) ) lasbenball
Ich schwärme zwischen silbernen Perücken
und trage heute meinen Domino.
Die Damen schwirren auf mich zu wie Mücken.
Mein Herz ist nun ein Clown und flirtet froh.
Parfüm zerstäubt in Wolken. Lichter blenden.
Frech blitzt ein Augenpaar, das sinnlich glänzt.
Cr eff sprüht, moussiert in schmalen Mädcben-
lenden.
Heut ist man selbst Destert nnd wird kredenzt.
Die Silberdüten der Trompeten knarren.
Die Jarrband knallt. Ein Saxophon blökt
schwül.
Ein Banjo hackt aus uns ren Nerven: „Narren".
Man aber lacht darob und mimt Gefühl.
Herbert Strutz
Von Hermann Kesten
mit Zeichnungen von
B. F. D o \ b i n
In diesem Lokal nächtigt, in Nischen ab-
geteilt, die feinere Literatur. Es ist eine
Mischung von Wartesaal, -Obdachlosenasyl
nnd Boudoir. An den Wänden verbreiten sich
die Gattinnen großer Dichter. Man tritt ein
nnd hört das historische Geschrei epochaler
Geistgeburten. Ein bejahrter Karikaturist sitzt
in einer Ecke und zeichnet am lausenden Band
die Piccolos, die Kleistpreisträger des Jahres
ig/jo. Seine Karikaturen gleichen den Photo-
graphien bekannter Mitglieder der Dichter-
akademie. Verleger sitzen herum, trächtig von
Autorenvorschüssen, wie ungemolkene Kühe
voll von gegorener Milch. Hier brauen sich,
gleich Gewitterwolken, die furchtbaren Lite-
raturzwiste, großartige GeisteSkämpse, die zu-
weilen bis zu einer Glosse in einer größeren
Tageszeitung führen. Kritiker 3:. hat Kritiker
HEINRICH MANN und
VERLEGER PAUL 2 SOL NA'/
2). einen Esel genannt. Hier treffen sich beide
Ignoranten und sitzen Rücken an Rücken, jeder
Esel ein Zoll.
Weltanschautingen wachsen aus, grau wie
Rauch von ^-Pfennig-Zigaretten, und zarte
Lyriker berauschen sich um einer pervertierten
Paradoxie willen an nacktem Sekt. Neenschen
gehen ein und aus, tragen breite Brillen vor
beseelten Blicken.
Wenn der Ntorgen graut, liegen trübe
Fetzen Seele und der bekannte lyrische Kom-
munist unterm Tisch. Ein einfacher Herr sieht
aus wie ein Opernsänger, eine schlichte Dame
trägt aus Prinzip keinen Büstenhalter, drei
Herren sind in Berlin berühmt. Der be-
kannte Regisseur A. B. sitzt 'herum zum Be-
weis, daß er auch im geschlossenen Lokal wie
ein Aste aussieht. 30 Dichter verneigen sich
vor seinem Stuhl, weil der geniale Mann
zwölf Schauspieler dummes Zeug auf ab-
geschmackte Art aussagen ließ.
DaS ganze Lokal trägt den innigen Fami-
liencharakter der zweiten Kajüte von Ostasien-
dampfern und die künstliche Lebendigkeit von
Panoptiken. Wächserne Säulen aus Ruhm
schmelzen in der sanften Musik tödlicher LobeS-
hymnen lächelnder Konkurrenten. Hier wer-
den große Freundschaften geschlossen und zu
Buchkritiken umgearbeitet. Konfektionäre st'n-
den keinen Zutritt. Die Kulturblüte der Nation
öffnet hier ihren Kelch.
Dies Lokal ist das Lokal der geistigen Elite!
Es sind Lyriker im Raum, deren Ruhm geht
rund um die Gedächtniskirche, und ihre Auslage
ist weniger zahlreich als die Stammkundschaft
des romanischen Cafes, und Dramatiker
lächeln neben blassen Dramaturgen, welk-
lippige Dramatiker, deren Stücke in Ioko-
hama gespielt werden und in London, in Paris
und in Mailand, in Kopenhagen und in Neu-
Aork, in Moskau und fast niemals in Berlin,
dafür aber hier mit mäßigem Beifall, blnd
all' dieser Poeten Gespräche handeln nicht vom
Mond und seinem zweiselvollen Licht, ihre
Dialoge gehen nicht über den Staat und
seinen zweifelhaften Wert, ihre Meinungen
sind festgelegt von den billigbezahlten kleinen
Boulevardjünglingen der Presse, die man all-
gemein verachtet, und die zuweilen Sitten-
bilder schreiben dürfen, soweit eS den Chef-
redakteur nicht desavouiert, denn dieser hat
seine granitene Meinung, die meist noch auS
dem Jahre 1911 stammt und 1924 frisch über-
tüncht wurde; seitdem ist sie schon wieder leicht
rissig, Hugenberg und seine Antipoden Schim-
mern hindurch, lehmsarben auS Neigung.
Die vom Restaurateur meist unbezahlten
prominenten Säulen des im irremauresken
Stil erbauten Lokals - sprechen in tierischem
Ernst über ihre eigenen Bücher, über Käse,
Salat, Kleider, Verleger, Nutten und die
Konkurrenz. Ihre Mystik wölkt hyazinth-
sarben über dem eigenen Nabel. Da sie sehr
prominent sind, tragen sie Geld, Gattin und
Regenschirm und sterben im Durchschnitt zehn
Jahre zu spät.
DaS Lokal liegt im Westen der Stadt. Gott
selbst wohnt in der Nähe in einer Kirche
aus der Gotik Wilhelms des Zweiten. Am
Kurfürstendamm herrscht ein lebhafter Ver-
kehr. Wenn man an ihm entlangläuft, kommt
man bald ans Ende von Berlin. Da kann
man Nachts Sterne sehen und den Wind
hören. Der Rest, sagte man mir, sei Literatur.
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Ich schwärme zwischen silbernen Perücken
und trage heute meinen Domino.
Die Damen schwirren auf mich zu wie Mücken.
Mein Herz ist nun ein Clown und flirtet froh.
Parfüm zerstäubt in Wolken. Lichter blenden.
Frech blitzt ein Augenpaar, das sinnlich glänzt.
Cr eff sprüht, moussiert in schmalen Mädcben-
lenden.
Heut ist man selbst Destert nnd wird kredenzt.
Die Silberdüten der Trompeten knarren.
Die Jarrband knallt. Ein Saxophon blökt
schwül.
Ein Banjo hackt aus uns ren Nerven: „Narren".
Man aber lacht darob und mimt Gefühl.
Herbert Strutz
Von Hermann Kesten
mit Zeichnungen von
B. F. D o \ b i n
In diesem Lokal nächtigt, in Nischen ab-
geteilt, die feinere Literatur. Es ist eine
Mischung von Wartesaal, -Obdachlosenasyl
nnd Boudoir. An den Wänden verbreiten sich
die Gattinnen großer Dichter. Man tritt ein
nnd hört das historische Geschrei epochaler
Geistgeburten. Ein bejahrter Karikaturist sitzt
in einer Ecke und zeichnet am lausenden Band
die Piccolos, die Kleistpreisträger des Jahres
ig/jo. Seine Karikaturen gleichen den Photo-
graphien bekannter Mitglieder der Dichter-
akademie. Verleger sitzen herum, trächtig von
Autorenvorschüssen, wie ungemolkene Kühe
voll von gegorener Milch. Hier brauen sich,
gleich Gewitterwolken, die furchtbaren Lite-
raturzwiste, großartige GeisteSkämpse, die zu-
weilen bis zu einer Glosse in einer größeren
Tageszeitung führen. Kritiker 3:. hat Kritiker
HEINRICH MANN und
VERLEGER PAUL 2 SOL NA'/
2). einen Esel genannt. Hier treffen sich beide
Ignoranten und sitzen Rücken an Rücken, jeder
Esel ein Zoll.
Weltanschautingen wachsen aus, grau wie
Rauch von ^-Pfennig-Zigaretten, und zarte
Lyriker berauschen sich um einer pervertierten
Paradoxie willen an nacktem Sekt. Neenschen
gehen ein und aus, tragen breite Brillen vor
beseelten Blicken.
Wenn der Ntorgen graut, liegen trübe
Fetzen Seele und der bekannte lyrische Kom-
munist unterm Tisch. Ein einfacher Herr sieht
aus wie ein Opernsänger, eine schlichte Dame
trägt aus Prinzip keinen Büstenhalter, drei
Herren sind in Berlin berühmt. Der be-
kannte Regisseur A. B. sitzt 'herum zum Be-
weis, daß er auch im geschlossenen Lokal wie
ein Aste aussieht. 30 Dichter verneigen sich
vor seinem Stuhl, weil der geniale Mann
zwölf Schauspieler dummes Zeug auf ab-
geschmackte Art aussagen ließ.
DaS ganze Lokal trägt den innigen Fami-
liencharakter der zweiten Kajüte von Ostasien-
dampfern und die künstliche Lebendigkeit von
Panoptiken. Wächserne Säulen aus Ruhm
schmelzen in der sanften Musik tödlicher LobeS-
hymnen lächelnder Konkurrenten. Hier wer-
den große Freundschaften geschlossen und zu
Buchkritiken umgearbeitet. Konfektionäre st'n-
den keinen Zutritt. Die Kulturblüte der Nation
öffnet hier ihren Kelch.
Dies Lokal ist das Lokal der geistigen Elite!
Es sind Lyriker im Raum, deren Ruhm geht
rund um die Gedächtniskirche, und ihre Auslage
ist weniger zahlreich als die Stammkundschaft
des romanischen Cafes, und Dramatiker
lächeln neben blassen Dramaturgen, welk-
lippige Dramatiker, deren Stücke in Ioko-
hama gespielt werden und in London, in Paris
und in Mailand, in Kopenhagen und in Neu-
Aork, in Moskau und fast niemals in Berlin,
dafür aber hier mit mäßigem Beifall, blnd
all' dieser Poeten Gespräche handeln nicht vom
Mond und seinem zweiselvollen Licht, ihre
Dialoge gehen nicht über den Staat und
seinen zweifelhaften Wert, ihre Meinungen
sind festgelegt von den billigbezahlten kleinen
Boulevardjünglingen der Presse, die man all-
gemein verachtet, und die zuweilen Sitten-
bilder schreiben dürfen, soweit eS den Chef-
redakteur nicht desavouiert, denn dieser hat
seine granitene Meinung, die meist noch auS
dem Jahre 1911 stammt und 1924 frisch über-
tüncht wurde; seitdem ist sie schon wieder leicht
rissig, Hugenberg und seine Antipoden Schim-
mern hindurch, lehmsarben auS Neigung.
Die vom Restaurateur meist unbezahlten
prominenten Säulen des im irremauresken
Stil erbauten Lokals - sprechen in tierischem
Ernst über ihre eigenen Bücher, über Käse,
Salat, Kleider, Verleger, Nutten und die
Konkurrenz. Ihre Mystik wölkt hyazinth-
sarben über dem eigenen Nabel. Da sie sehr
prominent sind, tragen sie Geld, Gattin und
Regenschirm und sterben im Durchschnitt zehn
Jahre zu spät.
DaS Lokal liegt im Westen der Stadt. Gott
selbst wohnt in der Nähe in einer Kirche
aus der Gotik Wilhelms des Zweiten. Am
Kurfürstendamm herrscht ein lebhafter Ver-
kehr. Wenn man an ihm entlangläuft, kommt
man bald ans Ende von Berlin. Da kann
man Nachts Sterne sehen und den Wind
hören. Der Rest, sagte man mir, sei Literatur.
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