das Vertragsverhältnis zu lösen. Aber das
machte fast nichts. Miß Ethel war an das
Lösen van Verhältnissen .gewöhnt. Mit der
ihr angeborenen Rapidität wechselte sie auch
ihre Liebhaber. Sie wechselte so rasch, daß
sic bei der geringsten Stockung den Nach-
folger mit dem Vorgänger verwechselte. End-
lich gelang es einem Langstreckenläufer aus
Minnesota, ihren erotischen Mandertrieb aus
einige Zeit zu stoppen und sogar ihre Ein-
willigung $u einer provisorischen Expreß-
trauung zu erlangen.
Zehn Minuten vor der Feierlichkeit zog sich
Ethel durch ihre Hast noch eine fatale Be-
schädigung zu. Sie hatte sich für das freudige
Ereignis das Haar mit Wasserstoff färben
lassen. Aber sie war nicht imstande, daö Ende
der Prozedur abzuwarten. Fiebernd stülpte sie
den Hut über die nassen Locken und brauste
davon, um die Trauung nicht zu versäumen.
Die komprimierten Wasierstoffgaje entzünde-
ten sich infolge ihres orkanischen Tempos, and
eine gewaltige Explosion riß ihr daS fejche
Sommerhütchen samt dem knallgelben Skalp
in den Missisippi. „Oo on quick!!!“ schrie
Miß Blizzard dein bestürzten Chauffeur zu.
Sie hielt es unter diesen blmständen für über-
stüssigen Luxus, einen Brautkranz zu kaufen.
Nichtsdestotrvtz wurde die Ehe mit dem
Schnelläufer glücklich aber kurz. Auch er war
ihrem täglich sich steigernden Bedarf an
Schnelligkeit nicht gewachsen. Ob-gleich er
gegen Nurmi den Titel hielt. Kein noch so
modernes Verkehrsmittel war ihr mehr schnell
genug. Immer und überall fühlte sie sich
selbst als toten Punkt an dem rasenden Rad
der Zeit. Beständig wähnte sie sich von einem
unsichtbaren Gegner getrieben, überholt, ge-
schlagen. Ihre normale Körpertemperatur
betrug, in der Achselhöhle gemessen, 44,8 Grad
fin Schatten. Sie litt unsäglich . . . Bis eines
Tages eine Kapazität den Erreger dieser
namentlich in den Großstädten bereits epide-
misch auftretenden Modekrankheit entdeckte:
_eine bisher noch unbekannte Bazillenart,
sogenannte „Motokokken", die vom Klein-
gehirn auS den Gesamtorganismus des
modernen Menschen unaufhaltsam zerstörten.
Sämtliche Heilversuche scheiterten. Indes
erfand der berühmte Mediziner ein wirksames
BeruhigungSmittel, das wenigstens den qual-
vollen Geschwindigkeitsdrang der an „Moto-
manie" Erkrankten zeitweise linderte. . .
Er verabreichte den Patienten kleine Dosen
Dynamit — in Zäpfchenform! — wodurch
endlich das von dem Kranken ersehnte ^deal-
tempo annähernd erreicht wurde. —
J. Fenneker
Großstadt-Liebe
„Komm, Kleines, gib mir noch rasch 'neu Abschiedskuß!"
„Jeht schon nich mehr, sonst versäume ick den nächsten Zug."
VON ERICH KÄSTNER
Wenn sie abends von der Arbeit kommen,
fahren sie, so schnell es geht, nach Haus,
und sie sehen ziemlich mitgenommen
und wie kleine kranke Kinder auS.
Die Büros sind keine Puppenstuben.
Die Fabriken sind kein Nadelwald.
. llnd auch die modernsten Kohlengruben
sind kein idealer Aufenthalt.
Aber nicht nur müde sind sie, leider
hat ihr Müdesein auch keinen Zweck.
Vielmehr zieh n sie ihre Sonntagskleider
heimlich an und laufen wieder weg.
blnd dann gehn sie irgendwohin tanzen-
Ins „Orpheum" oder wie es heißt,
blnd sie treiben es im großen ganzen
mit und ohne Noten ziemlich dreist.
Später sitzen sie in Parks auf Bänken,
und es ist aufs Haar wie einst im Mai.
Weiter können sie sich ja nichts schenken!
Ilnd bis sie zu Hause sind, wird's drei.
Einmal werden sie sich schon noch fügen.
Wenn ihr Schicksal die Geduld verliert.
Ach, sie glauben, daß man zum Vergnügen
(noch dazu zum eig nen) existiert!
Sie sind jung und täuschen sich nach Kräften,
l) l.lhr 30, wenn der Wecker klirrt,
in der Bahn und dann in den Geschäften
merken sie: sie haben sich geirrt.
Menschen werden niemals Schmetterlinge.
Nektar ist, im besten Fall, ein Wort.
Zung und froh sein, sind verschied'ne Dinge.
l.!nd die Freude stirbt auf dem Transport!
C^3erlmer ^Dviel)
ms
Karl und Erich kommen reinen Gemüts aus
Jxdorf nach Berlin, lim ihrem ersten Semester
zu Leibe zu gehen. Sie sinden zwei einzelne
Zimmer bei einer vertrauenerweckenden
Lehrerswitwe. Freilich hätten sie gern eine
Kleinigkeit geändert.
„Sie sind doch .so freundlich, die beiden
Betten in ein Zimmer stellen zu lassen 7mit
wir Wohn- und Schlafraum getrennt .
„Nee", sagt die wohlwollende
„das gibts nicht. Wir wollen wen
Schein wahren."
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machte fast nichts. Miß Ethel war an das
Lösen van Verhältnissen .gewöhnt. Mit der
ihr angeborenen Rapidität wechselte sie auch
ihre Liebhaber. Sie wechselte so rasch, daß
sic bei der geringsten Stockung den Nach-
folger mit dem Vorgänger verwechselte. End-
lich gelang es einem Langstreckenläufer aus
Minnesota, ihren erotischen Mandertrieb aus
einige Zeit zu stoppen und sogar ihre Ein-
willigung $u einer provisorischen Expreß-
trauung zu erlangen.
Zehn Minuten vor der Feierlichkeit zog sich
Ethel durch ihre Hast noch eine fatale Be-
schädigung zu. Sie hatte sich für das freudige
Ereignis das Haar mit Wasserstoff färben
lassen. Aber sie war nicht imstande, daö Ende
der Prozedur abzuwarten. Fiebernd stülpte sie
den Hut über die nassen Locken und brauste
davon, um die Trauung nicht zu versäumen.
Die komprimierten Wasierstoffgaje entzünde-
ten sich infolge ihres orkanischen Tempos, and
eine gewaltige Explosion riß ihr daS fejche
Sommerhütchen samt dem knallgelben Skalp
in den Missisippi. „Oo on quick!!!“ schrie
Miß Blizzard dein bestürzten Chauffeur zu.
Sie hielt es unter diesen blmständen für über-
stüssigen Luxus, einen Brautkranz zu kaufen.
Nichtsdestotrvtz wurde die Ehe mit dem
Schnelläufer glücklich aber kurz. Auch er war
ihrem täglich sich steigernden Bedarf an
Schnelligkeit nicht gewachsen. Ob-gleich er
gegen Nurmi den Titel hielt. Kein noch so
modernes Verkehrsmittel war ihr mehr schnell
genug. Immer und überall fühlte sie sich
selbst als toten Punkt an dem rasenden Rad
der Zeit. Beständig wähnte sie sich von einem
unsichtbaren Gegner getrieben, überholt, ge-
schlagen. Ihre normale Körpertemperatur
betrug, in der Achselhöhle gemessen, 44,8 Grad
fin Schatten. Sie litt unsäglich . . . Bis eines
Tages eine Kapazität den Erreger dieser
namentlich in den Großstädten bereits epide-
misch auftretenden Modekrankheit entdeckte:
_eine bisher noch unbekannte Bazillenart,
sogenannte „Motokokken", die vom Klein-
gehirn auS den Gesamtorganismus des
modernen Menschen unaufhaltsam zerstörten.
Sämtliche Heilversuche scheiterten. Indes
erfand der berühmte Mediziner ein wirksames
BeruhigungSmittel, das wenigstens den qual-
vollen Geschwindigkeitsdrang der an „Moto-
manie" Erkrankten zeitweise linderte. . .
Er verabreichte den Patienten kleine Dosen
Dynamit — in Zäpfchenform! — wodurch
endlich das von dem Kranken ersehnte ^deal-
tempo annähernd erreicht wurde. —
J. Fenneker
Großstadt-Liebe
„Komm, Kleines, gib mir noch rasch 'neu Abschiedskuß!"
„Jeht schon nich mehr, sonst versäume ick den nächsten Zug."
VON ERICH KÄSTNER
Wenn sie abends von der Arbeit kommen,
fahren sie, so schnell es geht, nach Haus,
und sie sehen ziemlich mitgenommen
und wie kleine kranke Kinder auS.
Die Büros sind keine Puppenstuben.
Die Fabriken sind kein Nadelwald.
. llnd auch die modernsten Kohlengruben
sind kein idealer Aufenthalt.
Aber nicht nur müde sind sie, leider
hat ihr Müdesein auch keinen Zweck.
Vielmehr zieh n sie ihre Sonntagskleider
heimlich an und laufen wieder weg.
blnd dann gehn sie irgendwohin tanzen-
Ins „Orpheum" oder wie es heißt,
blnd sie treiben es im großen ganzen
mit und ohne Noten ziemlich dreist.
Später sitzen sie in Parks auf Bänken,
und es ist aufs Haar wie einst im Mai.
Weiter können sie sich ja nichts schenken!
Ilnd bis sie zu Hause sind, wird's drei.
Einmal werden sie sich schon noch fügen.
Wenn ihr Schicksal die Geduld verliert.
Ach, sie glauben, daß man zum Vergnügen
(noch dazu zum eig nen) existiert!
Sie sind jung und täuschen sich nach Kräften,
l) l.lhr 30, wenn der Wecker klirrt,
in der Bahn und dann in den Geschäften
merken sie: sie haben sich geirrt.
Menschen werden niemals Schmetterlinge.
Nektar ist, im besten Fall, ein Wort.
Zung und froh sein, sind verschied'ne Dinge.
l.!nd die Freude stirbt auf dem Transport!
C^3erlmer ^Dviel)
ms
Karl und Erich kommen reinen Gemüts aus
Jxdorf nach Berlin, lim ihrem ersten Semester
zu Leibe zu gehen. Sie sinden zwei einzelne
Zimmer bei einer vertrauenerweckenden
Lehrerswitwe. Freilich hätten sie gern eine
Kleinigkeit geändert.
„Sie sind doch .so freundlich, die beiden
Betten in ein Zimmer stellen zu lassen 7mit
wir Wohn- und Schlafraum getrennt .
„Nee", sagt die wohlwollende
„das gibts nicht. Wir wollen wen
Schein wahren."
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