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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 34.1929, (Nr. 1-52)

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Nr. 32 (Sondernummer: Des Meeres und der Liebe Wellen)
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J u

34. JAHRGANG

G E N D

1 9 2 9 / NR. 32

STRANDERLEBNIS

VON HANS BETHGE

Ein heißer Sommertag auf Westerland-
Sylt. hatte in einer der RestaurationS-
hallen, die sich unter den Dünen aneinander-
reihen, zu Mittag gegessen. 2lls ich mich
erhob, war es etlva halb drei.

Ich schritt die kurze Holztreppe zum
Strand nieder lind suchte mir möglichst nahe
dem Wasser und etwas seitab, wo die Strand-
körbe nicht so gedrängt standen, einen Fleck
zur Ruhe. Der Strand war fast menschenleer.
Es war noch alles beim Essen oder machte
noch Toilette dazu.

Die Zelte aus Segeltuch, die Strandkörbe,
an denen bunte Fahnen flatterten, Stühle und
Scheine! — alles war verödet. Nur aus einem
„Faulenzer" sah ich einen älteren Herrn liegen
und die Zeitung lesen, blnd zwei unbeschuhte
Jungen bauten sich nicht weit davon eine
Schanze.

Ich breitete das Plaid aus, formte mir am
oberen Ende aus dem Sande ein Kopfkissen
und legte mich hin. Da die Sonne kräftig
vom Himmel brannte, deckte ich ein Taschen-
tuch über mein Gesicht. Dann schloß ich die
Augen. Keine fünf Minuten waren vergangen,

da hatte mich das Brausen des Meeres in
einen traumlosen Schlaf gesungen.

Nach reichlich einer Stunde wachte ich aus.
räkelte die schlafmatten Glieder, gähnte
aus Herzensgrund, räkelte mich nochmals auf
und warf mich auf die andere Seite. Aber
der Schlaf kam nicht wieder. Es war zu
lebhaft um mich her geworden. Ein paar
Möven, denen man Semmelbrocken Ln die
Luft warf, kreischten unausstehlich, und ein
kleines Mädchen schrie mit unglaublich hoher
und angstgepeinigter Stimme: „Mutter!

Ich liege braun auf irgend einem Strand.
Die rechte Hand schreibt kitschig-blaue Karten
An ferne Frauen, welche weinend warten.
Mein Körper ist mit niemandem verwandt.

Ich bin mir selbst im Grunde ziemlich neu.
Mir ist beinah, als fei ich nie gewesen:

Ich kann nicht schreiben und ich kann nicht

lesen

Und nur dem Abend bin ich wirklich treu.

Ich bin so herrlich dumm wie eine Pflanze.
Ich weiß auch nicht mehr, wo der Rhein

entspringt.

Ich weiß nur, daß die See so silbern blinkt,
Wenn ich auf der Terrasse traumhaft tanze.

Ich möchte nichts mehr wissen, nichts mehr

lernen.

Die Welt ist wie ein kitschiges Plakat.

Ich brauche keine Wohnung, keine Tat:
Denn mir genügt ein Tango unter Sternen.

Mutter! Komm doch! Die Flut zerstört uns
ja unsere Burg! Hilf unö doch! Mutter!
Siehst du denn nicht? Mutter! Komin doch!
Mutter! Mutter! Mutter!"

Außerdem lag Lachen und anderes Stim-
mengewirr in der Luft. Kurz, an Weiter-
fchlafen war nicht zu denken. So faßte ich
einen Entschluß. Ich zog das Taschentuch
vom Gesicht, dehnte .mich zum endgültig
letztenmal und richtete den Oberkörper ver-
möge eines energischen Ruckes empor.

Das Bild um mich her war nun allerdings
ein anderes geworden. Aus den Strandkörben
leuchteten Frauentoiletten. Die Stühle waren
von Herren, die meist rittlings saßen und mit
ihren Spazierstöcken Figuren in den Sand
malten, in Beschlag genommen. Kinder mit
Schaufeln und kleinen Holzkähnen, die an
Strippen gebunden waren, liefen hin und her,
und seitwärts vor einem Zelt sah ich drei junge
Leute mit zerhauenen Gesichtern im Sand
liegen, Skat spielen und Schnäpse trinken.
Ein Duft türkischer Zigaretten drang von
ihnen herüber. Ihre schneeweißen Strand-
kostüme blendeten, von der Sonne beschienen,
meine Augen. Ein Kellner trug auf einer
silbernen Tablette Kaffee und Kuchen nach
einem der Körbe, und etwa zwanzig Schritte
vor mir-.

Als ich das sah, was sich da zwanzig
Schritte vor mir -befand, trat alles andere
jählings hinter einem undurchsichtigen Vor-
hang zurück. Ich hatte nur noch für dieses
eine, Kostbare, Niegesehene Augen. Alles
andere war Luft.

Etwa zwanzig Schritte vor mir faß ein
junges Mädchen. Sie drehte mir den Rücken
zu — das war schade. Aber auch so schon
war sie imstande, mich zu entzücken.

Y i g netten von Q. W. Rössner

Theodor Rie gle r
Register
Georg Walter Rössner: Vignetten
Hans Bethge: Stranderlebnis
Theodor Riegler: Urlaub
 
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