Ertfc. Ich sitze, trinke Kaffee, lese, besehe
nur gleichgültig bk Menschen. Es schiebt sich
und Drängt. Ein junger Mann sitzt an meinem
Tisch. Er bat riesige Hände und eine niedrige
Stirn. Sein kleiner Finger ist so diek lvie
mein Damnen. Boxer? Dagegen sprechen die
unverbildeten Bränder seiner -Obren. Er l>at
nicht das typische Boxerohr mir verdicktem,
slachgeklopften Rand. Er wird Metzger sein,
jawohl, denn Zeige- und Mittelfinger lv eisen
mehrere Schnittnarben aus. Außerdem sitzen
noch zwei junge Frauen an meinem Tisch.
Sie sprechen laut, nervös, fahrig französisch.
Sie sind Artistinnen. Die eine zeigt ihrer
Begleiterin eine aus einer Zeitschrift ausge-
schnittene Photographie. Drei Menschen in
Trikots sind darauf, ein Mann, zwei Frauen.
„Th6 three Andrews.“ Sie lächeln kühn und
zuckrig.
Hinein, heraus schieben und drängen Olien-
schen. Durch die großen Glasscheiben sehe
ich auf Straßenpassanten, Autos eilen vor-
über oder halten vor dem Cafe. Strapen-
bahnzüge rattern vorbei.
Unter all den gleichgültigen Menschen, die
an nreinem Tisch vorüber drängen, gebt eine
kleine Frau. Sie trägt einen Hellen Mantel,
einen kleinen engen Filzhut. Ein schwaches,
liebenswürdiges Lächeln scheint auf ihrem
Q^on (Driciii oJ. (l. ouracl
Besicht wie eingefroren. „Keep smiling!“
Zhre großen braunen Augen streifen mich
einen Augenblick, dann sieht sie gleichgültig
über mich weg. Das Lächeln um ihren Mund
ist noch da, wie vorher auch.
Meinem Herzen hat es einen kurzen, harten
Schlag gegeben. Sie wollte mich nicht mehr
^ (ntergriinclhali n am 0 lloi'Qe
Qen
Oloii) liegt ein Rest von Traum auf den
Gesichtern,
OTictn hat sich eben sehr nervös gewaschen
Und steht jetzt fröstelnd mit den Aktentaschen,
Der Zug fährt zischend ein mit weißen Lichtern.
OKit rotem Schlußlicht rollt er in den Schacht
Und sausi vorbei an geisterhaften Wänden,
Die Menschen stehen mit neutralen Händen
Und angeschraubten Köpfen, niemand lacht.
Es braust der Zug durch namenlose Stollen,
Die sich phantastisch in die Erde ) enken,
Die meisten sitzen lautlos auf den Bänken
Wie Automaten, die verdienen wollen.
Theodor Riegler
erkennen, von mir nicht mehr erkannt sein,
llnd es ist doch nur wenige Zähre her, da
liebten wir uns. Zch Hab um die Frau ge-
litten. Nun ja, jetzt weiß ich's, wie um manche
vor- und nachher. Aber damals ging mir's,
wie ich glaubte, ans Leben. Aber auch davon
weiß ich, daß man es jedesmal glaubt. Wir
liebten uns und guälten uns bis aufs Blut.
Sie schwankte damals zwischen ihrer Pflicht
und der Liebe zu mir. Die alte Geschichte,
so gar nicht originell, llnd dann eines Nachts
ward sie ineine Geliebte. Nur diese eine
Nacht. llnd dann war eS aus. Zch glaubte
daran zugrunde gehen zu müssen, zu zer-
brechen. Zch Habe erfahren, daß ich daS oft
vorher und auch später geglaubt habe, lind
trotzdem ist ein wenig Wahrheit daran. Denn
jedesmal wurde ein Stück meines Seins zer-
stört, und jedesmal ging der Schmerz etwas
tiefer. Wir sahen uns zuerst noch öfter, dann
immer seltener. Dann Zahre nicht mehr.
Bis jetzt.
Eine Frau ging vorüber, die einmal nieine
Liebste war. llnd nun wissen wir voneinander
nichts mehr, sind beide aus dein Leben des
andern gestrichen, haben kaum eine Spur
zurückgelassen. Es ist, als wären wir nie
gewesen.
Eine Frau geht vorüber.
101
nur gleichgültig bk Menschen. Es schiebt sich
und Drängt. Ein junger Mann sitzt an meinem
Tisch. Er bat riesige Hände und eine niedrige
Stirn. Sein kleiner Finger ist so diek lvie
mein Damnen. Boxer? Dagegen sprechen die
unverbildeten Bränder seiner -Obren. Er l>at
nicht das typische Boxerohr mir verdicktem,
slachgeklopften Rand. Er wird Metzger sein,
jawohl, denn Zeige- und Mittelfinger lv eisen
mehrere Schnittnarben aus. Außerdem sitzen
noch zwei junge Frauen an meinem Tisch.
Sie sprechen laut, nervös, fahrig französisch.
Sie sind Artistinnen. Die eine zeigt ihrer
Begleiterin eine aus einer Zeitschrift ausge-
schnittene Photographie. Drei Menschen in
Trikots sind darauf, ein Mann, zwei Frauen.
„Th6 three Andrews.“ Sie lächeln kühn und
zuckrig.
Hinein, heraus schieben und drängen Olien-
schen. Durch die großen Glasscheiben sehe
ich auf Straßenpassanten, Autos eilen vor-
über oder halten vor dem Cafe. Strapen-
bahnzüge rattern vorbei.
Unter all den gleichgültigen Menschen, die
an nreinem Tisch vorüber drängen, gebt eine
kleine Frau. Sie trägt einen Hellen Mantel,
einen kleinen engen Filzhut. Ein schwaches,
liebenswürdiges Lächeln scheint auf ihrem
Q^on (Driciii oJ. (l. ouracl
Besicht wie eingefroren. „Keep smiling!“
Zhre großen braunen Augen streifen mich
einen Augenblick, dann sieht sie gleichgültig
über mich weg. Das Lächeln um ihren Mund
ist noch da, wie vorher auch.
Meinem Herzen hat es einen kurzen, harten
Schlag gegeben. Sie wollte mich nicht mehr
^ (ntergriinclhali n am 0 lloi'Qe
Qen
Oloii) liegt ein Rest von Traum auf den
Gesichtern,
OTictn hat sich eben sehr nervös gewaschen
Und steht jetzt fröstelnd mit den Aktentaschen,
Der Zug fährt zischend ein mit weißen Lichtern.
OKit rotem Schlußlicht rollt er in den Schacht
Und sausi vorbei an geisterhaften Wänden,
Die Menschen stehen mit neutralen Händen
Und angeschraubten Köpfen, niemand lacht.
Es braust der Zug durch namenlose Stollen,
Die sich phantastisch in die Erde ) enken,
Die meisten sitzen lautlos auf den Bänken
Wie Automaten, die verdienen wollen.
Theodor Riegler
erkennen, von mir nicht mehr erkannt sein,
llnd es ist doch nur wenige Zähre her, da
liebten wir uns. Zch Hab um die Frau ge-
litten. Nun ja, jetzt weiß ich's, wie um manche
vor- und nachher. Aber damals ging mir's,
wie ich glaubte, ans Leben. Aber auch davon
weiß ich, daß man es jedesmal glaubt. Wir
liebten uns und guälten uns bis aufs Blut.
Sie schwankte damals zwischen ihrer Pflicht
und der Liebe zu mir. Die alte Geschichte,
so gar nicht originell, llnd dann eines Nachts
ward sie ineine Geliebte. Nur diese eine
Nacht. llnd dann war eS aus. Zch glaubte
daran zugrunde gehen zu müssen, zu zer-
brechen. Zch Habe erfahren, daß ich daS oft
vorher und auch später geglaubt habe, lind
trotzdem ist ein wenig Wahrheit daran. Denn
jedesmal wurde ein Stück meines Seins zer-
stört, und jedesmal ging der Schmerz etwas
tiefer. Wir sahen uns zuerst noch öfter, dann
immer seltener. Dann Zahre nicht mehr.
Bis jetzt.
Eine Frau ging vorüber, die einmal nieine
Liebste war. llnd nun wissen wir voneinander
nichts mehr, sind beide aus dein Leben des
andern gestrichen, haben kaum eine Spur
zurückgelassen. Es ist, als wären wir nie
gewesen.
Eine Frau geht vorüber.
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