Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 34.1929, (Nr. 1-52)

DOI Heft:
Nr. 28
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.6761#0445
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
DIE MAGNOLIE

VON HERMANN HESSE

Lange saß ich heut aus einer der grünen Bänke am «Quai, auf
einer van diesen steifen, langweiligen Ruhebänken, die da im staubigen
KieS herumstehen, in gleichen Abständen, und auf denen abends die
Bummler und Fremden sitzen. Diele Jahre kenne ich nun diese Stadt
am See, habe oft monatelang in ihr gelebt, aber niemals war es
mir eingefallen, mich einmal zu den Bummlern auf eine dieser Bänke
zu setzen. Jetzt habe ich eS gelernt, und heut saß ich eine ganze Stunde
dort, um Mittag, beinahe ganz allein. Ich hatte ein Buch mit,
ein hübsches, amüsantes Buch; aber ich las nicht, ich saß nur in der
Sonne und ließ mir den Kopf rosten.

Durch die Blendung blinzelnd, sah ich
hinter der blfermauer den blauen See
mit lichten und mit tief blaugrünen
Streifen schimmern, zwei ferne Segel
wiegten sich schwebend darüber, wie
in der Luft ruhend, die grünen Ufer
griffen mit festen Armen um den See,
und im Süden schwammen zwischen
lichtem Sommergewölk hier und dort
halbverwischt die Umrisse von Schnee-
bergen.

Es war sehr ruhig um diese Stunde,
blinzelnd und zuweilen halb schlum-
mernd saß ich in meine Bankerke ge-
kauert, manchmal den Bewegungen
der fernen Segel folgend. In der
Nähe war wenig Leben. Einmal kam
ein junger Bursch gegangen, im
wollenen Sweater, mit sportlicher

Schneidigkeit, ein schöner Junge, den sanften Wind im langen bloßen
Haare wehend. Und einmal kam ein kleiner Knabe, ein Stöpjel von
sieben oder acht Jahren, der mochte nicht auf dem langweiligen KieS
gehen, sondern lief auf der Brüstung der Ou-ai-Ntauer stolz dahm,
und in der rechten Hand hatte er eine Kinderpistole, die er beständig
lud, und die er genau bei jedem fünften Schritt abschoß. Irgendein
Kriegshelden- oder Jndianertraum mochte ihn so rhythmisch über die
endlose Mauer dahin führen.

Als der Umriß seiner kleinen Figur undeutlich zu werden begann

und nur noch ein verlaufender kleiner
Farbsleck davon blieb, fing ich plötzlich
an zu beobachten, daß es ein gutes
Mal-Wetter fei, ein richtig malerischer
Dag, an welchem Luft und Wäger,
Erde und Gewächse wie von einem
Zauberhauch umhüllt und in eine holde
Einheit gebannt erscheinen, einer jener
Tage, an denen die Maler sich in ihre
Objekte verlieben, wo alles so magisch
und unwiderstehlich schön aussieht, wo
alles zur Darstellung lorkt, wo auch
noch das Geringste und Nüchternste
einen Duft und Reiz um sich weben
hat wie einen stillen Heiligenschein.

O, wie lange, wie unendlich lange
hatte ich nicht mehr gemalt! Wie viele
Monate hatte ich dies Glück ent-
behrt! In der Nüchternheit und winter-
lichen Licht-Armut mem»^ (Ptinhf*

Von Alexander Puschkin

Die letzte der Wolken nach Sturmes Gedräue,

Nur du fliegst dahin durch die heitere Bläue,

Nur du wirfst den Schatten hinab auf die Au
Nur du hüllst den festlichen Mittag in Grau.

Noch jüngst überdeckte den Himmel dein Dunkel
Und dräuend umwand dich der Blitze Gefunkel,
Geheimnisvoll tönte den Donner Dein Mund,

Du tränktest mit Regen den durstigen Grund.

Genug, geh von hinnen! Die Zeit ist entwichen,
Die Erde ward kühl und die Stürme verstrichen
Und streichelnd die Blätter der Bäume gelind
Vom ruhigen Himmel verjagt dich der Wind.

Übertragen von Henry v. Heiseier f
Register
Karl Holtz: Italienisches Bergstädtchen
Hermann Hesse: Die Magnolie
Alexander Sergejewitsch Puschkin: Die Wolke
 
Annotationen