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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 34.1929, (Nr. 1-52)

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rinnen inöen an einen 0 /^laclchen

VON GEORG BRITTING

Landler

Oer Schnurrbart, ein Räuberschnurrbart,
ein Seeräuberschnurrbart, ein Korsaren-
schnurrbart, hing ihm aschblond über die
Lippen. Korsarenschnurrbart! sagte ich kühn
vor mich hin, vielleicht hörte er es und fragte,
aber er hörte es nicht, oder wenn er es hörte,
er fragte nicht, sah unverwandt das Schach-
brett an. Oie Nußbäume über uns rauschten,
Blätterschatten wogten über die Tischdecke,
grünes Licht erfüllte den Garten, Atzt ergriff
der Einarmige ein Pferd und zog. Er hätte
am liebsten nur Züge mit den Pferden gemacht.
Das Pferd, Cavallv nannte er es, war seine
LieblingSstgur, und wenn ich Springer sagte,
wie es mich mein Schachlehrbuch gelehrt
hatte, so sah man ihm seine Unzufriedenheit
über «diesen Ausdruck an.

Er also zog das Pferd, und wieder stellte
ich mit bestürzender Hochachtung fest, daß an
dem einen Arm, den er nur mehr hatte, eine
Hand faß mit drei Fingern bloß. Der kleine
und der Goldfinger fehlten, so daß die Hand
ganz merkwürdig schmal aussah. Wie er zu

dieser Verstümmelung kam — damals, vor
dem Krieg, war so was selten — habe ich
nicht erfahren. Und zu fragen hätte ich mich
nie getraut. Herr Berger, so hieß der Mann,
.und mehr wußte ich von ihm nicht, und ich
glaube, er galt als etwas anrüchig in der
Stadt. Trotzdem, jetzt, in den großen
Sommerserien, spielte ich jeden Nachmittag
Schach mit ihm. Uns Sechzehnjährigen war
der Besuch von Wirtshäusern verboten, nur,
wenn man einen Ausstug machte, durfte man
ein Gasthaus betreten. So ging ich damals
eine Zeitlang täglich in das Dorf vor der
Stadt, drei Viertelstunden Wegs, trank eine
Taffe Kaffee und spielte mit Herrn Berger
Schach. Das hatte fich zufällig gegeben, er
hatte mich allein vor dem Brett fitzend ge-
sehen, Schachaufgaben lösend, was ich mit
Leidenschaft tat, und war an meinen Tisch
getreten, mit einer höflichen Verbeugung, und
hatte gefragt, ob ich nicht mit ihm eine Partie
spielen wollte. Entgegen allen Regeln, ent-
gegen allen Weisungen der Schachbücher be-

gann er jeden Kampf mit einem Springerzug,
nannte daS: Zuerst die Reiterei vorschicken!
Nun, sagte ich mir, stolz auf meine Buch-
weisheit, das muß sich an ihm rächen, das
werd ich ihm abgewöhnen! Aber er war wohl
der stärkere Spieler, und er gewann manch-
mal, trotz dieser ganz und gar verfehlten Er-
Öffnung.

Aber sie schienen mir gut zu ihm zu passen,
diese tollen Reiterkunststücke, zu dom Ein-
armigen mit dem Seeräuberschnurrbart. Wir
sprachen an diesen Nachmittagen nicht viel
miteinander, ins Spiel vertieft. Er hatte ein
ganz mageres Gesicht mit etwas vorspringen-
den Backenknochen, eine rauhe, männliche
Stimme kam hinter dem Schnurrbart hervor.
Er machte mir durchaus den Eindruck eines
Herrn, war wohl klug und hatte viel gesehen
und hatte eine sehr abgebrühte Art, gelegent-
lich über die Dinge dieser Welt bissige und
überlegene Bemerkungen von sich zu geben.
Dabei mußte er früher Fischer gewesen sein,
Donaustscher, das hatte ich herausbekommen,
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Rudolf Hengstenberg: Klatschweiber
Georg Britting: Erinnerungen an einen Mädchenhändler
 
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