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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 34.1929, (Nr. 1-52)

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WM

/

5 4. JAHRGANG

1 9 2 9 / NR. 2

WSEWOLOD IVYANOW

VON DER KOSAKIN MARFA

Mit Zeichnungen von Max Kellerer-
Übertragen von I). U m a n s k j

SN



v

-

r-

n unserer Ortschaft LeschtinSkoje (im
Vorjahr hat man sie, wohl nur zum
Spaß, zur Stadt erhoben) sind die
Häuser aus Lehm gebaut, nur der
Feuerwehrschuppen ist aus Holz. Bloß
die Dächer verraten den Heldenmut
der Kosaken, denn sie sind aus Schin-
deln, und die Reichen haben sie sogar
gefärbt.

Nun siehst du, wegen eines solchen Daches galt bei uns Klimentik
Fedossejew für einen Reichen. Er aber hatte bloß so viel Unter-
nehmungSgeist, um daS Dach durch seine Sohne anstreichen zu lassen.
Er hatte sechs Menschen in die Welt gesetzt — jeder um einen Kops
großer als der andere — lauter prächtige Kerle!

Und kaum hatten sie das Dach fertiggestellt — nicht einmal das
Starhäuschen konnten sie droben befestigen —, da brach der deutsche
Krieg aus. Trübselig wurde es Fedossejew zumute, wenn er auf daS
Dach blickte. Er sah eS an und die Tränen flössen ihm auS den Augen:

„Wäre ich doch lieber," sagte er, „wie sonst irgendein verlauster
Russe, unter einen! Strohdach sitzen geblieben . . ."

Aber das Schicksal ist kein Weib, das man mit Tränen rühren kann.
Es fügte jich jedoch, daß die Kosaken unversehrt von der Front zurück-
kehrten. Als man Klimentik sagte, hinter den Jahrmarktbuden sähe
man schon den Staub, den die Pferde seiner Sohne auswirbelten, da
verließ ihn die ganze Kraft seiner Füße. Er ging in die Hütte und
legte sich aus die Dank nieder. „Ich," sagte er, „will mich ein wenig
auSruhen." — bind mit diesen Worten starb er.

Die Sohne kommen zum Haus geritten, schauen aus daö Dach,
sehen, daß sich dieses zur Seite geneigt und abgeblättert hat. Und da
denken sie — sie werden es frisch anstreichen müssen.

Die Mutter begegnet ihnen im Tor.

„Friede nnf dir, Mutter," sagen die Kosaken. „Weshalb siehst du
da und lveinsi? ..."

„Ja, ich stehe da," antwortete ihnen ihre Mutter, Marfa, „und
denke: eben ist euer Vater vor Freude darüber, daß er euch Wieder-
sehen soll, gestorben. Werdet auch ihr jetzt, wie alle anderen, die
Wirtschaft zu teilen und zu zerstören beginnen, jetzt, da das Leben
so schwer ist?"

Da antworteten ihr die Kosaken:

„Vor Vater und vor Gott wir dir, so wie früher zu

leben: gemeinsam und ruhig... Beruhige deine Seele!"

Aber jene Tage waren wie ein weiter und schwerer Weg: wenn die
Psei.de schwitzen, die Wagen kreischen und der Kutscher immer wieder
und lvieder die Pferde antreibt! ...

vjo, du selbst weißt es ja, und es ist keine Sünde, eS wieder zu sagen:
Unsere Uraler Steppen sind wild und heldenhaft. Hier haben Rasin
und Pugatschjvw ihr Wesen getrieben, hier hat Marinka, Grigorij
RasputinS Frau, gelebt, hier führte Zapajew mit dem Ataman Tol-
storv Krieg und ertrank im Jaik.

Hatten die Brüder einander versprochen, die Wirtschaft nicht zu
Urteilen, oder kam es eben so und nicht anders —, aber alle sechs
bniidec Fedogejew kamen in die Abteilung des Jarengenerals Tolstow,

den die Bolschewiken, wie erzählt wird, in Acht und Bann erklärt
hatten.

Nun und der Held Zapaj besiegte TolstowS Heer — die Kosaken
wurden wie durch ein Wunder niedergemacht, und er begann über alle
übrigen zu richten.

Er ließ alle sechs Brüder vor sich führen (zum Unglück waren sie
in der Schlacht heil geblieben), er sah sie an und gab den Befehl, sie
zu richten — sie erbarmungslos wie Mücken auszutilgen.

Damals dauerte das Gericht nicht so lange wie ein Seufzer.

Die Richter fragen:

„Habt ihr gegen uns gekämpft, daß von euch her fauler Gestank
über die Erde zog?"

„Jawohl!" antworteten alle sechs auf einmal. „Wir haben ge-
kämpft."

Da las man ihnen das Urteilspapier vor: weil ihr gegen uns ge-
kämpft habt, werdet ihr zum Tode durch Erschießen verurteilt.

Da setzten die Kosaken gleichzeitig die Mützen auf. Der Jüngste
rückte sie sogar seitwärts und vergaß nicht, seinen Haarschopf hervor-
zu ziehen.

„Gott segne uns!" sagten sie.

Ich habe dir von meinem Unglück erzählt, aber was ist mein
Unglück an diesem gemessen: nur eine Ncücke! Der Kommandant
hatte hohe Stiefel oder etwas dergleichen an den Füßen an. Marfa
sank zu diesen Stiefeln nieder, preßte ihre Wange an sie und heulte:

„Verschont, Christen, wenigstens einen einzigen, laßt doch einen
einzigen leben. Ich will dafür mit meinem ganzen Blut der Sowjet-
rnacht dienen.. . verschont wenigstens den Jüngsten .. ."

Fünf Kosaken zogen ihre Mützen vor der Sowjetmacht und sagten
lvie ein Mann:

„Wir bitten darum!"
Register
Wsewolod Iwanow: Von der Kosakin Marfa
Max Kellerer: Illustrationen zum Text "Von der Kosakin Marfa"
 
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