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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 34.1929, (Nr. 1-52)

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Nr. 49 (Groszstadtbetrieb)
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https://doi.org/10.11588/diglit.6761#0782
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Potsdamer Platz

Paul Paeschke

H A LT E ST E L L E ein groszstädtisches hör

„Tut mir leib, alles beseht!"

„Frechheit! Wenn nur ibie Leute im Wagen
etwas mehr hereingehen!"

„Tut mir leid!"

„Was schimpfen Sie so? Sie sehen doch,
bem Schaffner tuts leib. Andere )fnb noch . . ."

„Darnuf sagte ich zu ihr, sie kann doch mit
ihrem Freund wahrhaftig keinen Staat
machen."

„Recht hast du, — übrigens soll jeder vor
seiner Tür kehren, Frieba!"

„Du, das ist boshaft. Du weißt ganz
genau, daß Richard als Kind die Leiter
heruntergefallen ist, es ist doch bodenlos, einem
Menschen körperliche Mängel. . ."

„Wissen Sie, lieber Doktor, dieser Einzug
der Scholastik in die neuere Philosophie, ich
meine in die, die jetzt en vo§ue ist, ist mir
doch sehr verdächtig. Ich sage Ihnen nur,
bas Mittelalter kommt immer wieber, wenn
auch in immer anderer Gestalt."

„Aber es ist doch schließlich ein Unterschieb,
ob Max Scheler. .."

„Du, Rieke, jetzt kierk bir mal den an.
So ne Hosen hat unser Lehrer auch. Neulich
habe ich ,Mia, die Filmprinzessin' auf ber

Die Häuser steh n mit aufgereckten Stirnen,
blnd steile Fronten glüh n in Lichtergarben,
Das Leben gleißt und glotzt in frechen Farben,
An allen Ecken lauern grelle Dirnen.

An allen Ecken jammern Invaliden.

Und manche kriechen stumpf auf allen vieren,
Doch darf man leider keine Zeit verlieren,
Wer ist denn heute überhaupt zufrieden?

Die Menschen rennen mit nervösen Gesten,
Ein blinber Bettler hockt bei seinem Hund,
Davunter donnert fern die Untergrund.

Man trifft sich manchmal in den Tanzpalästen.
Die Autos warten hupend in Kolonnen,

Und eine Tramway rumpelt über Weichen,
Ein korpulenter Schutzmann gibt das Zeichen,
Ein alter Herr ist knapp dem Tod entronnen.
Aus dunklem Grunde wächst ein Autobus —
(Die Menschen werden unvermittelt alt)

Ein Pferd verendet müd aus dem Asphalt,
Und einer macht mit seinem Leben Schluß. . .

Theodor Riegler

BILD VON EZARD LANIUS

letzten Bank gelesen. Kein Aas hat was davon
gemerkt."

„Das mußte mir mal pumpen. Mein
Onkel hat gesagt, er wills dem Jugendamt
zeigen, das sei Schmutz und noch was anderes,
daS Wort habe ich nicht behalten. Aber
wennS mein Onkel sagt, dann ist S bestimmt
knorke."

„Sehen Sie, lieber Freund, warum denn
diese Furcht vor dem Mittelalter. DaS Mit-
telalter war die Zeit der Innerlichkeit. Ich
persönlich sehne mich manchmal nach der Zeit
vor Luther."

„Für Sie hat also Voltaire umsonst gelebt,

was?"

„Du, Rieke, ich bin heute dreißigmal Roll-
treppe gefahren. Nachher hat der Affe, der
Diener, mit seinen Stielaugen mich angeglotzt,
da bin ich in den Erfrischungsraum und habe
mir von ein paar stehengebliebenen Tellern
Kuchenkrümel geklaut. Willste n Stückchen
Makrone haben? Hier habe ich noch was in
meiner Tasche."

„Sage mal, wollen wir nu weiter fahren
oder nich?"
Register
Ezard Lanius: Haltestelle
Theodor Riegler: Vision der Großstadt
Paul Paeschke: Potsdamer Platz
 
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