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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 35.1930, (Nr. 1-52)

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G. v. F i n e t t i

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Das Tanzturnier

„Vorsicht, Fräulein Lea, lieber zwei Fehltritte im Leben, als einen in diesem
Augenblick!"

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VON W. AUGUSTIN

Frau gelegt, ohne sich dabei — wie sonsthin —

Wenn hier in knappem Umriß vom Leben
und Sterben >des Fräulein Margit v. S.
berichtet werden soll, jenes bedauernswerten
Mädchens, das, wie bekannt, im Blütenalter
von kaum neunzehn Jahren seiner Tanzleiden-
schaft zum Opfer fiel, so will >damit beileibe
nicht am Tanzsport als solchem abfällige
Kritik geübt werden. Denn welcher Mann
hätte nicht schon gelegentlich eines Walzers
seine Hand gerne auf den dekolletierten Rücken
eines schonen Mädchens oder einer schonen

des Einspruches eines gekränkten Katers oder
beleidigten Ehemannes aussetzen zu müssen,
und welches weibliche Wesen empfände nicht
im Tanz die körperliche Nähe eines geschmei-
digen Jünglings mit einem Glücksgefühl, das
nicht — wie sonsthin — durch die Befürchtung
unerwünschter Konsequenzen getrübt wird?

Nun, diese naiv primitive Betrachtungs-
weise, die zur Zeit wirbelnder Frackschösse und
feuchter Hemdbrüste noch weithin verbreitet

war und dem Tanz daS Grundmotiv unter-
schob, körperliche Zuneigung zwischen den Ge-
schlechtern zweckdienlich zu fördern, fand bei
Fräulein Margit keinen Nährboden, denn
selbst der schönste und liebenswürdigste Jüng-
ling konnte ihrer Mädchenseele nichts bedeu-
ten, wenn er etwa im Tango das Bein falsch
aufsetzte, oder wenn ihm beim „Aale" ein
Steißwippen unterlief, das dem Sinn und
Gesetz dieses Tanzes widersprach. Ihre geist-
vollen Definitionen, mit denen sie zwischen dein
Tanz als Kunst und dem Tanz als erotische
Stimulanz eine haarscharfe Grenze zog, fan-
den in allen Kreisen der guten Gesellschaft
Beachtung. Wir verdanken es der Pietät des
jungen Grafen R., ihres bevorzugten Tanz-
partnerS, wenn uns einige Aussprüche der
Entschlafenen überkommen sind. Don ihnen
seien hier nur die markantesten genannt, denen
Ewigkeitswert beizumessen sein dürfte: „Liebe
hemmt die richtige Fußstellung im Charleston"
— „Im ,Tile Trott' bedeute dir der Mann
nur Hebelkraft — sonst nichts!" — „Die
Kunst des Boston beginnt dort, wo Zwei-
geschlechtlichkeit aufhört." — „Eine Frau, die
für ihren Tanzpartner mehr als Rhythmus
empfindet, erweist sich der Segnungen des
,englisch Waltz' als unwürdig!" —

Mit achtzehn Jahren hatte Margit in
sechsundfünfzig Tanzturnieren bereits sieben-
undvierzig Preise errungen. Wenn sie mit
ihren überschlanken Beinen, die selbst an der
Wade kaum den Umfang eines normalen
Frauenknöchels erreichten, über das Parkett
wippte, wenn sie ihr schmales Becken ver-
schob, als gehöre es nicht ihr selbst, sondern
einer anderen Person an, wenn sie dann
wieder in bewußter Kontrastierung biegsamer
LoSgelöstheit bachstelzenhaft steifbeinig, als fei
sie von Kindheit an mit chronischem Gelenk-
rheumatismus behaftet, einherschritt, dann
erbleichten neiderfüllt die anderen Damen,
sahen grimmigen Blickes an ihren eigenen
Sulzbeinen hernieder und schwuren sich bei
Terpsichore, mit Hilfe von Punktrollern,
seelischer Kümmernis und milde wirkenden
Laxativen ihre hindernde Körperlichkeit auf
jenes Minimum zu reduzieren, das notwendig

Die schöne Maske S. Kühl

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Register
W. Augustin: Das Leben für den Tanz
Gino v. Finetti: Das Tanzturnier
Steffi Kohl: Die schöne Maske
 
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