KRIPPE UND STERN
EINE FRANZISKUSLEGENDE VON KARL RÖTTGER
<Nach einem Motiv aus dem „Blümlein des heiligen Franziskus >
Lange Jahre hatte der Heilige mit den
Seinen auf dem Berge das Fest der Geburt
des Christkindes begangen. Das Volk der Um-
gegend mar von Jahr zu Jahr mehr und
mehr zu diesem Fest zu den armen Brüdern
gekommen, und die Schauer des Wunders der
Wunder rvaren über die Herzen gegangen,
wenn in der Winternacht die Gesänge er-
klangen —
Gebor'n ist uns ein Kindlein klein
Von Maria, der Jungfrau rein.
Jetzt ist die freudenreiche Zeit,
Christkind ist uns're Seligkeit.
O du herzliebes Jesulein,
O gnadenreiches Kindelein!
Alleluja, alleluja!
Der Heilige selber aber hatte sich ein paar-
mal ertappt bei einem Gefühl des Nicht-ganz
Vollkommenen, ja fast des UnbefriedigtseinS
fast daß erS als Sünde mangelnder Demut sich
deutete und ihn sein Herz fragte: „Franziskus,
was denkst du? Franziskus, was willst du?
Das Wort der nächtlichen Feier, die Gesänge
der Ergriffenen künden die Wiederkehr der
Stunde der heiligen Geburt, die Augen der
Menschen leuchten — und dir ist es nicht
genug?"
„Was soll ich darauf antworten", ent-
gegnete sein Mund dieser Frage; „ es ist wahr:
der Glanz dessen, was in Nazareth geschah,
brennt in den Worten der Feier, aber könnte
die Zeit vernichtend, die zwischen dort
man
und hier liegt — die Menschen h i n führen zu
Stall und Krippe und zur strahlenden Jung-
frau und sie knien lassen, wie die Hirten ge-
kniet haben: wär' es nicht mehr als solch ein
Fest?! Nun möcht' ich wissen, ob mein Herz
töricht spricht in solchem Wunsch; ich will Gott
selber fragen geh'n." Aber Gott selber schien
(Sbrifena^lit
Dies zu sagen, ist mein Mund zu schwach,
Dies zu reigen, stocken meine Füße,
Dies zu lieben, ist die einz’ge Süße,
Und der Engel Lippe schmeckt sie nach.
Daß die Spreu der Lichter Honig treult,
Daß der Stall in sich vor Lächeln zittert,
Daß der Tiere dünne Nüster wittert,
Wie sich Labung in der Krippe häuft,
Wo ein Kind sich in die Halme bot
Und ein kleines Lamm an seine Füße —
Dies zu lieben ist die letzte Süße
Zwischen diesem Leben und dem Tod.
Ruth Schaumann
ihm nicht antworten zu wollen in diesem Ding;
der Winter ging hin, eS ward Frühling, Fran-
ziskus vergaß seines weihnachtlichen Wun-
sches, sah das Licht eines gewaltigen BlühenS
aus Bäumen, Büschen und Erde schlagen und
hielt Zwiesprache mit den Vögeln im Wald.
Als aber der Herbst mehr und länger die
Dämmerabende brachte, kamen dem Heiligen
die alten Gedanken wieder; in einer Vesper
des Advents geschah eS zu ihm wie ein Ruf,
daß er hinausging unter den verwunderten
Blicken seiner Brüder — in das Dunkel.
„Wer hat mich gerufen?" fragte er in den
Wind, fragte er zu den Sternen hinauf und
wartete, gelehnt an eine Pinie, auf Antwort.
Da ward ihm der Geist aufgetan, und er
hörte.- Doch keine Antwort an ihn, den
Heiligen, sondern er horte Stimmen und sah...
Er sah einen alten Mann in einer Werk-
statt stehen und arbeiten, Bretter sägen und
hölzerne Beine, hobeln und nageln. Und ein
Kind stand dabei und sah zu; ein Knabe.
Und er hörte dieses Kind sprechen: „Was tust
du ida, mein Vater?" Der Alte sah auf und
antwortete mit einem Lachen: „Eine Krippe
mache ich, wie die da in Bethlehem war, als
du deiner Mutter hell erschienst."
„Aber ich brauche sie doch nicht mehr," sagte
der Knabe, „ich bin bald groß, und du machst
eine Krippe für ein Wiegenkind?"
EINE FRANZISKUSLEGENDE VON KARL RÖTTGER
<Nach einem Motiv aus dem „Blümlein des heiligen Franziskus >
Lange Jahre hatte der Heilige mit den
Seinen auf dem Berge das Fest der Geburt
des Christkindes begangen. Das Volk der Um-
gegend mar von Jahr zu Jahr mehr und
mehr zu diesem Fest zu den armen Brüdern
gekommen, und die Schauer des Wunders der
Wunder rvaren über die Herzen gegangen,
wenn in der Winternacht die Gesänge er-
klangen —
Gebor'n ist uns ein Kindlein klein
Von Maria, der Jungfrau rein.
Jetzt ist die freudenreiche Zeit,
Christkind ist uns're Seligkeit.
O du herzliebes Jesulein,
O gnadenreiches Kindelein!
Alleluja, alleluja!
Der Heilige selber aber hatte sich ein paar-
mal ertappt bei einem Gefühl des Nicht-ganz
Vollkommenen, ja fast des UnbefriedigtseinS
fast daß erS als Sünde mangelnder Demut sich
deutete und ihn sein Herz fragte: „Franziskus,
was denkst du? Franziskus, was willst du?
Das Wort der nächtlichen Feier, die Gesänge
der Ergriffenen künden die Wiederkehr der
Stunde der heiligen Geburt, die Augen der
Menschen leuchten — und dir ist es nicht
genug?"
„Was soll ich darauf antworten", ent-
gegnete sein Mund dieser Frage; „ es ist wahr:
der Glanz dessen, was in Nazareth geschah,
brennt in den Worten der Feier, aber könnte
die Zeit vernichtend, die zwischen dort
man
und hier liegt — die Menschen h i n führen zu
Stall und Krippe und zur strahlenden Jung-
frau und sie knien lassen, wie die Hirten ge-
kniet haben: wär' es nicht mehr als solch ein
Fest?! Nun möcht' ich wissen, ob mein Herz
töricht spricht in solchem Wunsch; ich will Gott
selber fragen geh'n." Aber Gott selber schien
(Sbrifena^lit
Dies zu sagen, ist mein Mund zu schwach,
Dies zu reigen, stocken meine Füße,
Dies zu lieben, ist die einz’ge Süße,
Und der Engel Lippe schmeckt sie nach.
Daß die Spreu der Lichter Honig treult,
Daß der Stall in sich vor Lächeln zittert,
Daß der Tiere dünne Nüster wittert,
Wie sich Labung in der Krippe häuft,
Wo ein Kind sich in die Halme bot
Und ein kleines Lamm an seine Füße —
Dies zu lieben ist die letzte Süße
Zwischen diesem Leben und dem Tod.
Ruth Schaumann
ihm nicht antworten zu wollen in diesem Ding;
der Winter ging hin, eS ward Frühling, Fran-
ziskus vergaß seines weihnachtlichen Wun-
sches, sah das Licht eines gewaltigen BlühenS
aus Bäumen, Büschen und Erde schlagen und
hielt Zwiesprache mit den Vögeln im Wald.
Als aber der Herbst mehr und länger die
Dämmerabende brachte, kamen dem Heiligen
die alten Gedanken wieder; in einer Vesper
des Advents geschah eS zu ihm wie ein Ruf,
daß er hinausging unter den verwunderten
Blicken seiner Brüder — in das Dunkel.
„Wer hat mich gerufen?" fragte er in den
Wind, fragte er zu den Sternen hinauf und
wartete, gelehnt an eine Pinie, auf Antwort.
Da ward ihm der Geist aufgetan, und er
hörte.- Doch keine Antwort an ihn, den
Heiligen, sondern er horte Stimmen und sah...
Er sah einen alten Mann in einer Werk-
statt stehen und arbeiten, Bretter sägen und
hölzerne Beine, hobeln und nageln. Und ein
Kind stand dabei und sah zu; ein Knabe.
Und er hörte dieses Kind sprechen: „Was tust
du ida, mein Vater?" Der Alte sah auf und
antwortete mit einem Lachen: „Eine Krippe
mache ich, wie die da in Bethlehem war, als
du deiner Mutter hell erschienst."
„Aber ich brauche sie doch nicht mehr," sagte
der Knabe, „ich bin bald groß, und du machst
eine Krippe für ein Wiegenkind?"