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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 34.1929, (Nr. 1-52)

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3 4. JAHRGANG

1929 / NR. 51




as toeiioe

VON ADELE

ei

I E L L I N E K

3n einem Balkanstädtch-m hatte sie ein-
mal ein Wort gehört, das .ihr seines abson-
derlichen Gedankenbildes wegen ausgefallen
war: „Wer ans einen Thron gesetzt wird,
muß sich wie ein König benehmen!" DaS
siel ihr jetzt plötzlich ein, wenn sie an ihr Er-
lebnis dachte.

Sie hatte den ältlichen und anscheinend
vornehmen Herrn ans eine ganz alltägliche
Weise kennengelernt, aber er hatte sofort
eine seine, edle Distanz zwischen sich und sie
gerückt und sie mit einer so tiefen Achtung
und Ritterlichkeit umgeben, daß sie ganz ab-
sichtslos m diese Rolle hineingeraten war.
Sie gehabte sich wirklich, als sei sie ein eben
entsprungenes Pensionsgänschen, deren für-
sorgliche Mama sie aus S strengste behütete
und bewachte und ihr über jede Stunde ihres
Verbleibs Rechenschaft abverlangte. „Heute
kann ich nur eine Viertelstunde bleiben,
Mama erwartet mich", sagte sie zu ihm.
Dann nahm er ohne ein Wort der Wider-
rede seine Llhr aus der Tasche und behielt
sie in der Hand, während er mit ihr in seiner
reizvollen, klugen Art sprach. Hin und wie-
der warf er einen Blick auf die Llhr, und
wenn die Zeit abgelaufen war, machte er sie

selber darauf aufmerksam. Oft zögerte sie,
seltsam gefangen genominen von dein Zauber
dieses Verkehrs. Dann bat er sie in schlichter,
offener Weise, zu gehen, damit sie keine An-
gelegenheiten zu Hause habe.

Dieses „Mama ivartet" war doch eine
wundervolle Erfindung! Nicht nur, iveil sie
das Inventar' der Liebe kannte und lvußte,
was solch ein Abbrechen beim besten Appetit
bedeutete, sondern weil sich auch ihr junger
Übermut an dem absonderlichen Huinor der
Sache ergötzte. Mein Gott, es wartete höch-
stens die Ouartierfrau, die, wenn sie schlechter
Laune war, ihr mehr oder weniger geschmack-
voll ihre Gevingschätzung zeigte, und sie an
ihre Schulden mahnte, oder, wenn sie guter
Laune war, ihr in dreister Anzüglichkeit ben
Rat gab, wieder einmal einen guten Fang
zu tun. Jetzt war sie eitel Freundlichkeit,
seit sie ihr die Andeutung gemacht, daß die
„freudelose Zeit" wieder vorüber sei, und so
wartete sie eigentlich auch, aber freilich
anders, als es eine fürsorgliche Mama getan
hätte.

Aber die Sache geriet in eine Bahn, die
sie eigentlich nicht beabsichtigt hatte, und ent-
glitt ganz ihren Händen. Der Mann war

jedenfalls anders als die vielen Männer, die
sie bisher kennengelernt hatte. In ihm be-
gegnete ihr zum erstenmal ein RIensch von

einer

gewissen inneren Vornehmheit.

Das

war ein neues Stück Menschentum, und sie
wußte nicht sofort, wie sie es einreihen sollte.
Seine überlegene Klugheit, die ruhige Sicher-
heit seines Wesens nahmen sie gefangen.
Dabei zeigte sein Benehmen ihr gegenüber
eine peinliche Korrektheit, nie gebrauchte er
ein unzartes Wort, eine unzarte Anspielung,
nie entdeckte sie >in seinen Augen jene Gier,
die ihr noch aus den Augen aller Männer
entgegengeschaut und die das Stück unzer-
störbarer Kindlichkeit in ihr so beleidigt
hatte. Seine innige Achtung warf sich über
sie wie ein weißes Kleid, wie ein Strom
reinen Lichtes. War sie bei ihm, dann ver-
gaß sie alles, dann verschwand ihr ver-
gangenes Leben hinter ihr mit seinem unter-
irdischen Feuer, seinem Schinutz und Dunkel.
Bei ihm sprach sie eine andere Sprache.
Ihre Verschlagenheit und Klugheit ließen sie
ganz im Stich; statt daß sie wie Hunde vor-
wärts stürmten und das Wild umstellten,
legten sie sich wie Lämmer zu seinen Füßen.

Allgemach geriet sie aber in eine seltsame,


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Der Zeichner und die Schlafende




RI a r RI a y r s h o f e r
Register
Max Mayrshofer: Der Zeichner und die Schlafende
Adele Jellinek: Das weiße Kleid
 
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