JUGEND
-AUF DASS IHR NICHT-
Von Hans Franck
Der Holzhändler Frerk Jdwersen zu Brilon lebte mit seiner Frau
Ottilie überaus glücklich. Wer die beiden obenhin anisah, mußte aller-
dings die Gegensätze zwischen Mann und Frau so gemehrt finden, daß
fie ihm unüberbrückbar erschienen. Er: auS der Weite baumloser
sriefischer RIeernähe inS bergverstellte, loaldivilde Sauerland ver-
schlagen — sie: zwischen Bäumen und Bergen daheim, von einer-
unerklärlichen, einer krankhaften Angst vor jeder Wasserfläche; er:
zwar lutherisch getauft, aber Kirche und Gott seit seiner Konfirmation
entfremdet — fie: von Herzen fromm, Katholikin, die keine Morgen-
messe, auch nicht des Winters in stockfinsterer Nacht, versäumte; er:
ein Hüne, blond, breit, laut, voller Lachen — sie: kaum mittelgroß,
schwarz, schmal, still, voller Staunen über die Unbekümmertheit, mit
der so ein Mann die Welt, das Leben, die Menschen, sie selber nahm,
wann, wo, wie er wollte. Aber diese und hundert andere Gegensätze
noch machten die Liebe Frerk JdwersenS nicht müde, reizten sie viel-
mehr immer von neuem an. Auch daß anfangs der unumgänglich
notwendige Erbe ausblieb, hatte nur die Wirkung: alle Manneskräfte
des Holzhändlers zu steigern. Als dann im sechsten Jahr der Ehe daS
geforderte Kind von der scheuen Sauerländerin geboren wurde, und
ein ungewöhnlich schwerer, langgliederiger, blonder Junge war, da
überschlug sich das Glück des Drei-
unddreißigjährigen.
Aber bei diesem Sich-Ueberschla-
gen mußte die Liebe Frerk Jdwer-
sens zu Frau Ottilie innerlich doch
Schaden gelitten haben. Fortan
mußte Frau Ottilie häufig ihre
Mädchen wechseln. Sie wußte ihrem
Mann stets einleuchtende Gründe
für die Kündigung beizubringen. Die
eine war frech — die andere faul,
diese zerschlug tagaus, tagein Ge-
schirr — jene hatte den Jungen im
Stich gelassen, und was dergleichen,
üble Erfahrungen mehr waren. Ein-
mal kam Frau Ottilie mit ihrer
Kündigung aber doch zu spät. Bei
einer krausköpfigen Rheinländerin
erwies sich das Schürzenband als
zu kurz. Da die HolzhändlerSgattin
der Heulenden ihre Verfehlung vor-
hielt, riß diese den Kopf hoch und
gab auf die Frage: „Wer?" zur
Antwort: „Der Herr". So heraus-
fordernd, so glückselig, als ob damit
nicht nur alles erklärt, sondern auch
gerechtfertigt sei.
An diesem Abend gab es zwischen
den Eheleuten doch einen Zusammen-
stoß. Wäre Frerk Jdwersen reuig,
zerknirscht, auch nur stumm gewesen
— Frau Ottilie hätte ihm ohne viel
Aufhebens verziehen. Aber er stand
aufrechten Hauptes vor ihr. Und
schließlich sprach er eS gar unum-
wunden aus: Sie werde sich daran Der Tänzer Zeretelli
gewöhnen muffen. - „Gewöhnen?" «Graps,. Kabinett, Mün
schluchzte die Bestürzte auf. Ob er sie nicht mehr liebe? — Doch. Mit
ungeminderter Kraft. — Wie denn das fein könne? — Wisse er nicht.
Er wisse nur: Eö hätte sein müssen, Unbeschadet seiner Liebe zu ihr.
— Sie gehe ins Wasser!! — Wie fie daS in einem Lande anstellen
wolle, wo eS allerlei Rinnsale gäbe, aber bestimmt kein Wasser? —
Sie laufe zur Sperre und springe ins Möhnemeer! — Meer? Frerk
Jdwersen lachte, daß die Wände zitterten. Meer?? Möhnetalteich!
Also gut, seinetwegen Möhnetalsee! Aber: Meer?
Dieses Lachen schlug die Brücke, auf der die HolzhändlerSoheleute
wieder von hüben nach drüben fanden. Die Frau erkannte: Wer zu
lachen vermag wie ein helläugiger, unverdorbener Junge, der kann
inwendig nicht schlecht sein. Der Mann rüttelte sich: Wer aufschreit
wie ein schwer getrost'eneS Tier, den darf man nicht über sein Ver-
mögen beladen. Und Frerk Jdwersen versprach Frau Ottilie freien
Willens, versprach ihr Aug' in Auge, Hand in Hand: Er werde hin-
fort sein HauS sauber halten.
Der Holzhändler war ein Mann von Wort. Seit diesem Tage
hatte die Holzhändlerin wieder willige, fleißige, behutsame, getreulich
um Kai, den Stammhalter, bemühte Mädchen.
Doch eS kam die Zeit, wo Frerk Jdwersen nicht etwa sein Wort
brach, aber: eS nur dem Buch-
staben nach erfüllte. Er hielt weiter-
hin sein HauS sauber. Als eines der
Mädchen ihm nachstellte, sprach er
die Kündigung aus. Indessen draußen
nahm er Frauen, wo er sie fand.
Und da er durch sein Geschäft immer
häufiger genötigt wurde, von Hause
fort zu sein, und seine Hünenhaftig-
keit die Erfüllung unauSgelebter
Wünsche verhieß, fand er viele
Frauen.
Die HolzhändlerSgattin wußte,
daß draußen der Mann ihr nicht
treu war. Wodurch sie daS wußte?
Eine Frau weiß es. Auch Frau
Ottilie hätte einer handgreiflichen
Bestätigung ihres Mannes nicht be-
durft. Wider den innersten Willen
wurde sie davon überfallen. Da daS
Holzgeschäft sich von Monat zu
Monat auswuchs, Kai ihrer Für-
sorge nicht mehr wie während dec
ersten Jahre der Ehe von früh bis
spät bedurfte, half fie ihrem Mann
in seinem Privatbüro. Dabei traf
fie eines Tages auf einen Geldposten,
der allmonatlich an ein Mädchen
abzusenden war.
Frau Ottilie gedachte deS einzigen
Zusammenstoßes in ihrer Ehe, er-
innerte sich der Worte Frerk Jdwer-
sens, daß eü 'hätte sein müssen und
weiterhin sein werde, beugte stch dem
Geschehenen und nahm eS auf sich.
Max Beckmann Eines Abends, als er nach wochen-
chen, Briennerstraßej langer Abwesenheit für Stunden in
&r Süuperneur
Kn®, jo
kijwj
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-AUF DASS IHR NICHT-
Von Hans Franck
Der Holzhändler Frerk Jdwersen zu Brilon lebte mit seiner Frau
Ottilie überaus glücklich. Wer die beiden obenhin anisah, mußte aller-
dings die Gegensätze zwischen Mann und Frau so gemehrt finden, daß
fie ihm unüberbrückbar erschienen. Er: auS der Weite baumloser
sriefischer RIeernähe inS bergverstellte, loaldivilde Sauerland ver-
schlagen — sie: zwischen Bäumen und Bergen daheim, von einer-
unerklärlichen, einer krankhaften Angst vor jeder Wasserfläche; er:
zwar lutherisch getauft, aber Kirche und Gott seit seiner Konfirmation
entfremdet — fie: von Herzen fromm, Katholikin, die keine Morgen-
messe, auch nicht des Winters in stockfinsterer Nacht, versäumte; er:
ein Hüne, blond, breit, laut, voller Lachen — sie: kaum mittelgroß,
schwarz, schmal, still, voller Staunen über die Unbekümmertheit, mit
der so ein Mann die Welt, das Leben, die Menschen, sie selber nahm,
wann, wo, wie er wollte. Aber diese und hundert andere Gegensätze
noch machten die Liebe Frerk JdwersenS nicht müde, reizten sie viel-
mehr immer von neuem an. Auch daß anfangs der unumgänglich
notwendige Erbe ausblieb, hatte nur die Wirkung: alle Manneskräfte
des Holzhändlers zu steigern. Als dann im sechsten Jahr der Ehe daS
geforderte Kind von der scheuen Sauerländerin geboren wurde, und
ein ungewöhnlich schwerer, langgliederiger, blonder Junge war, da
überschlug sich das Glück des Drei-
unddreißigjährigen.
Aber bei diesem Sich-Ueberschla-
gen mußte die Liebe Frerk Jdwer-
sens zu Frau Ottilie innerlich doch
Schaden gelitten haben. Fortan
mußte Frau Ottilie häufig ihre
Mädchen wechseln. Sie wußte ihrem
Mann stets einleuchtende Gründe
für die Kündigung beizubringen. Die
eine war frech — die andere faul,
diese zerschlug tagaus, tagein Ge-
schirr — jene hatte den Jungen im
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üble Erfahrungen mehr waren. Ein-
mal kam Frau Ottilie mit ihrer
Kündigung aber doch zu spät. Bei
einer krausköpfigen Rheinländerin
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zu kurz. Da die HolzhändlerSgattin
der Heulenden ihre Verfehlung vor-
hielt, riß diese den Kopf hoch und
gab auf die Frage: „Wer?" zur
Antwort: „Der Herr". So heraus-
fordernd, so glückselig, als ob damit
nicht nur alles erklärt, sondern auch
gerechtfertigt sei.
An diesem Abend gab es zwischen
den Eheleuten doch einen Zusammen-
stoß. Wäre Frerk Jdwersen reuig,
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— Frau Ottilie hätte ihm ohne viel
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aufrechten Hauptes vor ihr. Und
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schluchzte die Bestürzte auf. Ob er sie nicht mehr liebe? — Doch. Mit
ungeminderter Kraft. — Wie denn das fein könne? — Wisse er nicht.
Er wisse nur: Eö hätte sein müssen, Unbeschadet seiner Liebe zu ihr.
— Sie gehe ins Wasser!! — Wie fie daS in einem Lande anstellen
wolle, wo eS allerlei Rinnsale gäbe, aber bestimmt kein Wasser? —
Sie laufe zur Sperre und springe ins Möhnemeer! — Meer? Frerk
Jdwersen lachte, daß die Wände zitterten. Meer?? Möhnetalteich!
Also gut, seinetwegen Möhnetalsee! Aber: Meer?
Dieses Lachen schlug die Brücke, auf der die HolzhändlerSoheleute
wieder von hüben nach drüben fanden. Die Frau erkannte: Wer zu
lachen vermag wie ein helläugiger, unverdorbener Junge, der kann
inwendig nicht schlecht sein. Der Mann rüttelte sich: Wer aufschreit
wie ein schwer getrost'eneS Tier, den darf man nicht über sein Ver-
mögen beladen. Und Frerk Jdwersen versprach Frau Ottilie freien
Willens, versprach ihr Aug' in Auge, Hand in Hand: Er werde hin-
fort sein HauS sauber halten.
Der Holzhändler war ein Mann von Wort. Seit diesem Tage
hatte die Holzhändlerin wieder willige, fleißige, behutsame, getreulich
um Kai, den Stammhalter, bemühte Mädchen.
Doch eS kam die Zeit, wo Frerk Jdwersen nicht etwa sein Wort
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nahm er Frauen, wo er sie fand.
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