le t iuUer
VON HEINRICH ROSSBACHER
Marter Feiner war noch nicht müde. Sie denkt, daß sie überhaupt
nicht mehr müde wird. Sie wird Sage und Wochen durch diese
Straßen Hetzen und sliehen. Sie weiß eigentlich nicht, vor wem.
Vielleicht vor ihrem Schicksal. Manchmal denkt sie, an der nächsten
Ecke muß eö stehen und mit den Zähnen knirschen. Wie der Hund,
den ihre Wirtin hat. Gestern früh erst wars sie ihm einen Knochen
hin, und er hat krachend hineingebissen.
Ob das Schicksal wirklich mit den Zähnen zupackt? Sie konnte
den Hund nie recht leiden, weil er so ein fletschendes Gebiß hatte.
Aber warum inacht sie dieser Oual nicht ein Ende, geht zur Polizei
und sagt: „Ich bin die Marta Feiner. Ich habe den Schongauer
umgebracht, weil er die Elga Kehrer mit hinausgenommen hat. Die
war auch nicht besser als ich." So würde sie sagen, und der Polizei-
sergeant würde ausspringen und sie absühren lassen. Oder er würde
auch ganz ruhig aus seinem Stuhl sitzen bleiben und nach der Wache
klingeln. Denn er war so etwas gewöhnt. „Eine Mörderin? Wenns
weiter nichts ist?"
In der Arreststube soll es gar nicht so häßlich sein. Die Erna
von der Porzellanabteilung hat schon einmal darin gesessen, und sie
hatte immer so nett davon erzählt. Die ganze Nacht war sie wach-
geblieben, weil die Polizisten nebenan solchen Lärm machten. Man
hört nicht überall so starke Männer lachen wie auf der Polizei.
Ob die wohl auch Witze machen, wenn s i e darin sitzt? Sie, die
Marta Feiner?
Aber sie ist eine Mörderin, und die Erna hatte bloß gestohlen.
Sie ist Marta Feiner, deren Name jetzt an allen Anschlagsäulen
klebt: „Zweifacher Mord!" Heute früh war der Leim noch feucht,
sie hat dem Zettelankleber bei der Arbeit zugesehen. Vielleicht hätte
ie den Mann die Belohnung verdienen lassen sollen. Er hat gewiß
eine Stube voll Kinder. Aber ihr eigenes Kind sitzt im FindelhauS,
und dem geht es sicher noch schlechter. Ob sie die Belohnung erhielte,
wenn sie sich selber stellte? Sie würde es ja nur ihres Kindes wegen
tun. Aber man wird sie auslachen, wenn sie den Grund angibt.
Nein. Noch ist sie nicht müde. Noch sind es erst knapp zehn
Stunden, daß sie in der Sendlingergasse II das Feuer anlegte, das
den Maler und dieses Frauenzimmer, die Elga Kehrer, bei lebendigem
Leibe verbrannt hat. Sie kennt die Person ganz genau. Sie näht
für das Warenhaus und sucht sich bei der Marta Feiner das
Nähgarn aus. Dann wühlt sie immer in dem Glaskasten herum,
in den Marta jeden Morgen die Garnrollen wie einen hölzernen
m
et er= un
VON HEINRICH ROSSBACHER
Marter Feiner war noch nicht müde. Sie denkt, daß sie überhaupt
nicht mehr müde wird. Sie wird Sage und Wochen durch diese
Straßen Hetzen und sliehen. Sie weiß eigentlich nicht, vor wem.
Vielleicht vor ihrem Schicksal. Manchmal denkt sie, an der nächsten
Ecke muß eö stehen und mit den Zähnen knirschen. Wie der Hund,
den ihre Wirtin hat. Gestern früh erst wars sie ihm einen Knochen
hin, und er hat krachend hineingebissen.
Ob das Schicksal wirklich mit den Zähnen zupackt? Sie konnte
den Hund nie recht leiden, weil er so ein fletschendes Gebiß hatte.
Aber warum inacht sie dieser Oual nicht ein Ende, geht zur Polizei
und sagt: „Ich bin die Marta Feiner. Ich habe den Schongauer
umgebracht, weil er die Elga Kehrer mit hinausgenommen hat. Die
war auch nicht besser als ich." So würde sie sagen, und der Polizei-
sergeant würde ausspringen und sie absühren lassen. Oder er würde
auch ganz ruhig aus seinem Stuhl sitzen bleiben und nach der Wache
klingeln. Denn er war so etwas gewöhnt. „Eine Mörderin? Wenns
weiter nichts ist?"
In der Arreststube soll es gar nicht so häßlich sein. Die Erna
von der Porzellanabteilung hat schon einmal darin gesessen, und sie
hatte immer so nett davon erzählt. Die ganze Nacht war sie wach-
geblieben, weil die Polizisten nebenan solchen Lärm machten. Man
hört nicht überall so starke Männer lachen wie auf der Polizei.
Ob die wohl auch Witze machen, wenn s i e darin sitzt? Sie, die
Marta Feiner?
Aber sie ist eine Mörderin, und die Erna hatte bloß gestohlen.
Sie ist Marta Feiner, deren Name jetzt an allen Anschlagsäulen
klebt: „Zweifacher Mord!" Heute früh war der Leim noch feucht,
sie hat dem Zettelankleber bei der Arbeit zugesehen. Vielleicht hätte
ie den Mann die Belohnung verdienen lassen sollen. Er hat gewiß
eine Stube voll Kinder. Aber ihr eigenes Kind sitzt im FindelhauS,
und dem geht es sicher noch schlechter. Ob sie die Belohnung erhielte,
wenn sie sich selber stellte? Sie würde es ja nur ihres Kindes wegen
tun. Aber man wird sie auslachen, wenn sie den Grund angibt.
Nein. Noch ist sie nicht müde. Noch sind es erst knapp zehn
Stunden, daß sie in der Sendlingergasse II das Feuer anlegte, das
den Maler und dieses Frauenzimmer, die Elga Kehrer, bei lebendigem
Leibe verbrannt hat. Sie kennt die Person ganz genau. Sie näht
für das Warenhaus und sucht sich bei der Marta Feiner das
Nähgarn aus. Dann wühlt sie immer in dem Glaskasten herum,
in den Marta jeden Morgen die Garnrollen wie einen hölzernen
m
et er= un