Ringe in seinen Ohren klirrten. Dann hielt er den Kopf
ruhig, die Ohrringe schwiegen, da war nur mehr der lautlose Schnee.

Wahrscheinlich waren sie cingcschlascn und erwachten von einer
Stimme, die sie anrief, und sie wachten alle drei gleichzeitig auf,
und da stand vor ihnen ein Mann, der hatte einen grauen Bart,
grau wie das Fell des Esels, den er am Zügel führte, und auf dem
Esel saß eine Frau. Das Tier schnappte mit weichem Maul nach
dem roten Ncantel dcS Mohren, und der Mann fragte: „Ist hier
kein Dorf in der Nähe? Es wird Abend, und wir sind inüd und
suchen ein Unterkommen." So fragte der Mann, und Balthasar,
der ihn scharf beobachtete, bemerkte doch nicht, daß sich irgendwas
bewegt hätte in dem Gesicht des Fragers. Denn, wenn auch seine
Lippen vom Bart verdeckt waren, hätte man doch diesen, den Bart,
sich rühren sehen müssen, oder die Wangen sich heben, oder die Nasen-
flügel, aber das alles geschah nicht, das Gesicht des Mannes blieb
still und unbewegt, auch während er sprach. Das sah Balthasar
und verwunderte sich und stand auf, und da standen die beiden anderen
auch auf, und Kaspar sagte: „Da hinten ist ein Dorf, ein halbe
Stunde zurück, und ihr werdet dort schon finden, was ihr sucht."

Der Mann nickte dankend, und die Frau nickte, und der Mann

trieb den Esel an, der den roten Mantel ungern aus

dem Maul ließ, und dann verschwanden Mann, Frau .

und Tier im Schneetreiben. '

Balthasar dachte darüber nach, ob wohl seine Sj Vf~V»i
beiden Gefährten es auch beobachtet hätten, v 7!

daß der Graubart mit stummen Lippen hatte
reden können, und wollte sie fragen, da sagte
Kaspar: „Sie sind'ö!" — „Wer?" fragte

Melchior. „Wer?" fragte Balthasar und rieb
an seinem Mantclärmel, der feuchtwarm war '

von der Eselmaulnässe. Straub

„Sie sinds", wiederholte Kaspar und bekam ein ganz frommes
Gesicht. Balthasar schrie wütend: „Sie sinds! Sie sinds! Ein Mann
war es und eine Frau und ein Esel! Aber wir suchen doch ein Kind!"
Dex zornige Mohr drehte die Augen, daß man das Weiße sah. Und
plötzlich wie flehend sagte er mit leiser Stimme: „Ein Kind doch
suchen wir."

„Ihr habt nicht gesehen," fragte Kaspar, der Weißbärtige, fragte
sanft, fragte zart jubelnd, und lächelte dem Neger ins Gesicht, „ihr
habt nicht gesehen, daß die Frau gesegneten Leibes war?"

Der Mohr wurde selig bleich, Melchior sing eine Schneeflocke,
glücklich, wie eine Hoffnungstaube, und der weiße, scharfäugige
Kaspar fragte: „Habt ihr eure Geschenke noch?"

Und sie holten aus den Manteltaschen Gold in blanken, runden
Stücken, würzige Hölzer und Ocle in kostbaren Flaschen.

So hockten sie da, gelb und schwarz und blutrot, im Schnee-Wirbel,
und vor ihnen lagen die Geschenke im Schnee, und die Flocken tanzten
darüber, aber keine einzige ließ sich daraus nieder, nicht eine, und sie
glänzten unberührt, die Geschenke, bis sie zuletzt wie in einer Mulde
lagen, wie in einer Schneeschüssel mit Weißen Schneewulsträndern.

Die drei Könige hockten die ganze Nacht, sie froren nicht, sangen
leise Lieder vor sich hin, Balthasar ein seltsam verschnörkeltes, helles,
afrikanisches, Kaspar ein brummendes, dumpfes und Melchior ein
pfeifendes, mäusewisperndes, und sangen und erwarteten den Morgen.

Der kam, die Sonne kam, es schneite nicht mehr, der Baum glänzte
im Licht, und aus der Tiefe der Schneeschüssel leuchteten die Geschenke.
Sie nahmen sie an sich, und Kaspar rief: „Jetzt vorwärts!"

Sie drehten um, Kaspar voran, dann Melchior, dann der schwarze
Balthasar im roten Mantel und nahmen die Richtung auf das Dorf,
auf das Maulwurfsdorf, das sie gestern gesehen hatten.

lind der plattnäsige Mohr, der jüngste der drei, fast wie ein
Jüngling noch, blieb plötzlich in einer Fußtapfe stehen. Silberschuh
vor Silberschuh, weil ihm wieder eingefallen war, wie der Graubart
gestern hatte reden können, ohne daß sein Gesicht sich rührte.

Wenn sie jetzt auf ihn trafen, wie zu hoffen war, wollte er sich
das genau betrachten.

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Irmingard Straub: Vignette
Otto Nückel: Illustration zum Text "Die Könige"
 
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