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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 34.1929, (Nr. 1-52)

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Nr. 52
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https://doi.org/10.11588/diglit.6761#0831
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Der Alte nahm den Knaben an der Hand,
führte ihn an die Tür und sagte: „Steh dort
den alten Mann auf dem Berge, er hat die
Jahre schon ein Wünschen in seinem Herzen,
ein gutes Wünschen, und weiß dem keinen
Rat. Wenn die Krippe fertig ist, wollen wir
uns ausmachen und sie ihm auf seinen Berg
tragen. Jetzt aber geh zu deiner Mutter und
bitte sie schön um ein Püppchen, es in die
Wiege zu legen, in die Krippe. So bekommt
des Mannes Herz dort oben Ruhe."

„Das will ich tun," sagte der Knabe,
„schwirren doch stündlich hundert Engel und
Traumbilder durch Marias Herz und Sinn;
sie wird eines greisen, das ein
Lächeln hat —

Wie du in jener Nacht —
und es kleiden und in die Krippe legen. Wann
wirst du fertig sein, mein Vater?"

„Vor Mitternacht", sagte der Alte . ..

Da ging der Knabe aus der Werkstatt, das
Bild zerrann, und Franziskus hörte nichts
mehr. Er stand aufatmend, fühlte den Wind,
sah ins Land und sah danach die Sterne. . .
Daraus ging er. Es war al>er eine Grotte da
an jenem Berge, wo Franziskus manchmal

still und einsam zu sitzen pflegte; dorthin ging
er nun. Es war eine große Stille über sein
Herz gekommen. Er hörte die Glocke des
Kirchleins, Wind trug eine letzte Welle Gesang
herauf. Dann warS still. Franziskus saß in
der Grotte und sann. Konnte das sein, daß
der heilige Joseph selber sein Herz gesehen
hatte und an einem Kripplein zu zimmern
begann? Er lachte vor sich hin in die Nacht.
— Närrische Gedanken! Aber die Stille seines
Herzens ward größer und mehr, und Fran-
ziskus entschlief.

Dies Einschlafen aber war gewesen, als
sei er durch eine Tür in einen andern Raum
nur getreten — er hörte und sah — und war
verwundert, dieselben Stimmen zu hören und
dieselben Gestalten zu sehn, wie da eben, als
er an der Pinie stand.

Die zwei gingen durch die Nacht: der alte
Mann und der Knabe. Er hörte den Knaben
sprechen:

„Wohin führst du mich, mein Vater?"

klnd der Alte antwortete:

„Das Gebirge hinauf, an die Duelle des
heiligen Stromes, zu dem uralten Baum auf

Scherenschnitt von J. Straub

dem Libanon. Er stand schon hoch und weit,
als Abraham aus Chaldäa zog, in sein Land
zu ziehen, als Jakob stoh und wieder heim-
kam, als Mose sein Volk heimbrachte aus
der Fremde, daß es am eigenen Herd wohne."

„blad die Duelle des Stromes auf dem
Berge?" fragte der Knabe.

„Was meinst du, Kind?"

„Sie ist vielleicht noch älter?"

„Das ist eins, mein Kind — unser Blick
taucht da hinten, da hinter uns weit, unter —
einmal ist da kein Unterschied mehr zwischen
den verschiedenen Altern, da ist alles g l e i ch
alt..."

„Du hast recht gesprochen, mein Vater...
Dort steht: Er. Du hast recht gesagt: es ist
eins: das Alter des Baums, den wir sehen
werden, und das Alter der Duelle, in die wir
schauen werden. . . Beides kommt aus Ihm."

„So ist es, mein Kind", sagt der Alte,
l-lnd sie gehen nun schweigend.

Des Franziskus Gedanken und seine Augen
gehen mit den beiden durch die Nacht. Kommen
mit ihnen auf die Höhe, gehen mit zwischen
den Bäumen, den dunklen Zedernwänden, bis
sie an der Duelle angelangt sind. Da kommt
das Wasser aus steinigem Boden und beginnt
einen kleinen Bach. Sie schauen hinein, und
der Knabe legt seine Hand in das Wasser.
Zieht sie wieder heraus; es hängt ein Tropfen
daran; seltsam, das Licht des Vollmonds tritt
hinter Wolken heraus, der Tropfen sendet
Strahlen aus, ist ein Stern. . .

Nun stehn sie am uralten Baum, dessen
Anfang man nicht weiß; des Alten Hand
deutet darauf, und der Knabe schaut ihn
schweigend an, schaut bis zur Spitze hinauf.
Dann sagt er: „Solch lein Baum dunkelt wie
die Nacht. Wie könnte man sein Dunkel schön
machen?"

„Durch Licht, Sohn."

„Recht, mein Vater. Aber darum schauern
kühl die Herzen aus Erden beim Anblick der
Sterne, weil Erdendunkel und Sternwelt ein-
ander so fern sind. Was kann da geschehn?"

Der Alte lächelt schön aus seinem Bart
und sagt: „Ich verstehe; aber d u willst es
sagen. So sag es."

Da sagte der Knabe: „Die Bäume und die
Herzen können nicht bis hinauf an die Sterne,
um sie an die Hände und an die Zweig spitzen

A n b e t
Register
Irmingard Straub: Scherenschnitt
Helmuth v. Geyer: Anbetung
 
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