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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 35.1930, (Nr. 1-52)

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Nr. 7
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https://doi.org/10.11588/diglit.6762#0107
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K a r 1 H o 1 i z

Kritik

„Was sagen Sie zu -diesem Symphoniekonzert?"

„Wie -im Völkerbund: Jeder einzelne spielt richtig, aber etwas
anderes als der andere."

zu einem anderen Mittel. Sein rechter Nachbar, ein dicker und
gemütlich aussehender Herr, hatte fraglos keinen blauen Dunst von
Musik. DaS Programmheft hielt er immer noch verklebt und
unerössnet in der Faust, gleichzeitig eine Tafel Schokolade, die ihn
unendlich mehr interessierte. Dem konnte man schon allerlei erzählen.
Als das -Orchester gerade einige leise Akkorde herunterkurbelte, wandte
er sich an den Dicken und sagte so laut, daß es der Pädagoge Horen
mußte: „Jetzt kommt das Motiv des Alberich."

Wie von einer Natter gestochen fuhr der Kops seines Vordermannes
herum. „Ich bitte Sie!" zischte er, „wie können Sie so etwas
sagen? DaS kommt viel später, jetzt «zeigt das Thema noch auf-
strebende HalLang!"

Die Musik wurde stärker.

„Hören Sie", sagte Anton wieder zu seinem Nebenmann, „jetzt
kommt das Motiv des Alberich."

Der Pädagoge bekam Gesichtsschmerzen.

„Dieses Allegro", rief er, „das mit Skalen durch zwei Oktaven . . ."

„ Vst . .. Bst. . .", machten die Leute.

„. .. sich in das Thema stürzt, ist eine glücklich sich lösende Dissonanz
in 68 — ef — ges . . ."

„Ruhe da vorn!" brüllte einer aus den hinteren Reihen.

„... entsprechend der 0-Moll-Episode in Beethovens ,An einen
Säugling'."

„Säugling ist «der richtige Ausdruck", «sagte einer.

Doch der Musiksachverständige war nicht -nehr zu halten. Die
Tatsache, daß jemand hinter ihm saß, der die einfachsten Dinge
verwechselte und andere auch noch belehren wollte, ließ ihn jede
Vorsicht vergessen. DaS Orchester intonierte eine neue Melodie.

„Fühlen Sie jetzt «den kühnen Übergang? Jetzt kommt Ihr Alberich-
Motiv! Das folgende Andante bringt das rhythmische ta — ta —
ti — ... ta-tü!!"

„Ruhe!"

„Schmeißt «den Kerl raus!"

Man war auf «den Mann aufmerksam geworden und nicht gewillt,

A b f u h r

„Gestatten Fräulein, Sie sehen meiner Frau zum Verwechseln
ähnlich."

„Freut «mich, aber glauben Sie nur nicht, daß die Kopie billiger sei
als das Original!"

sich den Genuß «der Oper rauben zu lassen.
„Ich muß auch mal wieder etwas sagen",
dachte Anton und wandte sich an den Dicken.

„Nun hören Sie das Rezitativ des Wald-
vogels."

Das Lockenhaupt rang die Hände.

„Keine Ahnung haben Sie", stöhnte er,
„nur das Hauptmotiv ist presto, darum auch
das Allegro ma non troppo un poco mae-
stoso. Wenn der Waldvogel . . ."

„Einen Vogel hat der Kerl."

„Sitzen bleiben!"

„Unerhört? Wo ist «der Platzanweiser?"

Aber der Pädagoge war nicht mehr zu
halten, er drehte sich u«m, stand auf, kniete
auf seinem Sitz, schwang die Partitur hoch
durch die Luft, hielt sie Anton vor die Nase.

„Hier, mein Herr", rief er, „hier steht das
Rezitativ dem Furioso gegenüber..."

„Halten Sie Ihre Volksreden wo anders."


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Karl Holtz: Kritik
Dugo: Abfuhr
 
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