Von Ramon Gomez de la Ser na
Ein großer industrieller Erfolg besteht oft
nur darin, daß man alten, längst vertrautes!
Dingen eine kleine Wendung, eine neue Nuance
zu geben versteht. Warum hat noch niemand
die Idee aufgegriffen, daß man mit dem
gummierten Rand der BriefkuvertS ein Ver-
mögen verdienen kann?
Hunderte von Leuten haben die Gewohnheit,
diese gummierten Ränder beim Zukleben des
Briefes abzulecken; wie dankbar wären alle
diese Interessenten, wenn man den Gummi
mit einer wohlschmeckenden Substanz ver-
mengte, wodurch die Tätigkeit des Briefe-
zuklebenS mit einemmal aus einer lästigen
Arbeit in einen willkommenen Genuß ver-
wandelt wäre.
Große Briefpapierkartons mit Früchte- und
Karamellaroma würden auf den öffentlichen
Plätzen feilgeboten werden, und jedermann
wäre bereit, große Mengen für feinen Ge-
brauch anzukaufen. „Kuvertskollektionen mit
Erdbeergefchmack. . . Kuverts mit Pfefferminz
. .. Elegante Kuverts mit Maraschino . . ."
Ich sehe bereits im Geiste die verzückten
Gesichter der Feinschmecker, die ihre Kuverts
nicht sorgfältig genug ablecken können. Be-
sonders die Damen werden die luxuriösesten
Assortiments kaufen, handgeschöpftes Bütten
und englisches Hadernpapier.
Wie gerne werden sie den Geschmack von
„Baisers" naschen, die ihnen ein erfahrener
Frauenfreund in seinen Briefen senden wird.
(Deutsch von Ernst Felix Weis;)
n 9-
^1/1
i.
Es wäre sinnlos, anzunebmen, daß den
lieben Gott die ganze Angelegenheit nicht aufs
äußerste erregt und in Rage gebracht hätte.
Er hatte durchaus nicht kalten Blutes gestraft,
wie man das vielleicht gerne hätte glauben
wollen, denn er batte seine Kinder wirklich
geliebt, vor allen Dingen aber war ihm
Adam, dieses erste wohlgelungene Produkt,
an sein väterliches Herz gewachsen. Sein
Vertrauen zu Eva war von Anfang nicht
ein übermäßig großes gewesen, anderseits
konnte man nicht umhin, zu gestehn, daß sie
reizend aussah, und man versuchte, sich der
Hoffnung hinzugeben, daß sie sich schon machen
würde. Nun, eS hatte sich herausgestellt, daß
sie nicht daran dachte, „sich zu machen", sie
batte gesündigt und Adam mit in die Sünde
gezogen. Es war schwer, den ersten geliebten
Gegenstand des Schöpferwillens aus dem vor-
züglich eingerichteten Paradiese zu vertreiben,
aber eS mußte sein, wollte man ein wenig
auf seine Autorität halten. Vielleicht war eS
allzu bitter, hinter den Vertriebenen noch den
Fluch der Arbeit zu n>ettern, vielleicht war
aber diese Arbeit die beste Lösung für den,
der von nun an in weiterer Entfernung von
wohlgelungenen Apfelbäumen sein Leben zu
verbringen gezwungen sein würde.
Als der liebe Gott an diesem Punkte seiner
Betrachtungen angelangt war — vielleicht
können Sie sich vorstellen, wie er dasaß,
graues Haupt gramvoll, aber entschieden in
rechte Hand gestützt —, ließ sich plötzlich
Satan bei ihm melden. Ironisch und höflich,
lvie das seine Art seit jeher war, grüßte er
und ließ sich sofort mit einer durchaus opern-
haften Bewegung in einen Wolkensegel fallen,
während er die Beine in den tadellos sitzenden
schwarzen Seidentrikots leger übereinander
kreuzte.
Ob eS gestattet sei, so begann er seine Arie
des berühmten Baritons, eine kleine Anfrage
in bezug auf die Erfindung jener neuen Sache
zu richten, die man an höchster Stelle beliebe
„A r b e i t" zu nennen? Ob man wirklich an
höchster Stelle glaube, daß Adam, mir nichts,
dir nichts, vom Apfel zur Arbeit zu greifen
D i e M a s k e MarliceHinz
42
Ein großer industrieller Erfolg besteht oft
nur darin, daß man alten, längst vertrautes!
Dingen eine kleine Wendung, eine neue Nuance
zu geben versteht. Warum hat noch niemand
die Idee aufgegriffen, daß man mit dem
gummierten Rand der BriefkuvertS ein Ver-
mögen verdienen kann?
Hunderte von Leuten haben die Gewohnheit,
diese gummierten Ränder beim Zukleben des
Briefes abzulecken; wie dankbar wären alle
diese Interessenten, wenn man den Gummi
mit einer wohlschmeckenden Substanz ver-
mengte, wodurch die Tätigkeit des Briefe-
zuklebenS mit einemmal aus einer lästigen
Arbeit in einen willkommenen Genuß ver-
wandelt wäre.
Große Briefpapierkartons mit Früchte- und
Karamellaroma würden auf den öffentlichen
Plätzen feilgeboten werden, und jedermann
wäre bereit, große Mengen für feinen Ge-
brauch anzukaufen. „Kuvertskollektionen mit
Erdbeergefchmack. . . Kuverts mit Pfefferminz
. .. Elegante Kuverts mit Maraschino . . ."
Ich sehe bereits im Geiste die verzückten
Gesichter der Feinschmecker, die ihre Kuverts
nicht sorgfältig genug ablecken können. Be-
sonders die Damen werden die luxuriösesten
Assortiments kaufen, handgeschöpftes Bütten
und englisches Hadernpapier.
Wie gerne werden sie den Geschmack von
„Baisers" naschen, die ihnen ein erfahrener
Frauenfreund in seinen Briefen senden wird.
(Deutsch von Ernst Felix Weis;)
n 9-
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i.
Es wäre sinnlos, anzunebmen, daß den
lieben Gott die ganze Angelegenheit nicht aufs
äußerste erregt und in Rage gebracht hätte.
Er hatte durchaus nicht kalten Blutes gestraft,
wie man das vielleicht gerne hätte glauben
wollen, denn er batte seine Kinder wirklich
geliebt, vor allen Dingen aber war ihm
Adam, dieses erste wohlgelungene Produkt,
an sein väterliches Herz gewachsen. Sein
Vertrauen zu Eva war von Anfang nicht
ein übermäßig großes gewesen, anderseits
konnte man nicht umhin, zu gestehn, daß sie
reizend aussah, und man versuchte, sich der
Hoffnung hinzugeben, daß sie sich schon machen
würde. Nun, eS hatte sich herausgestellt, daß
sie nicht daran dachte, „sich zu machen", sie
batte gesündigt und Adam mit in die Sünde
gezogen. Es war schwer, den ersten geliebten
Gegenstand des Schöpferwillens aus dem vor-
züglich eingerichteten Paradiese zu vertreiben,
aber eS mußte sein, wollte man ein wenig
auf seine Autorität halten. Vielleicht war eS
allzu bitter, hinter den Vertriebenen noch den
Fluch der Arbeit zu n>ettern, vielleicht war
aber diese Arbeit die beste Lösung für den,
der von nun an in weiterer Entfernung von
wohlgelungenen Apfelbäumen sein Leben zu
verbringen gezwungen sein würde.
Als der liebe Gott an diesem Punkte seiner
Betrachtungen angelangt war — vielleicht
können Sie sich vorstellen, wie er dasaß,
graues Haupt gramvoll, aber entschieden in
rechte Hand gestützt —, ließ sich plötzlich
Satan bei ihm melden. Ironisch und höflich,
lvie das seine Art seit jeher war, grüßte er
und ließ sich sofort mit einer durchaus opern-
haften Bewegung in einen Wolkensegel fallen,
während er die Beine in den tadellos sitzenden
schwarzen Seidentrikots leger übereinander
kreuzte.
Ob eS gestattet sei, so begann er seine Arie
des berühmten Baritons, eine kleine Anfrage
in bezug auf die Erfindung jener neuen Sache
zu richten, die man an höchster Stelle beliebe
„A r b e i t" zu nennen? Ob man wirklich an
höchster Stelle glaube, daß Adam, mir nichts,
dir nichts, vom Apfel zur Arbeit zu greifen
D i e M a s k e MarliceHinz
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