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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 34.1929, (Nr. 1-52)

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https://doi.org/10.11588/diglit.6761#0414
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hochstielige, blutrote Blume aufwächst, mit
schwarzen Negerhaaren an dem Bindfaden-
stiel, so meint jeder, die lampionrote Kitsch-
blume mit den papiernen, schlappen Blättern
sei etwas besonderes. Ilnd wenn des Afri-
kaners Braut in Selbstbetrachtung und im
unruhvollen Jnsichselbstversenktsein die stäche,
trockene Wiese ihres Daseins überschaute, so
schwankte das schwanenhalsige, blutrote Ge-
wächs des Namens Marion verwegen dar-
über.

Der Herbstabend stand breitbeinig am
Horizont, ballspielend mit den runden, weißen
Federwolken. An einen Bauin gelehnt
träumte Marion in die Landschaft. Die ver-
sank um sie, und nur die Wasenmeisterei blieb,
ein riesiges Schiff mit schwarzen Wänden.
Ein Schrei, dünn wie ein siebenmal ge-
schärftes Messer, sprang empor und gegen
den Himmel. Der Schrei des guten Tieres,
vom Metzger blind gemeuchelt, raste um die
Erde. Alles, was in Ketten lag, spürte Ver-
zweistung, und die Sichel des Monds blutete
auf im Rot des Rubins. Marion, süß ge-
peinigt von dem Schrei, warf die Arnie in die
Luft und hetzte hinunter in die Stadt, die sich
schon im Dunkel verkroch.

Aus den feuchten Gaffen glaubte sie Kröten
und Molche im Funkelzug ihr entgegenwallen
zu sehen. Sie scheute sonst vor der Berührung
der schleimkalten Tiere wie das Pferd vor
einem weißen Blatt Papier, aber heute bückte
sie sich, um einen steingroßen, grasgrünen
Frosch aufzuheben lind an die Wangen zu
drücken. Es war aber kein Froschprinz und
bloß ein froschgroßer Stein.

Daß die Rechnungsrätin im ersten Stock
den kranken Spitz weggeben wollte, erzählte
Marion, und daß die weißhaarige Dame sie
gebeten habe, das Tier zur Wasenmeisterei zu
bringen. Sie wand die Finger ineinander, daß
sie schmerzten. Otmar zögerte. „Warum willst
du es nicht?" fragte sie. Sie drückte ihren
Kopf gegen sein Kinn, und unter seinen
Händen spürte er ihre Brust, und da sagte er
keuchend: Ja. bind während das Mädchen
einiges, und beileibe nicht alles, dem Bräuti-
gam erlaubte, der wie ein Schatzgräber den
Batist durchwühlte, stog ihr leichter Sinn wie
eine Flaumfeder auf und fort und wiegte sich
wie ein Engelskopf vor den Fenstern des
Galgenhauses. Aber die Fenster waren trüb
und stiegenkotbefpritzt, und die Flaumfeder
seele schaukelte wieder zurück, und Marion
sagte entrüstet: „Otmar!" Er ließ es sein,
und auch sie glaubte an ihre Jungfräulichkeit,
die unbezweiselbar vorhanden war.-

Der Kerl, der Wasenmeister, hatte ein
lilienweises Gesicht, das wie ein Löschblatt
war, leicht aufgefasert. Den Hund hob er
hoch am Genick, und da hing er wie ein leerer
Sack, zusammengetröpfelt im Zipfel der Rest
der Körner. Marion schloß die Augen. Aus
feuersarbenem Grund sah sie einen schwarzen
Stern ausblühen, der silbern verbrannte. Der
Wasenmeister riß die Tür wieder auf.

Er lehnte sich mit hängendem Arm über-
feinen Zaun, ließ die Sonne auf den Pelz
brennen und sah dem eilig und schwankend
davongehenden Mädchen nach. Nun war ihm
selber wie einer Katze zumute, nur schnurren

konnte er nicht. Sein Buckel wurde regen-
bogenkrumm, und das Fräulein lief wie eine
weiße Maus vor ihm, und wie er zuschnappte,
hatte er in einen rostmürben Zaunnagel ge-
bissen. Den Nagel ließ er los, und dort sah
noch daS Fräulein zurück.

Zwischen blitzenden Spiegeln saß des Afri-
kaners Braut und bürstete ihr Haar. Auf den
Fußspitzen trippelte sie zur Kommode, hob
Otmarö Bild und küßte es. Zärtlich betrachtete
sie seine Orden und sah in der Steppe den
durstmatlen Geliebten. Der ging eben durch die
Register
Alfred Kubin: Walzmühle
 
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