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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 34.1929, (Nr. 1-52)

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Nr. 31
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https://doi.org/10.11588/diglit.6761#0509
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„Well." Harry spuckte in knappem Dogen um den Policeman
herum. werde den endgültigen Belveis liesern. Ich werde heule

um vier Uhr nachmittags wieder aufffekjen und erst zehn Jahre
vorher landen. Sie werden dann sehen, daß ich jünger geworden
bin . . . Proviant faßt der ,Regenerator' in ausreichender Menge.
Ich bitte Sie, Aerzte zu bestellen, die mich untersuchen, Photographen,
die mich knipsen — des späteren, nein: früheren Vergleichs halber.
Es ist heute mein vierzigster Geburtstag, bitte. An meinem dreißigsten
werden Sie mich Wiedersehen."

— Und abermals stieg Harry Snodgraß auf. Abermals blieb
dieser Vorgang für die Umstehenden unsichtbar. Abermals behauptete
Harry Snodgraß zwei Minuten nach vier Uhr, als er dem Regene-
rator entstiegen war, zehn Jahre geflogen zu sein, zehn Jahre der
Vergangenheit entrissen zu haben, in zehn verschiedenen Jahren die
Hunderte von Benachrichtigungszetteln abgeworfen zu haben, die
über vielen Großstädten der Erde m'edergegangen waren. Aber dies-
mal konnte er es beweisen. Viele Falten seines Gesichtes waren
verschwunden; seine vor dem Ausstieg sehr beträchtliche Glatze war
auf die Hälfte reduziert, die grauen Schläfenhaare hatten sich ge-
schwärzt; seine Kleider waren ihm am Leibe geplatzt, da er viel dicker
geworben war; Photographien und Meßziffern aus seinem dreißigsten
Lebensjahre bewiesen, daß er damals tatsächlich hundertundneunzig
Pfund gewogen hatte; man maß nach: es stimmte genau . . . Seine
alte Mutter sank vor Freude in Ohnmacht, als sie den verjüngten
Sohn sah.

Oie Welt war in höchster Aufregung. Oie Irrenhäuser füllten
sich mit Mathematikprofessoren, Philosophen und Technikern, die

das Nachdenken über Harry Snodgraß und sein Unternehmen verrückt
geinacht hatte. Die Post hörte mit dem Beamtenabbau auf und
baute zehntausend neue Beamte ein, um Herrn Harry Snodgratz
täglich zwanzigtausend Bittgesuche übermitteln zu können. Bittgesuche
von Ehemännern, die durch einen zehnjährigen Flug im ,Regenerator'
wieder Junggesellen werden, von alten Jungfern, die wieder heirats-
fähig werden wollten; von Finanzbeamten, die verjährte Steuer-
hinterziehungen aufzudecken trachteten, von entthronten Königen, von
Leuten, die in den letzten Jahren einen Mord begangen hatten; eine
junge Ehefrau bat sogar, ihre verstorbene Mutter mit in das Flug-
zeug zu nehmen, wogegen aber der Ehemann protestierte... es war
furchtbar!

Harry Snodgraß' Ofen fraß ungeheuer viel Brennstoff, und der
Winter war kalt. . . Ab und an sah er den täglichen Abflügen des
„Relativor" und seiner inzwischen fertiggestellten Schwesternflug-
zeuge zu. Er selbst aber flog nicht.

Bis er nach etlva zwei Monaten eine portopflichtige Zustellung
vom Zivilgericht erhielt. Sie enthielt die Mitteilung, daß Frau
Evcline gesch. Snodgraß gegen Herrn Harry Snodgraß eine Klage
auf Wiederherstellung des Eheverhältnisses angestrengt habe. Mit
fünfundzwanzig Jahren, so führte die Anklageschrift aus, habe er
sich mit ihr verheiratet, mit fünfunddreißig habe er sich rechtsgültig
von ihr scheiden lassen. Aber da er doch inzwischen wieder dreißig
geworden sei..."

Da flog Harry Snodgraß am 28. Februar, vormittags io Uhr,
abermals ab. Und wuvde diesmal wirklich nicht wieder gesehen.

In der Welt wurde es schnell still. Harry Snodgraß war fast
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Erich Wilke: Der Eibsee amerikanisch
 
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