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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 34.1929, (Nr. 1-52)

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Nr. 37
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J U G E

3 4. JAHRGANG

N D

1929 / NR. 37

TAHRT IN DER ÄGÄIS

Weiß ich heute noch, loa rum ich in Athen
die Abfahrt des LloyddampferS absichtlich
versäumte und dem alten Grafen nachfunken
ließ, er möge inich samt meiner Zofe und
meinen Koffern — die ich einstweilen seiner
Obhut anvertraue — in Kairo erwarten?
War es der griechische Himmel gewesen oder
das hellenische Meer oder sonnenstlberne Er-
innerungen an die Irrfahrten des Odysseus?
Oder war es der llleberdruß an Jazz und
Snob, an der sterilen Lüsternheit des Grasen,
der mich adoptieren wollte, wenn ich ihm er-
laubte, mich wöchentlich einmal im Bad zu
sehen, oder der Ekel an der mit der Wärme
wachsenden und immer hemmungsloser steh
gebärdenden Erotik halbnackter Amerikane-
rinnen, die den Orient witterten und Orgien
im Blut spürten? Kurz, ich charterte den
kleinen, spitzen Segler und beschloß, die
Aegäis hinauf und hinunter zu fahren, kreuz
und quer, uni den heiligen Berg Athoö her-
iini nach Kavalla und wieder hinunter bis
RhoduS, so weit der Himmel sich im Wasser
wiederholte, hinein in das Gewirr austauchen-
der und versinkender Inseln und Küsten,
grüner und brauner, die wie Smaragde und
Topase waren in einem Meer und unter
einein Himmel: wechselnd vom glatten Sa-
phir bis zum schimmernden Opal. Es waren
Tage gleich leuchtenden Früchten und Nächte,
hell und schwer wie honigsarbener Wein.

klnd der Koch briet wundervolles Gestügel.
Es waren da der Schiffer, ein paar Ma-
trosen und ich.

blnd der Sohn des Schiffers war mein
Page: immer ganz weiß gekleidet, und seine
nackten Beine waren braun wie seine Arme
und sein Gesicht, blnd das Haar war heller
als seine Stirn, hell und froh wie eine lichte
Wolke, die über einer braunen Küste steht.
Er hatte die schmalen Hüsten von Michel-
angelos David, die strahlende Anmut eines
Prinzen, und sein Verhalten zu mir war jene
spielerisch liebenswürdige Neugier junger,
hochbeiniger Tiere, wie Renee Sintenis sie
zeichnet.

Ich hatte mir vorne am Bug ein Zelt er-
richten lasten. Ein Zelt aus vier niederen, ge-
raden Wänden, eine Laube aus Segeln ohne
Decke. Die Decke war der griechische Him-
mel. Nur einmal ging ein verspäteter Früh-
lingsschauer über das Deck, den ich als Bad
genoß. Kaum über dem Boden eine Hänge-
nratte, ein Teppich, einige Kisten: das war
alles. Dazu ein Buch und die Pistole: ich
war das einzige Weib an Bord. In der
Kajüte schlief ich nur nach Mittag und ab
Mitternacht. Sonst lag ich im Zelt, das zum
Bugspriet hin meist offen stand, und sing

Sonne auf. Ich legte mich bäuchlings auf
den Bugspriet und sah Delphine ihre schlan-
ken und doch mastigen Leiber wie grünweiße
Spindeln durch das Wasser schnellen, sah die
abgerissenen Blüten der Quallen und kleine
Fische, wie Zugvögel geordnet, in bunten
Scharen treiben. Ich lag in der Nratte und
las, lag rücklings auf dem Teppich im Schat-
ten einer Wand un>d schaute ins Blau, in das
Feuer des Tages, das vom Mast her fast in
Greishöhe über mir von einem Tau schwarz
und schräg zerschnitten wurde. Ich lag ge-
blendet und trank die Lust, die oft voll war
vom Duft der Frühlingsinseln, wie blauen
Wein. Dann hing, noch hoch und fern, eben
an jenem Tau ein weißes Bündel, und ich
schloß den Pyjama über der bloßen Brust.
Ich habe die ganze Zeit kein anderes Kleid
getragen als Pyjamas, nur auf dem kurzen
Gang von und zur Kajüte warf ich den
Trenchcoat über. Das weiße Bündel aber
rutschte heran, rasend, streckte sich, hing an
braunen Armen, sprang auf braune Beine,
elastisch in sanfter Kniebeuge, stand auf-
recht, verbeugte sich wie ein Kavalier. DaS
war sein Weg: immer fiel er aus dem Him-
mel vor mich hin, so wie er noch heute in
meine Erinnerung fällt, lächelte und strahlte,
blnd ich nickte: Setzen Sie sich, Prinz! Dann
legte er sich lang hin oder rollte sich und
belauerte mich wortlos und listig. Lag ich
Register
Signatur nicht identifiziert: Zeichnung ohne Titel
Willy Reindl: Fahrt in der Ägäis
 
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