Duko, Paris
Schlechter Aspekt z u Sylvester
„Heute haben'se sich noch lieb, und im neuen Jahr sin'se vielleicht
schon verheiratet!"
von Karl Kinndt
Es gibt Menschen, die nicht an mystische Dinge glauben und alle
Zauberei sür faulen Zauber erklären. Zur Not lassen sie sich in der
Hand lesen — wenn man ihnen angenehme Sachen sagt. Wagt man
es aber, sie nicht als Jdealwefen zu erklären, und ihnen weder weite
Reisen noch beträchtliche Börsengewinne vorauszusagen, so ist alles
Unfug und Charlatanerie. Und was werden diese Leute erst sagen,
wenn ich allen Ernstes erzähle, eS gebe „Verwandlungs-Kabinette" —
mitten in Berlin, nicht erst seit heute, sondern seit Jahren schon, und
am Hellen Tage für jeden sichtbar und zu beobachten —, die jeden, der
sie betritt, binnen weniger Sekunden von Grund aus verändern — bis
zur Unkenntlichkeit! Eine Art großstädtischer Jungbrunnen sozusagen!
Wie? Sie glauben das nicht? Bitte, kommen Sie mit mir! Ja,
diese Verwandlungs-Kabinette bestnden sich in jedem Warenhaus,
jedem größeren Cafe und sogar in staatlichen Postämtern! Sehen Sie
dort den dunklen Kasten aus Holz und GlaS, vor dem eine kleine
Schlange wild-erregter Menschen sich windet und ballt? Beobachten
Sie vor allem jenen korpulenten Herrn, der da eben mit dem Stock
wütend an die Scheiben klopft —: er kann eS gar nicht abwarten,
den Gesundbrunnen zu betreten!
„Ein Skandal!" belfert er heiser vor Erregung. „Hat man je solch
eine Rücksichtslosigkeit erlebt?! Elf geschlagene Ntinuten spricht der
Lümmel schön! So ein Bürschchen soll doch seine unsauberen Geschäfte
anderswo abwickeln! Js nich so?! Jetzt lacht er auch noch!! Läßt
sich von seinem kleinen Nuttchen Witze erzählen, während ernste
Menschen, die wichtige Dinge zu erledigen haben, sich die Beine in den
Leib stehen!!" Er rüttelt unter allgemeiner Zustimmung an der Tür-
klinke und zischt durch die Türspalte: „Sie, Herr, wollen Sie gefälligst
Schluß machen!"
„Gleich — gleich-" sagt der Herr im Kasten mit bewunderns-
werter Ruhe, zieht die Tür zu und spricht weiter.
Der Dicke tobt. Ueber die Sittenlosigkeit und Verrohung der
modernen Jugend, die keine Ehrfurcht mehr hat vor dem würdigen
Alter! Eine gefährliche Röte überzieht sein Gesicht:
„Ohrfeigen sollte man so einen Windhund! Aber was glauben Sie,
meine Dame, was er dann tun würde? Er boxt!! Das können sie ja,
diese weichlichen Tagediebe! Diese rücksichtslosen Flegel! Rücksicht
gegen seinen Mitmenschen, sage ich, vor allem aber Rücksicht gegen
ältere Leute und Damen, das ist..."
Die Farbe seines Gesichts beginnt schon ins Bläuliche zu spielen.
Gottlob — als er eben in irrsinniger Wut den Stock erhebt, um die
Scheiben zu zerschmettern, öffnet sich die Tür, und der junge Mann
verläßt mit strahlend freundlichem Lächeln die Kabine. Der korpulente
Herr betritt sie. Und nun, mein Herr, geben Sie genau acht —: jetzt
geschieht das Wunder!
Mit einem Schlage ist dieser fast krankhaft erregte Herr völlig
ruhig! Gelassen, und ohne die geringste Nervosität beginnt er, in einem
kleinen Notizbuch zu blättern und dann in den Taschen nach einem
Groschen zu suchen, den er genau betrachtet, ob er auch nicht das
ominöse Münzzeichen O trägt, weil diese Münzen sich nn Automaten
festklemmen. Endlich ergreift er den Hörer und bittet dann das Fräu-
lein vom Amt um einen Augenblick Geduld, weil er sich noch einmal
vergewissern muß, ob die geforderte Nummer auch stimmt. Das zeugt
— wie Sie zu geben werden — von großer innerer Harmonie und
Ausgeglichenheit des Gemüts! Der Herr ist einfach nicht wieder-
zuerkennen! Ein völlig verwandelter Mensch! Nun spricht er — nickt
bedächtig — wiegt den Kopf — und lacht dann mit sanft-schütterndem
L. Meitner
Großmut
„Sieh mal, die Fritzi hat 'nen neuen Freund!"
„Ach nee, den Hab' ich ihr nur heute aushilfsweise aus meiner
Reserve geliehen."
9
Schlechter Aspekt z u Sylvester
„Heute haben'se sich noch lieb, und im neuen Jahr sin'se vielleicht
schon verheiratet!"
von Karl Kinndt
Es gibt Menschen, die nicht an mystische Dinge glauben und alle
Zauberei sür faulen Zauber erklären. Zur Not lassen sie sich in der
Hand lesen — wenn man ihnen angenehme Sachen sagt. Wagt man
es aber, sie nicht als Jdealwefen zu erklären, und ihnen weder weite
Reisen noch beträchtliche Börsengewinne vorauszusagen, so ist alles
Unfug und Charlatanerie. Und was werden diese Leute erst sagen,
wenn ich allen Ernstes erzähle, eS gebe „Verwandlungs-Kabinette" —
mitten in Berlin, nicht erst seit heute, sondern seit Jahren schon, und
am Hellen Tage für jeden sichtbar und zu beobachten —, die jeden, der
sie betritt, binnen weniger Sekunden von Grund aus verändern — bis
zur Unkenntlichkeit! Eine Art großstädtischer Jungbrunnen sozusagen!
Wie? Sie glauben das nicht? Bitte, kommen Sie mit mir! Ja,
diese Verwandlungs-Kabinette bestnden sich in jedem Warenhaus,
jedem größeren Cafe und sogar in staatlichen Postämtern! Sehen Sie
dort den dunklen Kasten aus Holz und GlaS, vor dem eine kleine
Schlange wild-erregter Menschen sich windet und ballt? Beobachten
Sie vor allem jenen korpulenten Herrn, der da eben mit dem Stock
wütend an die Scheiben klopft —: er kann eS gar nicht abwarten,
den Gesundbrunnen zu betreten!
„Ein Skandal!" belfert er heiser vor Erregung. „Hat man je solch
eine Rücksichtslosigkeit erlebt?! Elf geschlagene Ntinuten spricht der
Lümmel schön! So ein Bürschchen soll doch seine unsauberen Geschäfte
anderswo abwickeln! Js nich so?! Jetzt lacht er auch noch!! Läßt
sich von seinem kleinen Nuttchen Witze erzählen, während ernste
Menschen, die wichtige Dinge zu erledigen haben, sich die Beine in den
Leib stehen!!" Er rüttelt unter allgemeiner Zustimmung an der Tür-
klinke und zischt durch die Türspalte: „Sie, Herr, wollen Sie gefälligst
Schluß machen!"
„Gleich — gleich-" sagt der Herr im Kasten mit bewunderns-
werter Ruhe, zieht die Tür zu und spricht weiter.
Der Dicke tobt. Ueber die Sittenlosigkeit und Verrohung der
modernen Jugend, die keine Ehrfurcht mehr hat vor dem würdigen
Alter! Eine gefährliche Röte überzieht sein Gesicht:
„Ohrfeigen sollte man so einen Windhund! Aber was glauben Sie,
meine Dame, was er dann tun würde? Er boxt!! Das können sie ja,
diese weichlichen Tagediebe! Diese rücksichtslosen Flegel! Rücksicht
gegen seinen Mitmenschen, sage ich, vor allem aber Rücksicht gegen
ältere Leute und Damen, das ist..."
Die Farbe seines Gesichts beginnt schon ins Bläuliche zu spielen.
Gottlob — als er eben in irrsinniger Wut den Stock erhebt, um die
Scheiben zu zerschmettern, öffnet sich die Tür, und der junge Mann
verläßt mit strahlend freundlichem Lächeln die Kabine. Der korpulente
Herr betritt sie. Und nun, mein Herr, geben Sie genau acht —: jetzt
geschieht das Wunder!
Mit einem Schlage ist dieser fast krankhaft erregte Herr völlig
ruhig! Gelassen, und ohne die geringste Nervosität beginnt er, in einem
kleinen Notizbuch zu blättern und dann in den Taschen nach einem
Groschen zu suchen, den er genau betrachtet, ob er auch nicht das
ominöse Münzzeichen O trägt, weil diese Münzen sich nn Automaten
festklemmen. Endlich ergreift er den Hörer und bittet dann das Fräu-
lein vom Amt um einen Augenblick Geduld, weil er sich noch einmal
vergewissern muß, ob die geforderte Nummer auch stimmt. Das zeugt
— wie Sie zu geben werden — von großer innerer Harmonie und
Ausgeglichenheit des Gemüts! Der Herr ist einfach nicht wieder-
zuerkennen! Ein völlig verwandelter Mensch! Nun spricht er — nickt
bedächtig — wiegt den Kopf — und lacht dann mit sanft-schütterndem
L. Meitner
Großmut
„Sieh mal, die Fritzi hat 'nen neuen Freund!"
„Ach nee, den Hab' ich ihr nur heute aushilfsweise aus meiner
Reserve geliehen."
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