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3 4. JAHRGANG
E N D
1929 / NR. 50
Da ö werden viele nicht ganz genau wissen,
warum eigentlich in meinem Heimatdorf Berg
am Würm- oder Starnberger-See der König
Ludwig II. selig so lange und so nachhaltig
unvergessen geblieben ist. Sie ineinen natür-
lich, daß das bloß daher konnnt, weil wir als
die Nächstbeteiligten ganz einfach eine unver-
wüstlich treue und anhängliche Bayernseele
besitzen, aber Schnecken! Das kann nicht mehr
ganz unwidersprochen bleiben. IllberhauptS, es
sind da so eine Masse Irrtümlichkeiten in
dieser verschleierten Angelegenheit, daß daS
jetzt endlich einmal aufhören muß! Dem Lud-
wig selig seine blnvergessenheit ist zum Bei-
spiel auch nicht davon gekommen, weil er eine
beliebte Persönlichkeit und ein so ein wunder-
schöner Mensch gewesen ist. Da stimmt auch
schon wieder waS nicht. Es ist hinwiederum
erst recht nicht wahr, daß wir an ihm bloß
deswegen so hängen, weil er vielleicht mit dem
hintersohigen Gudden von den Berger Ge-
staden auS in die herrlichen Fluten des nächt-
lichen SeeS gesaust ist und dort beiderseits den
Tod gefunden hat, wenngleich infolgedessen
von da ab bei uns ein sehr geschätzter
Fremdenverkehr in Schwung gekommen ist.
Ich meine, man muß da, wenn man alles
anschaut, schon gerecht sein! Eö muß einmal
gerade herausgesagt werden, was denn eigent-
lich für uns Berger das Zugstück zur Ver-
ursachung einer solchen blnvergeßlichkeit ge-
wesen ist. Nämlich eine unbekannte Frau —
ich möchte aber schon bitten, daß die vor-
eiligen Leute bei dieser ernsten Gelegenheit
nicht gleich an geheime Liebesgeschichten and
ähnliche Sauereien denken, die wo der Ludwig
nie mögen hat, und erhebe deswegen energisch
den warnenden Finger! — nämlich also diese
höhergeftellte blnbekannte hat Anno 66 eine
Stiftung gemacht, demzufolge wir Berger
Kinder alle Jahre bei einer eigenen Gedenk-
Christbaumfeier beschenkt wurden. Es lägt
sich also denken, daß eine so eine mildtätige
Sache aus unsere LudwigSanhänglichkeit am
meisten gewirkt hat. Erstens haben wir als
einzige Bäcker- und Konditorei am Orte eine
blnmaste Gebäck liefern müssen, zweitens hat
der Metzger von Aufkirchen für die Feier
korbweise Würste und Fleisch angebracht,
drittens hat der Gärtner für die Aus-
schmückung des Saales seine Einnahme ge-
habt, viertens ist bei dem Wirt, wo alles
stattfand, ein Geschäft gegangen, das wo sich
verschiedene gewünscht hätten., und endlich
fünftens hat jedes Kind z-wei Paar Dünn-
geselchte gratis gekriegt, hernach einen voll-
behangenen Christbaumzweig, außerdem ein
Kleidl, ein Paar Strümpfe, Spielsachen,
schöne Rosenkränze oder ein Gebetbuch, und
wenn eines davon ein Gedicht ausgesagt hat,
sind ihm bare 50 Pfennig stistsgemäß auS-
bezahlt worden. Sowas kann man doch ge-
wiß einen reellen Segen heißen, und wenn
— was selbstredend dazugehörte — der hoch-
würdige Herr Pfarrer und der Bürgermeister
ihre Reden, die wo alle Jahre gleich waren,
mit den schönen, erhebenden Worten beendet
haben: „lllnd so thronet seit Anno 86 Seine
Majestät, unser unvergessener Bayernkönig
Ludwig der Zweite, im Himmel droben an der
Seite Gottes and schaut heute mit besonderer
Liebe auf uns Berger und auf euch Kinder
herab, denen er das Christkind geschickt hat,
aus daß wir einftimmen — Seine Majestät,
König Ludwig der Zweite, er lebe hoch! Hoch!
Hoch!" da war natürlicherweise kein Auge
nicht trocken, und jeder hat „Hoch!" geschrien,
daß der ganze Saal gezittert hat.
Jetzt muß ich aber doch zu der schönen
Geschichte kommen, die wo meinem Bruder
Lenz und mir einmal bei so einer Christbaum-
feier passiert ist und welche eigentlich der
Ausgangspunkt meiner sinnigen Ausführungen
gewesen sind. Als Berger hat uns der Lehrer
natürlicherweise auch immer angehalten, wir
sollen ein Gedicht aussagen dortselbst. Aber
das Fufzgerl hätten wir schon gern mögen,
hingegen das Aussagen nicht, weil uns das
Auswendiglernen so zuwider gewesen ist. In-
folgedessen haben wir, wenn der Lehrer streng
gefragt hat: „Na, ihr Grass seid wohl wieder
zu faul z-um Lernen! Schämt euch! Graf
Lorenz, Gras Oskar? Will einer von euch ein
Gedicht lernen?" immer darauf geantwortet:
„Wir müssen zuviel arbeiten, Herr Lehrer,
blnser Vater hat gesagt, mir haben keine Zeit
nicht."
„Jaja, das kennt man schon! Setzt euch,
ihr Faulpelze!" hat alsdann der Lehrer ge-
schimpft und ein rechtes Gesicht gemacht. DaS
ist auch nicht schön gewesen. Einmal aber, wie
uns der Lehrer wieder so geschimpft hat, sag'
ich zu ihm: „Herr Lehrer, ich möchte schon ein
Gedicht aussagen, alter mein Bruder Lorenz
muß mitreden."
„Mitreden? .. . Wie meinst du denn daS?"
hat der Lehrer barsch gefragt: „Wollt ihr
vielleicht miteinander ein Gedicht aufsagen?"
3 4. JAHRGANG
E N D
1929 / NR. 50
Da ö werden viele nicht ganz genau wissen,
warum eigentlich in meinem Heimatdorf Berg
am Würm- oder Starnberger-See der König
Ludwig II. selig so lange und so nachhaltig
unvergessen geblieben ist. Sie ineinen natür-
lich, daß das bloß daher konnnt, weil wir als
die Nächstbeteiligten ganz einfach eine unver-
wüstlich treue und anhängliche Bayernseele
besitzen, aber Schnecken! Das kann nicht mehr
ganz unwidersprochen bleiben. IllberhauptS, es
sind da so eine Masse Irrtümlichkeiten in
dieser verschleierten Angelegenheit, daß daS
jetzt endlich einmal aufhören muß! Dem Lud-
wig selig seine blnvergessenheit ist zum Bei-
spiel auch nicht davon gekommen, weil er eine
beliebte Persönlichkeit und ein so ein wunder-
schöner Mensch gewesen ist. Da stimmt auch
schon wieder waS nicht. Es ist hinwiederum
erst recht nicht wahr, daß wir an ihm bloß
deswegen so hängen, weil er vielleicht mit dem
hintersohigen Gudden von den Berger Ge-
staden auS in die herrlichen Fluten des nächt-
lichen SeeS gesaust ist und dort beiderseits den
Tod gefunden hat, wenngleich infolgedessen
von da ab bei uns ein sehr geschätzter
Fremdenverkehr in Schwung gekommen ist.
Ich meine, man muß da, wenn man alles
anschaut, schon gerecht sein! Eö muß einmal
gerade herausgesagt werden, was denn eigent-
lich für uns Berger das Zugstück zur Ver-
ursachung einer solchen blnvergeßlichkeit ge-
wesen ist. Nämlich eine unbekannte Frau —
ich möchte aber schon bitten, daß die vor-
eiligen Leute bei dieser ernsten Gelegenheit
nicht gleich an geheime Liebesgeschichten and
ähnliche Sauereien denken, die wo der Ludwig
nie mögen hat, und erhebe deswegen energisch
den warnenden Finger! — nämlich also diese
höhergeftellte blnbekannte hat Anno 66 eine
Stiftung gemacht, demzufolge wir Berger
Kinder alle Jahre bei einer eigenen Gedenk-
Christbaumfeier beschenkt wurden. Es lägt
sich also denken, daß eine so eine mildtätige
Sache aus unsere LudwigSanhänglichkeit am
meisten gewirkt hat. Erstens haben wir als
einzige Bäcker- und Konditorei am Orte eine
blnmaste Gebäck liefern müssen, zweitens hat
der Metzger von Aufkirchen für die Feier
korbweise Würste und Fleisch angebracht,
drittens hat der Gärtner für die Aus-
schmückung des Saales seine Einnahme ge-
habt, viertens ist bei dem Wirt, wo alles
stattfand, ein Geschäft gegangen, das wo sich
verschiedene gewünscht hätten., und endlich
fünftens hat jedes Kind z-wei Paar Dünn-
geselchte gratis gekriegt, hernach einen voll-
behangenen Christbaumzweig, außerdem ein
Kleidl, ein Paar Strümpfe, Spielsachen,
schöne Rosenkränze oder ein Gebetbuch, und
wenn eines davon ein Gedicht ausgesagt hat,
sind ihm bare 50 Pfennig stistsgemäß auS-
bezahlt worden. Sowas kann man doch ge-
wiß einen reellen Segen heißen, und wenn
— was selbstredend dazugehörte — der hoch-
würdige Herr Pfarrer und der Bürgermeister
ihre Reden, die wo alle Jahre gleich waren,
mit den schönen, erhebenden Worten beendet
haben: „lllnd so thronet seit Anno 86 Seine
Majestät, unser unvergessener Bayernkönig
Ludwig der Zweite, im Himmel droben an der
Seite Gottes and schaut heute mit besonderer
Liebe auf uns Berger und auf euch Kinder
herab, denen er das Christkind geschickt hat,
aus daß wir einftimmen — Seine Majestät,
König Ludwig der Zweite, er lebe hoch! Hoch!
Hoch!" da war natürlicherweise kein Auge
nicht trocken, und jeder hat „Hoch!" geschrien,
daß der ganze Saal gezittert hat.
Jetzt muß ich aber doch zu der schönen
Geschichte kommen, die wo meinem Bruder
Lenz und mir einmal bei so einer Christbaum-
feier passiert ist und welche eigentlich der
Ausgangspunkt meiner sinnigen Ausführungen
gewesen sind. Als Berger hat uns der Lehrer
natürlicherweise auch immer angehalten, wir
sollen ein Gedicht aussagen dortselbst. Aber
das Fufzgerl hätten wir schon gern mögen,
hingegen das Aussagen nicht, weil uns das
Auswendiglernen so zuwider gewesen ist. In-
folgedessen haben wir, wenn der Lehrer streng
gefragt hat: „Na, ihr Grass seid wohl wieder
zu faul z-um Lernen! Schämt euch! Graf
Lorenz, Gras Oskar? Will einer von euch ein
Gedicht lernen?" immer darauf geantwortet:
„Wir müssen zuviel arbeiten, Herr Lehrer,
blnser Vater hat gesagt, mir haben keine Zeit
nicht."
„Jaja, das kennt man schon! Setzt euch,
ihr Faulpelze!" hat alsdann der Lehrer ge-
schimpft und ein rechtes Gesicht gemacht. DaS
ist auch nicht schön gewesen. Einmal aber, wie
uns der Lehrer wieder so geschimpft hat, sag'
ich zu ihm: „Herr Lehrer, ich möchte schon ein
Gedicht aussagen, alter mein Bruder Lorenz
muß mitreden."
„Mitreden? .. . Wie meinst du denn daS?"
hat der Lehrer barsch gefragt: „Wollt ihr
vielleicht miteinander ein Gedicht aufsagen?"