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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 34.1929, (Nr. 1-52)

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https://doi.org/10.11588/diglit.6761#0004
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„Nein, das kann ich nicht. Ich weiß ja nicht, wie das ist, und man
soll auch nicht so traurig sein, Ich soll immer nur artige und liebens-
würdige Lieder Vorträgen, hat mein Dater gesagt. Ich singe dir vom
Kuckuckvogel oder vom Schmetterling."

„Und von der Liebe weißt du gar nichts?" fragte sie dann.

„Don der Liebe? D doch, das ist ja das allerschönste."

Alsbald sing ich an und sang von dem Sonnenstrahl, der die roten
Mohnblumen lieb hat, und wie er mit ihnen spielt und voller Freude
ist. Und vom Finkenweibchen, wenn eS auf den Finken wartet, und
wenn er kommt, dann stiegt es weg und tut erschrocken. Und sang
weiter von dem Mädchen mit den braunen Augen, und von dem
Jüngling, der daherkommt und singt und ein Brot dafür geschenkt
bekommt; aber nun will er kein Brot mehr haben, er will einen Kuß
von der Jungfer und will in ihre braunen Augen sehen, und er singt
solange fort und hört nicht auf, bis sie anfängt zu lächeln, und bis sie
ihm den Mund mit ihren Lippen schließt.

Da neigte Brigitte sich herüber und schloß mir den Mund mit ihren
Lippen und tat die Augen zu, und tat sie wieder auf, und ich sah in
die nahen braungoldenen Sterne, darin war ich selber gespiegelt und
ein paar Wiesenblumen.

„Die Welt ist sehr schön," sagte ich, „mein Dater hat recht gehabt.
Jetzt will ich dir aber tragen helfen, daß wir zu deinen Leuten
kommen."

Ich nahm ihren Korb, und wir gingen weiter, ihr Schritt klang mit
meinem Schritt und ihre Fröhlichkeit mit meiner gut zusammen, und
der Wald sprach fein und kühl vom Berge herunter; ich war noch nie
so vergnügt gewandert. Eine ganze Weile sang ich munter zu, bis ich
aufhören mußte vor lauter Fülle; es war allzu DieleS, was vom Dal
und vom Berg und aus Gras und Laub und Fluß und Gebüschen
zusammen rauschte und erzählte.

Da mußte ich denken: wenn -ich all diese taufend Lieder der Welt
zugleich verstehen und singen könnte, von Gräsern und Blumen und
Menschen und Wolken und allem, vom Laubwald und vom Föhren-
wald und auch von allen Tieren, und dazu noch alle Lieder der fernen
Meere und Gebirge, und die der Sterne lind Monde, und wenn das
alles zugleich in mir innen tönen und singen könnte, dann wäre ich der
liebe Gott, und jedes neue Lied müßte als ein Stern am Himmel
stehen.

Aber wie ich eben so dachte und davon still und wunderlich wurde,
weil mir das früher noch nie in den Sinn gekommen war, da blieb
Brigitte stehen und hielt mich an dem Korbhenkel fest.

lnuß ich da hinauf," sagte sie, „da droben sind unsere Leute
im Felde. Und du, wo gehst du hin? Kommst du mit?"

„Nein, mitkommen kann ich nicht. Ich muß in die Welt. Schönen
Dank für das Brot, Brigitte, und für den Kuß; ich will an dich
denken."

Sie nahm ihren Eßkorb, und über dem Korbe neigten sich ihre
Augen im braunen Schatten noch einmal zu mir, und ihre Lippen
hingen an meinen, und ihr Kuß war so gut und lieb, daß mir vor-
lauter Wohlsein beinah traurig werden wollte. Da rief ich schnell
Lebewohl und marschierte eilig die Straße hinunter.

Das Mädchen stieg langsam den Berg hinan, und unter dem herab-
hängenden Buchenlaub am Waldrande blieb sie stehen und sah herab
und mir nach, und als ich ihr winkte und den Hut über'm Kopfe
schwang, da nickte sie noch einmal und verschwand still wie ein Bild
in den Buchenschatten hinein.

Ich aber ging still meine Straße und war in Gedanken, bis der
Weg um eine Ecke bog.

Da stand eine Mühle, und bei der Mühle lag ein Schiff auf dem
Wasser, darin saß ein Mann allein und schien nur auf mich zu
warten, denn als ich den Hut zog und zu ihm in das Schiff hinüber-
stieg, da sing das Schiff sogleich zu fahren an und lief den Fluß
hinunter. Ich saß in der Mitte des Schiffes, lind der Mann faß
hinten am Steuer, und als ich ihn fragte, wohin wir führen, da blickte
er auf und sah mich aus verschleierten grauen Augen an.

„Wohin du magst", sagte er mit gedämpfter Stimme. „Den Fluß
hinunter und ins Meer, oder zu den großen Städten, du hast die
Wahl. Es gehört alles mir."

Es gehört alles dir? Dann bist du der König?"

„Dielleicht", sagte er. „blnd du bist ein Dichter, wie mir scheint!
Dann singe mir ein Lied zum Fahren!"

Ich nahm mich zusammen, eS war mir bange vor dem ernsten,
grauen Manne, und unser Schiff schwamm so schnell und lautlos
den Fluß hinab. Ich sang vom Flusse, der die Schiffe trägt, und die
Sonne spiegelt und am Felsenufer stärker aufrauscht und freudig seine
Wanderung vollendet.

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Carl Schwalbach: Illustration zum Text "Märchen"
 
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