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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 34.1929, (Nr. 1-52)

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Nr. 50
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flopfeln £>er Großen. Und als .die Dämme-
rung sich herabsenkt aus die Häuser und in
den Stuben die Lichter angezündet werden,
stolpert es die schmalen Stiegen herunter in
langem Zug: Engel, weiß angetan, mit

wehenden Haaren aus blondem Flachs; die
Heiligen Drei Könige, Goldpapierzacken als
Kronen auf den Köpfen und Königsmäntel
aus roten und gelben Weiberröcken um die
Schultern; Hexen, schwarz angerußt, humpeln
und springen; und der Teufel selber schleift
seinen langen Stoffschwanz nach im Schnee.

Da kommt aus dem Nebel heraus, in der
Richtung vom Nachbardorfe her, dem Zug
entgegen, eine Frau. Sie reitet auf einem
Esel, ihr Mantel ist blau und dünn, und um
den Kopf trägt sie ein weißes Tuch geschlun-
gen, das weit und leuchtend um die Schultern
fällt. Nebenher aber schreitet ein Mann,
gebeugt und alt, die Zügel des Tieres lose
haltend. Die vermummten Dauern erkennen
sie gleich — und erkennen sie doch nicht.
Sie sehen nicht das Strahlen, das um die
Frau ist, und nicht das Leuchten um die Stirn
des Mannes.

„Hah, hoh! Maria und Josef kommen,
die können wir brauchen!" Sie werden in
die Mitte genommen — die Frau lächelt und
ist so schön — und mit Kettenrasseln und

Kuhglockenläuten geht's zum ersten Hof,
dessen dunkle Tür sich dem Anklopfen der
langen Hüterstangen gleich auftut, denn das
Lärmen und Klopfen der Anklöpfler treibt
alles klngute aus und bringt Segen ins Haus
und aufs Feld. Der Bauer läßt den Zug in
die warme Stube treten. Da stellen sie sich
auf im Kreis, die Engel, Teufel, Hexen und
Könige, Maria und Josef mitten darunter.
Sie singen schön eingeschult nach altem
Brauch das Herbergslied von Maria und
Josef und den hartherzigen Bauern von
Bethlehem, die ihren Bitten um Herberge die
Tür gewiesen haben. .

Die Bäuerin muß eine Träne zerdrücken
über das Leid. Sie beugt sich über die Truhe
mit den Nüssen und legt eine Schürze voll
auf den Tisch. Apfel bringt sie und Kletzen-
brot und eine Flasche selbstgebrannten
Schnaps. Sie trinken alle und essen. Maria
und Josef greifen auch zu, der Weg von der
Kapelle her war weit, und Maria hat eis-
kalte Hände. Aber jetzt brechen die Bauern
alle wieder auf. Josef zögert, und während
er unter der Stubentür als Letzter steht,
fragt er den Bauern init leiser Stimme um
Nachtquartier. Der lacht hellauf und sagt:
„Geh nur zua, du" und die Tür fällt ins
Schloß. Traurig schaut Maria auf zu Josef,

der aber hebt sie wieder auf den Esel, der
wartend stand, und sie folgen langsam dem
lärmenden Zug, von Hof zu Hof. Überall
fragt Josef im Hinausgehen um «Quartier,
flehend schaut Maria zurück in die Stuben,
deren lichte Wärme sich in breitem Strom
aus der geöffneten Tür in die Nacht ergießt
— sie werden nirgends ausgenommen.

Im letzten Hof aber wird nach Gesang»
Küchln und Schnaps getanzt, und da es gar
kein Ende nehmen will, zieht Josef die
Bäuerin auf die Seite und sagt: „Frau, gib
Maria Quartier für heute Nacht". Die
Bäuerin aber schüttelt nur den runden Kopf,
schlägt die Hände zusammen und lacht.

Maria ist so müde. Da geht Josef leise
hinaus mit ihr aus dem letzten Haus, hebt
sie sacht auf den Esel und führt die Trauernde
zurück, quer durch verschneite Felder und
Wiesen. Nebel teilt sich vor ihnen, in großen
Schwaden steht er rechts und links als silberne
Wand.

Bergauf führt Josef das Tier. In langen
Serpentinen windet sich der Weg hin zur
kleinen Kapelle, drin das ewige Licht sie
zitternd grüßt. Als sie stehen, öffnet sich von
selbst das schwarze, gußeiserne Gitter, bind
sie gehen hinein, Schutz zu suchen, Maria
Josef und der Esel.

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Albert Birkle: Schneeballschlacht
 
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