Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 35.1930, (Nr. 1-52)

DOI Heft:
Nr. 2
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.6762#0022
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
QJevabved\

ung vor aem

VON L. RHAN

dem

mo

DK an soll, n>enn man mit einer Frau wie
Till verabredet ist, nicht Untergrundbahn
fahren. An diesem Tage jedenfalls hat es
mir von vornherein jedes Selbstgefühl ge-
nommen. Ein Strom von Menschen schwemmt
mich durch den Tunnel in den Zug hinein.
Eng aneinandergedrängt, daß jeder Mund Ln
den Rücken des Vorhergehenden atmet.
Staub, DKüdigkeit, Eile lassen die vielen
Gesichter wie gleichartig blasse Masken er-
scheinen. ^ch beneide manchmal den Bauer,
dessen einziges Verkehrsmittel das Ochsen-
gespann ist. Er kann wenigstens allein sein.

Der Beamte am Schalter schreit mich an
wie einen Schuljungen, der seine Arbeit ver-
geben hat. Zch habe meine Zählkarte ver-
loren. Wieviel Menschen bin ich Rechen-
schaft schuldig in dieser Stadt? Alles, was
ich tue und nicht tue, wird offenbar zu einer
Statistik gebraucht. Als ich aus der Unter-
grundbahn an die Oberfläche komme, befiehlt
mir das Rot der Verkehrsampel zu warten.
Ich springe zwischen zwei fluchenden, hupen-
den AutoS hindurch, weil ich auf der anderen
Seite einen roten Hut sehe, der scheinbar
Till gehört. Aber es zeigt sich, daß noch
andere Frauen Hüte wie Till tragen, und
daß sie noch nicht da ist. Zch stehe plötzlich
inmitten von festlich hergerichteten Frauen-
gesichtern, die alle denselben Ausdruck haben
und versuchen, eine nervöse Ungeduld hinter
scheinbar gedankenlosem Vorsichhinstarren zu
verbergen. Die Menschheit teilt sich auch hier
in zwei Gruppen, solche, die warten, und
solche, die warten lassen. Till zum Beispiel
gehört zu denen, die warten lassen. Aber es
ist natürlich vernünftiger, mich warten zu
lassen, als die Kunden der Parfümfabrik in
Paris, für die sie arbeitet.

Die Frau neben mir, deren breiter Pelz
viel zu schwer ist für die kindlich schmalen
Schultern, sieht aus wie die Prinzessin auf
den farbigen Illustrationen der DKärchen-
bücher, die mit einem unendlich unschuldigen,
geduldigen Lächeln aus den Prinzen warten.

Und dann kommt er. Sie läßt sich die
Hand küssen und sieht dabei traurig, ergeben
und mitleidig zugleich auf die feuchtglänzende
Glatze, über die ganze unförmig dicke Gestalt.
Natürlich meint sie mit dem mitleidigen
Lächeln, mit dem sie ihn betrachtet, sich selbst.

£fä

anssenn

Sie tanzt mänadisch, leLbgeword'ner Klang.
Es schellt das Gold an ihren Handgelenken.
Die Augen glitzern, und man kann nichts denken,
nur immer sie in tollem Überschwang.

Es ist, als würde ihre schmale Hand
nach uns rer bangen Lust- ein Lasso werfen.
Sie tanzt auf unsren Herzen, uns ren Nerven
Exotisches und Operettentand.

Und man sitzt dunkel im Parkett und lauert
auf jede ihrer Gesten, jeden Sprung
und fühlt sich plötzlich wieder rasend jung
und traurig, weils nur noch Minuten dauert.

Herbert Strutz

E r i ch G o i) a l

der Geruch einer scharfen englischen Zigarette,
der mich an irgendein blondes Mädchen auS
London erinnert, die viel rauchte und deren
Küsse stets dieses aufreizende Aroma der
Zigarette hatten.

Wenn Till kommt — das heißt, wenn sie
überhaupt noch kommt — werde ich ihr
höchstens die Hand küssen dürfen. Sie hat
eine furchtbare Angst vor den DKenschen, von
denen sie jeden fünften kennt. Es war eine
verrückte Idee, mit ihr ins Kino zu gehen.
Aber in diesem Chaos von Licht, Wagen,
Cafes und DKenschen kann man doch nirgends
allein sein. In jeder Bar sieht man die
DKenschen dicht neben sich und zu zweien, und
erschrickt, wenn man ihnen zusieht, weil man
glaubt, eine Karikatur der eigenen Einsamkeit
zu sehen. Ich werde mit Till telephonieren.

Während ich auf die Drummer warte, die
das Telephonfräulein müde wiederholt, über-

Aber das muß wohl so sein. Denn um uns
herum stehen noch viele solche Mädchen, die
aussehen, als kommen sie eben aus einem
sentimentalen Märchen, obwohl sie sehr ge-
schminkt sind und moderne Hüte tragen. All
diese Frauen scheinen viel zu zart und zu
sanft, um daS Tempo mitzumachen, das die
Zeit und die Stadt (von der modernen Frau)
verlangt; anderseits haben sie weder Zeit
noch Geld genug, um auf den richtigen
Prinzen zu warten, der ihre unzeitgemäße
Sanftheit zu würdigen weiß.

Aber ich glaube, daß ich umsonst versuche,
mich mit fremdem Schicksal zu betäuben;
denn ich merke, daß ich bereits eine halbe
Stunde auf Till warte. Wehrlos bin ich
allen Geräuschen, Gerüchen und Berührungen
ausgeliefert, die an mir vorübergehen. Benzin-
wolken, das unangenehm süße Parfüm einer
Frau, die unnötig dicht an mir vorübergeht.

21
Register
Lena M. Rhan: Verabredung vor dem Kino
Herbert Strutz: Tänzerin
 
Annotationen