Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 34.1929, (Nr. 1-52)

DOI Heft:
Nr. 3
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.6761#0040
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Oer Gouverneur • Alfred Kubin

sein Hauö cingekehrt lvar, schlug die Holz Händlerin ihrem Manne
vor: Da man sür sein Geld von Woche zu Woche weniger Waren
kaufen könne, so sei es doch wohl an der Zeit, auch den Posten aus
Seite 26 seines Privatkontos, der immer noch allmonatlich in der alten
Höhe abgesandt werde, jede Woche zu schicken, nicht in Teilbeträgen,
sondern stets die ganze Summe? Frerk Jdwersen, der nur halb hin-
gehört hatte, fragte: „Welchen Posten?" Frau Ottilie nannte den
Namen des Mädchens. Leise, unbetont, mit geflissentlicher Selbst-
verständlichkeit.

Dennoch rissen die beiden Worte den Holzhändler herum. Er sah
seine Frau prüfend an, nickte zustimmend, ging auf sie zu, nahm ihre
Hand und sagte: Es müsse vom nächsten Monat an noch ein Posten
gleicher Art zur Absendung gebracht werden. Sie möge in beiden
Fällen so oft, so viel schicken, wie sie für gut halte. Er werde ihr vor
seiner Abreise die neue Adresse sagen, nein, besser gleich ins Privat-
konto eintragen. Ob er sich darauf verlassen könne, daß beide hin-
reichend bekämen? — „Gewiß, Frerk." — „Bist du mir sehr böse?" —
„Nein, Frerk." — „Aber doch ein bißchen?" — „Böse? Nein. Viel-
leicht nicht einmal traurig. Nur.unruhig, Frerk." — „Weswegen?"

— „Daß du mich nicht lieb behältst."

Da lachte Frerk Jdwersen auf, wie er gelacht hatte, als die Der-
sauerländerte das Staubecken der Möhnetalsperre Meer genannt
hatte, riß die Frau an sich, trug sie von dannen, nahm sie, blieb eine
Woche lang, und auch die blnruhe Frau Ottiliens schwand hin.

Das Geschäft des Briloner Holzhändlers dehnte sich während des
nächsten JahreS ins Uferlose. Frerk Jdwersen wurde von Tag zu
Tag, wurde schließlich von Stunde zu Stunde reicher. Er kaufte sich
als Erster der Stadt ein Auto. Er nahm, da seine Frau dem Ansturm
der Nullen ins Privatkontor nicht mehr standhalten konnte, einen
Geschäftsführer. Denn er kam, seit er einen Wagen besaß, zwar

— wie er beim Kauf versprochen hatte — häufiger nach Hause, aber

er fuhr auch häufiger fort. Nur noch Stunden des Monats war er
in Brilon.

Fragte bei der Heimkehr des HolzhändlerS der Geschäftsführer nach
Ungeklärtem, hieß die Antwort: „Meine Frau..." Wollte der
Geschäftsführer Weisungen für die Zeit der Abwesenheit des Chefs,
erwiderte Frerk Jdlversen: „Meine Frau ..." Bei Bedenken: „Meine
Frau ..." Bei der Hinterbringung des Erlöses glückhafter Abschlüsse:
„Meine Frau . .." Bei Schwierigkeiten: „Meine Frau ..." Don
früh biö spät saß Frau Ottilie neben dem Geschäftsführer, einem
lockigen Rheinländer, im Privatbüro ihres Mannes, Tag für Tag
rechnete sie mit dem Schriftführer. Bis in die späte Nacht hinein
schrieb sie Nullen init dem Geschäftsführer. War Frerk Jdlversen auf
der Durchreise bei sich zu Hause, und loollten Frau und Geschäfts-
führer ihm die Bücher vorlegen, so hieß eö: „Ist gut. Ihr werdet's
schon machen, ihr beiden."

lllnd eS kam, lvie es kommen inußte.

Eines Tages erhielt Frerk Jdwersen irgendwo einen nicht Unter-
zeichneten Brief. Als er gegen Morgen des letzten November 1923
zu Fuß heimkehrte, fand er den Geschäftsführer in seinem Bett. Er
warf ihn — buchstäblich — aus dem Schlafstubenfenster des ersten
Stockwerkes.

Von dem Aufschrei des Geschäftsführers wurde Frau Ottilie aus
den Kiffen, in die sie ihren Kopf eingewühlt hatte, hochgerissen. Frerk
Jdwersen kam mit erhobenen Fäusten auf daS Bett zu. Frau Ottilie
faltete ihre Hände. Nur noch Minuten hatte sie zu leben. Vier-
Schritte — dann würden die erhobenen Fäuste ni'edersausen, treffen,
und mit dem Leben war -eS vorbei. Beten! Geschah ihr recht. Wer
die Ehe brach, hatte den Tod verdient. Beten! Nur noch drei Schritt.
Beten! Beten!! Frerk Jdwersen stand am Bettseiner betenden Frau.
Ließ die geballte Rechte niedersausen. Aber mitten im Schlag hielt er
inne. Schüttelte den Kopf. Ging in sein Büro.
Register
Alfred Kubin: Der Gouverneur
 
Annotationen