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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 35.1930, (Nr. 1-52)

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istauf pum

VON

OTTO BERNHARD WENDLER

eben brauchten sie auch. Eben für Ne Liebe.
Aßeibeu hatten sie nur zum Strümpsestricken.
Saßen in den Elbedörsern die Weiber, die
Strümpfe strickten. Die wahre Liebe aber,
die unzweifelhaft große und echte, gab es
nur in den alten Buden am Kanal, In den
Buden, vor deren Türen nachts rote Lampen
geheimnisvoll leuchteten. Also damals standen
die alten Buden noch, lockten die roten
Lampen noch, duftete Kümmel in ochjigen
Gläsern.

Nur Scbiffer waren nicht da. Es war
im Februar. Eingefroren lagen ein paar
Kähne am Kanalrand. Nur Wachen ivaren
auf den Kähnen zurückgeblieben. Oie Schiffer
faßen in den Elbedörfern und warteten auf
eine Gelegenheit, um die Strümpfe von ihren
Weibern geschenkt zu bekommen. Die Wirte
der Budenkneipen tranken den Kümmel selbst.
Nur die Nkädchen in den Häusern konnten
sich nicht selber lieben. Sie hockten hinter
den Fenstern und sahen uns zu. Sie standen
auch mal vor der Tür und sahen uns zu.
Bis es ihnen zu kalt wurde. Wir liefen
Schlittschuh. Alle jungen und Mädchen des
.Reviers. Ich war dreizehn, mein Bruder
Kalle zwölf. Weil ich mit Inge Kramer
poujjieren wollte, übte ich das Holländern.
Mein Bruder Kalle grinste darüber. Er Ivar

für ivilde Spiele. Er hieb Löcher in das Eis,
und in rasendem Tempo übersprang er jie.
Oder, wenn ich mit Inge Kramer drei Worte
gesprochen» hatte, kam er wie der Teufel
angebraust und trennte uns. Einmal fiel
dadurch Inge auf ihren schmalen, süßen Popo.

Sie ivar gekränkt. Ich mußte ihr ver-
sprechen, meinen Bruder zu verjacken. Ich
tat es nicht, weit die Zigeunerin auftauchte.
Inge war abgemeldet. Oie Zigeunerin konnte
sechzehn fein und stand eines Tages vor
NtüllerS Kneipe mit der roten Laterne. Sie
hatte große dunkle Augen. Sie war zart
wie ein .Reh. Immer lachte jie unter deni
Torbogen. Besessen schlugen wir unsere
Bogen. Sprangen wir unsere Sprünge,
klnsere Bogen und Sprünge galten nur ihr.
Wir ivaren ja schon dreizehn und zwölf.
Alles von der Liebe ivußten wir. Wir hatten
in Büchern nachgelesen und besaßen eine
Faust - und - Gretchen - Geschichte. Aus Paus-
papier geschrieben. Mit allen Einzelheiten,
klnd sie war wirklich schön, die Zigeunerin.
Auch wir verbrannten in diesen Augen. In
Liebe war nichts zu tun in diesen Tagen,
da schenkte ihr Lachen jie >uns. Ihre ver-
spielten Bewegungen. Ihre lachenden sechzehn
Jahre. AuS Langeweile, aber wir waren mit
Eifer um jie herum. Ntein Bruder Kalle
siegte. Über «ihn freute sie sich am meisten.
Nt ein Bruder siegte mit seinen ivaghaljigen
Sprüngen. Ihm schenkte sie Bolchen. AuS

Damals standen die alten Buden noch am
Kanal. Oie Kneipen mit Kümmel und
lniS. Oie Kneipen mit den roten Laternen,
damit die Schiffer ihren Weg fanden. Zur
lebe und zum Suff. Oamals tranken die
7chiffer noch Kümmel und Anis, klnd Mäd-

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Register
Martin Menzel: Zeichnung ohne Titel
Richard Otto Voigt: Auf dem Eis
Otto Bernhard Wendler: Eislauf zum Lotterbett
 
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