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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 34.1929, (Nr. 1-52)

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Nr. 10 (Sondernummer: Exoten)
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ACH F. A. STEEL VON MAGDALENE ZIMMERMANN

lieber dem kleinen indischen Dorf am Fuß des Jadusa-PasteS Mar-
der Mond aufgegangen. Hell leuchteten die Sandsteinplatten auf
den Gräbern, die gruppenweise unter den weitschattenden Zamarinden-
baumen lagen. Tragdeo, der alte Hüter des Dschungels, stand sinnend
bei den Steinen. Leise klirrten die Glöckchen an seinem geschmückten
Speer, und immer wieder tastete seine Hand nach der Halskette aus
Zigerklauen und dem kleinen eisernen Ziger, dem Bildnis Budhal
PenS, des alten Gottes der Götter. Er trug diese Zeichen seines
Amtes zum letzten Mal, denn morgen sollte sein Enkel Baghela dem
Sonnengott den Treueid leisten. Tragdeo blickte stnster zum nahen
Dschungel hinüber, der düster und lauernd wie ein Raubtier lag.
D, ste sollten zittern, die Bestien, die des Gottes Zigergestalt gestohlen
hatten: Baghela würde ste mederzwingen, denn — er hatte ein Erbe
übernommen, das den Zigern Schrecken und Zod bringen würde.
Sie hatten ihn Beghela — Ziger-JungeS — genannt, weil er sechs
Monate nach dem Zode seines Vaters geboren war, den sie sterbend
auf einem toten Ziger im Dschungel gefunden hatten, lind sollten
diese sechs Monate ihm nicht tief und unverlierbar den Haß gegen
die verstuchten Bestien ins Herz gebrannt haben, da die junge Mutter
ihn in Schmerz und Verzweiflung getragen hatte?

Mit einem erlösten Aufatmen hob Nagdeo die Hand und stüsterte:
„Nun mögen die jungen Mädchen ihre Krüge über mich zerbrechen
und mich mit den Scherben bedecken. Nehmt mich auf, Schlummernde!
Ich darf zu euch kommen, denn seht, ich trage keine Schramme auf
dem Rücken."

In seiner niedrigen, schindelgedeckten Hütte kauerten indes Mutter
und Großmutter noch in angstvollem Geflüster bei der Asche des
Feuers, denn sie ahnten, daß diese sechs Monate, so wie sie von ihnen
verstanden wurden, etwas ganz anderes für Baghela bedeuten könnten.

Zunächst ging alles gut. Der Regen war nur schwach; die Herden
weideten noch im Hochland, und nur die Schäfer und Hirten konnten

sich von Verlusten erzählen. Dann aber brachen eines Zages aus
den Wolken die schrägen Güsse eines fast massiven Regens, der die
Sandhügel überschwemmte, als wenn eine zweite Sintflut gekommen
wäre. Als Baghela am Abend feinen Rundgang über den Paß
machte, war alles, was einige Schritte von chm entfernt war, nur
noch ein feuchtes, glänzendes Nichts, das selbst die Dunkelheit auS-
löschte mit nassem, undurchsichtigem Dampf, das den Klang der
Glocken dämpfte und jeden Geruch vernichtete.

So waren weder er noch der Ziger auch nur einen Augenblick
lang gewarnt. — Plötzlich standen sie sich gegenüber.

Da wußte Baghela, was diese sechs Monate vor seiner Geburt in
ihn eingebrannt hatten. Entsetzen, maßloses, unbezwinglicheS Entsetzen!
Er wußte nichts mehr als: fliehen! fliehen! Im nächsten Augenblick
fühlte er einen heißen Atem hinter sich, hörte das heisere, wütende
Keuchen, und all seine junge Kraft strömte aus in einem Schrei, wie
ihn seine Mutter ausgestoßen hatte, als man ihr die Leiche ihres
Mannes brachte. In den Nebel hinein flüchtete er und fühlte den
kalten Dampf vor sich, den heißen hinter sich. Da peitschte ihn die
entsetzliche Angst auf zu einem übermenschlich weiten Sprung, und —
er siel.

Nicht einen Augenblick zu früh, denn gerade als er niederschoß,
flog ein Schatten über ihn in den Nebel hinein und irgend etwas
schrammte leicht seinen nackten Rücken. Dann stürzte der Schatten
in die Ziese.

Eine Sekunde darauf kam ein langgezogenes, wütendes Geheul
durch den Nebel empor und vereinte sich mit Baghelas Wimmern,
den ein Busch vor dem Sturz in den Abgrund bewahrt hatte. Nach
einiger Zeit richtete er sich auf und kroch vorsichtig aus dem über-
hängenden Gezweig zum Rande des Abgrunds zurück. Da saß er
und schauderte in sich hinein vor der grausamen Erkenntnis, daß
unbezwinglirbe Furckt mit ihm geboren sei. Mehr als einmal
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Flora Annie Steel: Der Hüter des Dschungels
Magdalene Zimmermann: Der Hüter des Dschungels
Heinrich Heuser: Balinesischer Maskentanz
 
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