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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 34.1929, (Nr. 1-52)

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VON

owi C2JkhenKen
TRISTAN BERNARD

L

„Wozu dieses Schenken an bestimmten
Tagen?" meint irgendein Oberschlauer, der
den Weihnachtsgeschenken allzu gern an den
Leib rücken möchte. „Wäre es nicht weit
hübscher, seine Freunde mitten im Jahr zu
beschenken, wann es einem gerade einfällt?
Das wäre dann wenigstens eine Überraschung
... bind die Geschenke hätten nicht mehr den
Charakter einer Zwangsabgabe..

Sie hätten dann überhaupt keinen Charak-
ter mehr, aber schon gar keinen. Wir wissen
doch, was wir vom guten Herzen der meisten
Menschen zu halten haben. Sie schenken nur,
wenn es gerade üblich ist. Damit soll durch-
aus nicht gesagt sein, daß es nicht sehr an-
genehm ist, Geschenke zu machen und zu sehen,
wie er oder wie sie sich sreut. Aber bei den
meisten Leuten wiegt die Wollust des Schen-
kens das schreckliche Gefühl nicht aus, welches
HuySmanS den „Ausgabenkatzenjammer"
nennt. Denkt doch ein wenig an eure Kind-
heit! Erinnert euch an den Zauber dieses

Tages! bind der Wonne, wenn die Entree-
klingel wieder ein neues Geschenk ankündigte!
blnd an das geheimnisvolle Paket, das unge-
duldige Hände aufschnürten! ... Irgend
jemand steht immer dabei, der nicht duldet,
daß der Spagat zerschnitten wird: und darum
muß man sich die Fingerspitzen an dem ver-
knoteten Zeug zerquälen ... Dann der letzte
Widerstand der Papierhüllen ... Ist es end-
lich so weit? Nein! Noch ein Seidenpapier..
Endlich hebt sich der Deckel! . . . Ah! .. . Es
ist immer ein „Ah!" des Entzückens, die Ent-
täuschung kommt erst später, aber das Aus-
heben des Deckels an sich ist genau so wie
das Aufgehen des Vorhangs im Theater von
einem großen Glücksgofühl begleitet...

Meine unmittelbarsten Erinnerungen sind
allerdings die des SchenkenS ... leider! Welche
Schüchternheit und welche Höllenangst beim
Gedanken an eine mögliche Enttäuschung eines
der von mir Beschenkten! Deshalb habe ich
auch langsam aus Feigheit und Faulheit

daraus verzichtet, die Ncenschen zu überraschen,
und mich lieber durch diskrete Erkundigungen
informiert, was ihnen wohl Freude machen
könnte. . . Eine sehr vorsichtige und bedauer-
liche Methode, die allgemein zu werden be-
ginnt. Sie setzt nicht nur Faulheit, sondern
auch einen gewissen schlauen Geiz des Gebers
voraus. Sie verlassen sich lieber auf das
Taktgefühl der betreffenden Person, als auf
ihre eigene, nicht zu dämmende Generosität
und Großzügigkeit.

Daher sind heute die meisten kleinen Kinder
und hübschen Damen im voraus genau über
das orientiert, was sie erwartet, und das
Schenken büßt dadurch einen Großteil seines
Reizes ein.

Ich kenne einige weitblickende junge Mäd-
chen, welche jedes Jahr eine Perle zur Er-
gänzung eines Kolliers bekommen. Sie kön-
nen beruhigt der Zukunft entgegensehen, denn
an der Schwelle des Alters erwartet sie ein
schönes Schmuckstück. Ja .. . über Geschmack
läßt sich nicht streiten!

Das ist aber noch gar nichts gegen die
schlaue kleine Frau (sie war allerdings in
technischen Fragen nicht so ganz auf der
Höhe), welche sich, ohne sich in die Karten
schauen zu lassen, vor einigen Jahren von
einem Freund vier Motorzylinder zu Weih-
nachten schenken ließ. Im nächsten Jahr ver-
langte sie... ein ebenso unverständlicher wie
energisch geäußerter Wunsch . . . einen Auto-
kühler. bind so weiter, jedes Jahr, einmal
einen Volant, dann vier Pneus, alle möglichen
anderen Autobestandteile, und schließlich auch
noch Scheinwerfer. Jetzt hatte sie alles, was

Oer kleine Generaldirektor
„Dorr Weihnachtsmann? Auf Grund der mir
über Eie zugegangenen günstigen Referenzen be-
absichtige ich, einige größere Bestellungen, liefer-
bar bis 24» ds., oorzunehnien und sichere Abnahme.

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Register
Josef Sauer: Vor dem Schaufenster
Kurt Werth: Der kleine Generaldirektor
Tristan Bernard: Vom Schenken
 
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