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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 34.1929, (Nr. 1-52)

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Nr. 47
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J U G

3 4. JAHRGANG

END

1 9 2 9 / NR. 4 7

Rene ging heim.

Ach, dieses Training heute, stellte er miß-
mutig fest, idas kannte in keiner Weise gefallen.
Es iN>ar langweilig gewesen, übles Theater;
nicht -ein Gaal gab eS; auch er hatte nach-
lässig gespielt, unaufmerksam, geradezu schlecht
— daS bereitete Verdruß.

Dann hatte er sich zu zerstreuen gedacht;
er wallte sich nicht immerfort mit Leonid be-
schäftigen, daS war ihm peinlich gleichsam.
Er spürte einen dunklen Haß gegen diesen
Zwang, einen Widerstand, den er aber durch-
aus nirgends fundiert wußte, kurz, er wollte
sich „erlösen aus diesem Bann", dachte er
in einer Art von är-
gerlichem PathoS, das
ihm ohnehin zuweilen
gemäß war. Darum
also war er zum Spiel
gegangen.

„Leonid wird heute
schon nicht kommen",
hatte er gesagt zu
seiner Mutter. „Ich
glaube keineswegs an
deine Vermutung; der
Aufenthalt in London
wird länger währen
...ich habe auch Ver-
abredungen leider..."

Aber es war ihm so-
fort ausgefallen, daß
er brennende Lügen
sprach, leere Worte,

Llnüberzeugendes.

Gewiß, nun würde
Leonid doch angelangt
sein, Bruder Leonid,

Ingenieur, amerikani-
scher Staatsbürger
seit kurzem; das mußte
so fein, heute mußte
er eintreffen, das war
nicht Glaube, nicht
leere Vermutung bloß,
das war Zuversicht...

Freilich, dachte er
dann wieder, freilich,
der Brief von Leonid
hat nichts sehr Be-
stimmtes verraten, es
bliebe ungewiß, es
wäre höchstens wahr-
scheinlich. Aberwieder-

VON WILLI FEHSE

um dünkte eS ihn auSgeschlost en, daß er sich
irre, wie hätte er sonst schon Stunden
lebendigster Erwartung verleben können,
ganz erfüllt von dem fast körperlichen Be-
wußtsein: Leonid — wie er aussehen mochte
nun, Ingenieur, braun, fesch, wetterfest?
Übrigens, fiel Rene da ein (und er be-
merkte jetzt gar nicht, wie fein „Interesse"
an Leonid wider Willen ursprünglicher
wurde, direkter, zügelloser wieder, strömen-
der, lebendiger und von großer Llnmittelbar-
keit — daS entging ihm auch fernerhin),
übrigens, feine Sprache klang sicher ein
wenig nach Jargon, gutem amerikanischen

Jargon, wie ihn das Volk der Prärien und
backwoods kaute zwischen Tabak und
Fluch. —

Duft des Meeres würde an ihm fein, oh,
das Meer, der Ozean, all der Zauber des
geheimnisvollen Wassers — so mußte es
wohl sein. Einen Schimmer vielleicht, einen
besonderen Glanz noch hatte er wahrschein-
lich von ' dem benehmenden Meer, das
Lächeln eines Kapitäns ganz vergessen im
Mundwinkel, Gesang von Matrosen, Ge-
sang von weißen Matrosen in einer verlore-
nen Falte, wenn er lachte. Tage standen
geschrieben auf seiner Stirn, Tage voll Sturm

und blnwetter . . .

Ja,das würde alles
zurückkehren, sagte sich
Rene, o ja, diese gro-
ßen Abenteuer auch,
die sie gemeinsam er-
lebten, diese Ängste,
die sie zu zweit erlitten,
diese Freuden, die sie
zusammen genossen.
Seine Stimme würde
er wieder hören, sie
mochte nur ein wenig
geändert sein, sie könnte
sonorer klingen, hart,
gefestigt. Das war
alles möglich —> aber,
siel chm plötzlich ein,
und er wäre fast er-
schrocken über diesen
Gedanken, wenn sich
nur nicht dieses kleine,
energische Nicken mit
dem Kopf verloren
hatte, dieses Nicken,
das so rührend war
an Leonid.

Vielleicht war eS
töricht gewesen, daß
er nicht zum Hafen
gegangen war. „Na-
türlich", schalt er sich,
„natürlich, eS war
töricht, eS blieb gänz-
lich unmotiviert . . ."
Denn warum war
er eigentlich fernge-
blieben? Warum hatte
er Lügen ersonnen,
blasse Ausreden? . . .
Register
Joseph August (Sepp) Frank: Hans Ludwig Held
Willi Fehse: René und Leonid
 
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