DOI Heft:
Nr. 40 (Oktoberfest)
DOI Seite / Zitierlink: https://doi.org/10.11588/diglit.6761#0638
J U G E
3 4. JAHRGANG
N D
1929 / NR. 40
Lieber die Theresienwiese geht der elektrische
Schlag J + o —32 043 und das „Mos", einst
Münchner Oktoberfest genannt, ist eröffnet.
Die amtliche Rechenmaschine registriert
knapp eine Million Besucher, die in Bade-
trikotö, P^lplerhemden und Guttapercha-
anzügen zur Bavaria ausschauen — und dazu
im Munde ihre Kaugummi schmatzen lassen.
Die gußeiserne Schutzgöttin ist längst durch
die Miß Monachia ersetzt worden, die sich als
Mannequin durch neunundneunzig ModeteeS
zur Schönheitskönigin emporgepuddelt hat.
Ihr zur Seite brüllt ein Original-Hagenbeck-
scher Löwe, der den Ehrengästen aus der Hand
frißt. Sein Gebiß mit Kautschukeinlagen ist
während des Festes als Mundwasserreklame
vermietet.
Flugzeuge mit eingebauten Höhensonnen
umkreisen die Wiese und geben dem Rummel
den natürlichen Glanz des Himmels.
Im Mittelpunkt des Festplatzes steht die
Sendezentrale. Jetzt wird die Welle „Gemüt-
lichkeit" eingeschaltet, flutet durch Zeltwände,
Leiber und Eingeweide — und durchwärmt
alle Besucher mit jener Heiterkeit, wie sie aus
kolorierten Ansichtskarten im Export seit
Jahrzehnten nach dem eisigen Norden wandert.
Llnd die Massen erbeben in Wonne. Vor
der Bude, in der „Die Jungfrau ohne Welt-
rekord" zu sehen ist, staut sich die Menge.
Hier ist der Treffpunkt der Familien lX A
46 793 bis mit IX B 18 673, die einst alle
Joses Huber hießen. Gegenüber haben sich
die früheren Meyer, Meier und Maier ge-
funden, die ebenfalls heute nur mehr ihre
beleuchteten Nummern mit Schlußlichtern als
Flamen auf dem Leinenkragen tragen.
In der Wirtsbude „New-Au" wird tropfen-
weise Hopfenextrakt verzapft und die Mahl-
zeiten jind in winzige tyapiertütcn verpackt
und werden so von den Bostongirls serviert.
Eine Schweinöhaxe, abgebräunt oder in
Sulz, ist in dieser konzentrierten Form nicht
größer als ein Kopfwehpulver, und die
Oktoberfestrettige werden in Gestalt von
-Oblaten eingenominen.
In den Küchen sind Chemiker aller ameri-
kanischen Llniversitäten mit der Zubereitung
der Spezialitäten beschäftigt, und Fachärzte
patroullieren als Ordnungsmänner durch die
Reihen, damit die nötige Dosis Vitamine ge-
nossen wird.
Ein Knallpunkt auf dem Feste ist die neue
Art von Wellenreiten geworden. Der Radio-
sender schickt Lohengrins Brautmarsch auS,
und da die Töne bis zur massiven Plastik
verdichtet sind, kann auf ihnen geritten werden
— wie einst in grauer Vorzeit auf Elefant,
Kamel und Sau.
Jetzt schwebt auf lohengrinlichen Wellen
eine Runde wie auf Schwänen im Kreise, und
niemand würde sich wundern, wenn die Töne
auch noch ihre Schwanzfedern verlieren
könnten.
Der Verkehr läuft geregelt wie durch eine
NotationSmaschine. Die Richtungen sind bis
in die Hosentasche hinein durch Blinklichter
vorgeschrieben.
3 4. JAHRGANG
N D
1929 / NR. 40
Lieber die Theresienwiese geht der elektrische
Schlag J + o —32 043 und das „Mos", einst
Münchner Oktoberfest genannt, ist eröffnet.
Die amtliche Rechenmaschine registriert
knapp eine Million Besucher, die in Bade-
trikotö, P^lplerhemden und Guttapercha-
anzügen zur Bavaria ausschauen — und dazu
im Munde ihre Kaugummi schmatzen lassen.
Die gußeiserne Schutzgöttin ist längst durch
die Miß Monachia ersetzt worden, die sich als
Mannequin durch neunundneunzig ModeteeS
zur Schönheitskönigin emporgepuddelt hat.
Ihr zur Seite brüllt ein Original-Hagenbeck-
scher Löwe, der den Ehrengästen aus der Hand
frißt. Sein Gebiß mit Kautschukeinlagen ist
während des Festes als Mundwasserreklame
vermietet.
Flugzeuge mit eingebauten Höhensonnen
umkreisen die Wiese und geben dem Rummel
den natürlichen Glanz des Himmels.
Im Mittelpunkt des Festplatzes steht die
Sendezentrale. Jetzt wird die Welle „Gemüt-
lichkeit" eingeschaltet, flutet durch Zeltwände,
Leiber und Eingeweide — und durchwärmt
alle Besucher mit jener Heiterkeit, wie sie aus
kolorierten Ansichtskarten im Export seit
Jahrzehnten nach dem eisigen Norden wandert.
Llnd die Massen erbeben in Wonne. Vor
der Bude, in der „Die Jungfrau ohne Welt-
rekord" zu sehen ist, staut sich die Menge.
Hier ist der Treffpunkt der Familien lX A
46 793 bis mit IX B 18 673, die einst alle
Joses Huber hießen. Gegenüber haben sich
die früheren Meyer, Meier und Maier ge-
funden, die ebenfalls heute nur mehr ihre
beleuchteten Nummern mit Schlußlichtern als
Flamen auf dem Leinenkragen tragen.
In der Wirtsbude „New-Au" wird tropfen-
weise Hopfenextrakt verzapft und die Mahl-
zeiten jind in winzige tyapiertütcn verpackt
und werden so von den Bostongirls serviert.
Eine Schweinöhaxe, abgebräunt oder in
Sulz, ist in dieser konzentrierten Form nicht
größer als ein Kopfwehpulver, und die
Oktoberfestrettige werden in Gestalt von
-Oblaten eingenominen.
In den Küchen sind Chemiker aller ameri-
kanischen Llniversitäten mit der Zubereitung
der Spezialitäten beschäftigt, und Fachärzte
patroullieren als Ordnungsmänner durch die
Reihen, damit die nötige Dosis Vitamine ge-
nossen wird.
Ein Knallpunkt auf dem Feste ist die neue
Art von Wellenreiten geworden. Der Radio-
sender schickt Lohengrins Brautmarsch auS,
und da die Töne bis zur massiven Plastik
verdichtet sind, kann auf ihnen geritten werden
— wie einst in grauer Vorzeit auf Elefant,
Kamel und Sau.
Jetzt schwebt auf lohengrinlichen Wellen
eine Runde wie auf Schwänen im Kreise, und
niemand würde sich wundern, wenn die Töne
auch noch ihre Schwanzfedern verlieren
könnten.
Der Verkehr läuft geregelt wie durch eine
NotationSmaschine. Die Richtungen sind bis
in die Hosentasche hinein durch Blinklichter
vorgeschrieben.